Annäherungen

Annäherungen

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608981582
Untertitel:
Drogen und Rausch
Genre:
Erzählende Literatur & Romane
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
3. Druckaufl. 2021
Anzahl Seiten:
458
Erscheinungsdatum:
28.09.2018
ISBN:
978-3-608-98158-2

Joschka Fischer erlebte den aphoristischen Essay über »Drogen und Rausch« in seinen jungen Jahren als »eine Art intellektuellen Geheimtipp«.


Drogen und Rausch sind für Jünger ein Mittel, dem Menschen einen Anteil an der geistigen Welt zu verschaffen. Zuerst ist der Rausch reiner Genuss mit Gewinn und Gefahren, dann wird er zum Abenteuer mit seinen fantastischen, ästhetischen und geistigen Bezirken, schließlich aber zur Annäherung. In zahlreichen Selbstversuchen u. a. mit Albert Hofmann, dem Erfinder des LSD, lotete Jünger die Dimensionen der Rauschmittel und ihren Bezug zu ihrem jeweiligen Kulturkreis aus.

Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Leseprobe
Die Götter staunen
Über Ernst Jüngers Drogenfahrten

Ernst Jünger hatte Angst. Eine solche Angst, wie sie an kaum einer anderen Stelle seines Werkes auftaucht. Es war Todesangst, blankes Entsetzen, der unheilvolle Blick in eine andere Welt, den er tat, nachdem er eine Überdosis Cannabis eingenommen hatte. Es war auf einer Zugfahrt, Anfang der zwanziger Jahre, Jünger war zusammen mit seiner Mutter von Sachsen nach Hannover unterwegs, als ein Bahnarbeiterstreik die beiden zu einem nächtlichen Aufenthalt in Halle zwang. Die Mutter hatte gleich nichts Gutes geahnt. Ausgerechnet Halle »das hat uns gerade noch gefehlt«. Die beiden bekommen mit Glück noch zwei Zimmer in der Nähe des Bahnhofs und nachdem sie sich für die Nacht voneinander verabschiedet haben, öffnet der Weltkriegskämpfer und Autor der kurz zuvor erschienen »Stahlgewitter« ein Porzellangefäß mit der Aufschrift »Extr. Cannabis«. Er hatte es auf dem Dachboden der väterlichen Apotheke gefunden, der Hanfextrakt musste sehr alt sein und wie stark die Konzentration der Droge war, konnte er kaum wissen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige Drogenexperimente hinter sich. Auf den ersten Bierrausch folgten schon bald Experimente mit Äther, Chloroform, Kokain und Opium. Manchmal hatte es Schwierigkeiten gegeben, wie im Fall des Äther-Experiments, als er noch im Rauschzustand auf die Straße gegangen war, einen Vorgesetzten nicht gegrüßt hatte und sich dafür einen schweren Verweis einhandelte. Und dies wurde von Jünger später in nüchternem Zustand als durchaus angemessen empfunden, »denn jeder Umsturz fängt beim Grüßen an.« Der Umsturz kam, der Krieg ging verloren, Jünger blieb beim Militär, »ein Fehler«, wie er in diesem Buch bekennt. Auf den Äther folgte Chloroform, ein Experiment, das noch entschiedener misslang. »Auf mich wirkte es als schweres Geschütz, als Axthieb, der das Bewußtsein mit einem Schlage auslöschte. Beim Äther war das anders gewesen dort hatte die Bogensehne geschwirrt, nicht furchterregend, sondern in rauschenden Schwingungen.« Axthieb, schweres Geschütz und Bogensehne Jüngers Drogenerfahrungen sind Kriegserfahrungen. Wenn er über die Wege in ein anderes, ein erweitertes Bewusstsein schreibt, schreibt er oft mit dem gleichen Vokabular wie damals, in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Hier wie dort balanciert Jünger auf einer Linie, die die hiesige Welt von jener anderen trennt. Es sind Zeitreisen ins Ungewisse, Zeitreisen jenseits der Zeit das große Abenteuer. »Auf gute Fahrt!« ruft er dem LSD-Erfinder Albert Hofmann zu, als er mit ihm zusammen einen Trip einwirft. Und die Reise beginnt. Die Reise an die Grenze der Welt, an die Grenze der Zeit: »Der Rausch führt an die Zeit heran nicht nur in diese oder jene ephemeren Zellen, sondern an ihr Mysterium und damit hart an den Tod. Dort ruht die Gefahr, und jede physische Gefährdung gibt nur den Hinweis darauf.«
Und dieses eine Mal, in jener Nacht in Halle, wäre Ernst Jünger beinahe zu weit gefahren. Alles fing ganz harmlos an. Die Mutter liegt im Nebenzimmer, der Sohn, immerhin schon Mitte zwanzig, berüchtigter Autor, hochdekorierter Soldat, nimmt also jenes Döschen aus Vaters Beständen hervor und außerdem ein Märchenbuch, die »Geschichten aus 1001 Nacht«. Er nimmt eine kleine Probe, streckt sich aus und liest: »das war kein Lesen mehr. Das Märchen offenbarte eine Tiefe, die ich nicht geahnt hätte. Es öffnete Zugang zum Meer und seiner rauschenden Monotonie. Wer sie hörte, wer von ihr durchdrungen wurde, der brauchte den Text, brauchte den Buchstaben nicht mehr.« Und er fährt fort, so im Schweben zwischen Lesen, reinem Bewusstsein und reinem Glück, schreibt »jeder Atemzug ist ein Genuß«. Bis plötzlich das Pendel in die andre Richtung schwingt. Ganz ohne Übergang setzt jene Panik ein, die im Werk Ernst Jüngers wohl ohne Beispiel ist. Der Höhepunkt des Schreckens wird erreicht, als er sich selbst im Spiegel sieht. Sich selbst? Ein Monster. Einen Feind: »Ich sprang auf, sah in den Spiegel und kannte mich nicht mehr. Das bleiche, im Lachen verzerrte Gesicht dort war stärker als das meine und mir feindlich gesinnt. Der plante Unheil; ich durfte ihn nicht loslassen.«
Eine Jekyll-und-Hyde-Szene. Jünger hat hinübergesehen, hat sich selbst in einer anderen Welt gesehen, sich selbst als den Anderen. Das Tänzeln auf der Linie, auf der Zeitmauer, über die ihn die Drogen, die Todesahnungen im Krieg immer nur für Momente hinübergetragen haben, droht in einen tiefen, endlosen Sturz umzuschlagen. Jünger fürchtet den Tod, aber noch mehr, und das verleiht dieser Szene eine beinahe groteske Komik, mehr als den Tod fürchtet er: seine Mutter. »Ich musste eine viel zu starke Dosis geschluckt haben. Sie konnte tödlich sein. Vor allem Ruhe, damit die Mutter nicht aufwachte.« Und Jünger nimmt all seine Selbstbeherrschungskraft zusammen, wirft das verbotene Döschen aus dem Fenster in den Schnee, eilt durch das Hotel, reißt Türen auf und das alles liest sich wie eine fatal misslungene Reise von Welt zu Welt, eine Hadesfahrt, hinter der ersten Tür sitzen zwei Männer und zählen Stöße von Geld, hinter der zweiten sitzt eine Frau auf dem Bidet, ihr Mann droht dem Eindringling, doch Jünger stürzt schon weiter, ins menschenüberfüllte Foyer und wieder zurück. Es gibt keine Rettung bis auf eine: »Es half nichts; ich musste die Mutter wecken, ich konnte die Dinge nicht mehr bändigen.« Und so geschieht es. Schnell wird die Situation aufs glücklichste geklärt. Ein herbeigerufener Arzt ist zwar ob der Symptome misstrauisch, doch da Jünger noch in Todesangst das Döschen aus dem Fenster geworfen hatte, lässt sich der Mediziner nach einigem Zögern auf die Erklärung, der Patient habe einen schrecklich verdorbenen »Polnischen Karpfen« gegessen, ein. Ein starker Kaffee wird gebracht, Jünger erholt sich im Nu und findet das Glück zurück: »Das war mehr als wohltätig ein tiefes Behagen der Existenz. Das wahre Glück ist grundlos; es kommt wie eine Welle, die uns überrascht. Wir kennen die Ursache nicht. Vielleicht stürzte in der Ferne ein Meteor ins Meer.« Ja, vielleicht. Und er fährt fort, genau das sei »die Art von Glück, die immer seltener wird«.
Genau davon erzählt die…


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