Fernstenliebe

Fernstenliebe

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783821841724
Untertitel:
Ehe zwischen den Kontinenten. Drei Berichte
Genre:
Romanhafte Biografien
Autor:
Georg Brunold, Klaus Hart, R Kyle Hörst
Herausgeber:
Eichborn
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
312
Erscheinungsdatum:
01.01.1999
ISBN:
978-3-8218-4172-4

Im Mondlicht, etwas verloren im Haufen fröhlich und laut schwatzender junger Inselbesucher, saß eine junge Frau, schaute aufs Meer, hatte wohl die Menge gesucht, aber keine Aufregung. Frank fing ihren Blick ein, signalisierte Interesse bereits weit offener, direkter, als er es in Deutschland gewagt hätte. Sie war eine Deutsche, lebte in Rio, hatte nichts gegen ein bißchen Konversation mit einem Landsmann, zumal sie wie Frank eher zum Nachdenken auf der llha Grande Station gemacht hatte. Julia kannte die Insel sehr gut, ihr Vater, Unternehmer, hatte eine Yacht, setzte sie für ein paar Tage sogar an einsamen Stränden ab, wegen der Kurse an der Uni ging's leider meist sonntags wieder zurück, Papa mochte keine schwänzende Tochter. Frank tauschte mit Julia zunächst eher allgemeine, banale touristische Beobachtungen aus, das belebende Tropenklima, die Naturschönheiten in und um Rio, versteckte Buchten der llha Grande, die er unbedingt aufsuchen müsse, schließlich, worauf er zielstrebig zusteuerte, die Leute hier. Kein Land für Kopfmenschen und für Prüde, die sich fast auf Schritt und Tritt provoziert fühlen mußten. Unglaublich viele schöne Menschen, fröhliche Gesichter, wie man sie zu Hause in Jahren nicht sah, das frappierend andere Körpergefühl. Hier oder an der Copacabana, so meinte Julia, erkennst du Europäer, Nordamerikaner auf zweihundert Meter in der Menge, vor allem wegen des anderen Gangs, neben Brasilianern wirken Gringos steif, linkisch, unelegant, unerotisch sowieso. Julia fand die Frauen weit expressiver, sinnlicher als die Männer, kopierte problemlos hiesige Moden. "Zu Hause würde ich nie mit so einem tiefen Ausschnitt auf die Straße gehen, alle meine Freundinnen hielten mich für verrückt, einige aus der feministischen Ecke würden mich direkt anmachen. Für die wären ihre brasilianischen Kolleginnen wahrscheinlich der Schock des Lebens, absolut unähnlich, nichts von Sack und Asche, und auch nicht diese fast aggressive Distanz zu Männern. Mag sein, daß Brasilianerinnen manchmal direkt exhibitionisch sind, aber besser so als dieses Asexuelle, Unfeminine drüben; wenn ich hinfahre, kommt es mir immer so vor, als ob die Frauen auf der Straße nicht gehen, sondern marschieren, meine brasilianischen Freundinnen sind darüber richtig erschrocken. Vielleicht ist es der Streß oder der Frust im Bett, ich weiß nicht. Denen hier", fuhr Julia fort, "ist sowieso Sex, Erotisches, Sinnliches tausendmal wichtiger als uns, die haben daraus fast eine Ideologie gemacht, und wehe dem, der nicht mitzieht. Die haben dermaßen viel Sex in der Sprache - stell dir mal vor, ich würde als Frau in Berlin oder Frankfurt fast nach jedem Satz Sperma oder Schwanz sagen, Hure, die gebiert, oder voller Hodensack schimpfen. Als meine Dozentin das erstemal jemandem vorwarf, er habe die Beine breitgemacht, er könne doch nicht mit dem Schwanz des anderen zum Genuß kommen wollen, klar, alles im übertragenen Sinne, bin ich fast umgefallen. Zu Hause klänge das furchtbar obszön, wäre Baubudenjargon, hier nicht, hat es was von Frivolität, die ins Ambiente paßt, nicht anstößig wirkt. Furchtbar schwer, das einem drüben zu erklären, wie soll man so etwas stimmig übersetzen, eigentlich unmöglich. Wenn die Leute hier soviel von Sex oder Erotik reden, wenn du auf der Straße oder am Strand erotisch reizüberflutet wirst", lachte Julia, "bist du schließlich selber ein bißchen excitado.

Autorentext
Georg Brunold, geboren 1953 in Arosa/Graubünden, ist Journalist, Schriftsteller und Übersetzer. Er war Afrika-Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung mit Sitz in Nairobi, Stellvertretender Chefredakteur der Kulturzeitschrift »du« in Zürich und lebt heute wieder in Arosa. In der ANDEREN BIBLIOTHEK sind von ihm erschienen: »Nilfieber. Der Wettlauf zu den Quellen« (1993), »Afrika gibt es nicht. Korrespondenzen aus drei Dutzend Ländern« (1994), »Ein Haus bauen. Besuche auf fünf Kontinenten« (2006) und, von ihm herausgegeben und übersetzt: »Winston Churchill, Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi« (2008).
Klaus Hart, geboren 1949 in Oldisleben, lebt seit 1986 als Journalist und Autor in Rio de Janeiro. R. Kyle Hörst, geboren 1957 in Pennsylvania, war für die UNO und für Hilfsorganisationen in Vietnam tätig und lebt heute als Publizist, Dokumentarfilmer und Politikberater in Clifton, Virginia.


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