Sämtliche Werke - Band 19

Sämtliche Werke - Band 19

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608963199
Untertitel:
Erzählende Schriften II: Heliopolis
Genre:
Literarische Gattungen
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
2. Druckaufl. 2017
Anzahl Seiten:
389
Erscheinungsdatum:
19.10.2015
ISBN:
978-3-608-96319-9

Eine utopische »Sonnenstadt«, in der nach dem »großen Feuerschlag« die Grundfragen der menschlichen Existenz verhandelt werden: »Heliopolis«.

Der vorliegende Band entspricht Band 16 der gebundenen Ausgabe.


Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Klappentext
Eine utopische »Sonnenstadt«, in der - nach dem »großen Feuerschlag« - die Grundfragen der menschlichen Existenz verhandelt werden: »Heliopolis«.

Der vorliegende Band entspricht Band 16 der gebundenen Ausgabe.

Es ist der »Rückblick auf eine Stadt«, der uns geboten wird, und dennoch liegt diese Stadt in der Zukunft. Sie trägt Züge des Bekannten, fast anachronistischen - wenn sich etwa ein Landvogt und ein Prokonsul bekriegen, und steht doch außerhalb von bekannter Zeit und vertrautem Ort.
Es sind zwei verfeindete Ideologien, die sich hier gegenüberstehen, ausschließen und bekämpfen - um sich jedoch in ihrem Ziel, der Errichtung einer totalitären Staatsform, erstaunlich nahe zu kommen.
»Heliopolis« ist damit auch ein Teil der Auseinandersetzung Jüngers mit der Zeit des Nationalsozialismus. Der Band enthält auch die »Stücke zu Heliopolis«, die Prosatexte »Das Haus der Briefe«, »Die Phantomschleuder«, »Die Wüstenwanderung«, »Über den Selbstmord« und »Ortner über den Roman«.

Leseprobe
Heliopolis

Es war dunkel im Raume, den ein sanftes Schlingern wiegte, ein feines Beben erschütterte. In seiner Höhe kreiste ein Lichtspiel von Linien. Silberne Funken zerstreuten sich, blinkend und zitternd, um sich tastend wiederzufinden und zu Wellen zu vereinigen. Sie sandten Ovale und Strahlenkreise aus, die an den Rändern verblaßten, bis sie sich wieder zum Anfang wandten, an Leuchtkraft wachsend und jäh entschwindend als grüne Blitze, die das Dunkel schluckt. Stets kehrten die Wellen wieder und reihten sich in leichter Folge einander an. Sie woben sich zu Mustern, die sich bald verstärkten und bald verwischten, wenn Hebung und Senkung sich vereinigten. Doch unaufhörlich brachte die Bewegung neue Bildungen hervor.
So folgten sich die Figuren wie auf einem Teppich, der in rastlosen Würfen entrollt und wieder geborgen wird. Stets wechselnd, niemals sich wiederholend, glichen sie sich doch wie Schlüssel zu geheimen Kammern oder wie das Motiv aus einer Ouvertüre, das sich durch eine Handlung webt. Sie wiegten die Sinne ein. Ein feines Brausen taktierte sie, das an den Schlag entfernter Brandungen erinnerte und an den Rhythmus von Strudeln, die man an Felsenküsten hört. Fischschuppen glänzten, ein Mövenflügel durchschnitt die Salzluft, Medusen spannten und lockerten die Schirme, die Wedel einer Kokospalme wellten sich im Wind. Perlmuscheln öffneten sich dem Licht. In Meeresgärten fluteten die braunen und grünen Tange, die Purpurschöpfe der Seerosen. Der feine Kristallsand von Dünen stäubte auf.
Nun bot sich ein bestimmtes Bild: ein Schiff glitt langsam über den Plafond. Es war ein Klipper mit grünen Segeln, doch erschien er in der Verkehrung und stand auf den Masten, während die Wogen sich als Gewölk am Kiele kräuselten. Lucius folgte mit den Augen seinem schwebenden Lauf. Er liebte diese Viertelstunde künstlicher Dunkelheit, in der sich die Nacht verlängerte. Als Kind schon hatte er so in seinem Zimmerchen gelegen, während das Fenster dicht verhangen war. Die Eltern und Erzieher hatten das nicht gern gesehen; sie wollten ihn auf den tätigen Geist der Burgen lenken, in denen man mit der Trompete weckt. Doch zeigte sich, daß die Neigung zum abgeschlossenen und träumerischen Wesen ihm nicht schädlich war. Er zählte zu jenen, die sich spät erheben und doch zur guten Stunde fertig sind. Die Arbeit floß ihm ein wenig leichter und müheloser von der Hand nahe den Zentren, wo der Umlauf geringer ist. Der Hang zur Einsamkeit, zum stillen Lauschen und Betrachten in tiefen Wäldern, an Meeresküsten, auf Gipfeln oder unter südlichen Himmeln war eine Mitgift, die ihn eher kräftigte. Sie gab ihm einen Schimmer von Melancholie. So war es bis in die zweite Hälfte seines Lebens, bis an sein vierzigstes Jahr.
Der grüne Segler entschwand den Blicken, dafür tauchte, gleichfalls in der Verkehrung, ein roter Tanker auf, ein altertümliches Modell der Inselwelt. Man näherte sich dem Hafen, die Schiffe wurden häufiger. Ein schmaler Schlitz des Bullauges ließ ihre Bilder wie in eine Dunkelkammer fallen und verkehrte sie. Lucius ergötzte sich an ihrem Anblick wie in einem Kabinett, in dem man den Weltlauf am Modell betrachtet und rein als Schauspiel nimmt. Das Wasser des Bades war im Energeion angewärmt. Noch lebte sein Plankton, dessen Leuchten die Wärme steigerte. Die kleinen Wellen blinkten, wo sie gegen die Kacheln schlugen; auch schien der Körper in sanftes Licht gehüllt, phosphorisch patiniert. Die Beugungen an den Gelenken, die Falten und Konturen waren wie mit dem Silberstift umrissen; das Haar der Achselhöhlen schimmerte wie grünes Moos. Zuweilen bewegte Lucius die Glieder, die dann stärker aufleuchteten. Er sah die Nägel der Finger und der Zehen, als ob sie sich im Mutterleibe bildeten, die Adergeflechte, das Wappen des Ringes an der linken Hand. Endlich verkündete ein Hornruf. daß man das Frühstück rüstete. Lucius erhob sich: ein zarter Schimmer floß in die Wände ein. Nun wurde eine schmale Badekabine sichtbar, mit eingelassenem Becken und einem Waschtisch aus Porzellan. Die Haut war durch das Meersalz scharf gerötet; er spülte seine Spuren unter der Dusche mit süßem Wasser ab. Dann hüllte er sich in den Bademantel und wandte sich dem Waschtisch zu.
Der Phonophor lag unter den ausgepackten Gegenständen des Necessaires. Lucius ergriff ihn und bewegte mit dem Daumen das Rädchen für die festen Verbindungen. Sogleich ertönte aus der muschelförmigen Vertiefung des kleinen Gerätes eine Stimme:
»Hier Costar. Zu Ihrem Befehl.«
Es folgte die Meldung, wie sie auf Seefahrt vorgeschrieben war: Länge und Breite, Geschwindigkeit des Schiffes, Chemismus, Luft- und Wassertemperatur.
»Gut, Costar. Haben Sie die Uniform zurechtgelegt?«
»Ja, Kommandant, ich warte nebenan.«
Lucius ließ eine zweite Ziffer einspringen, und es ertönte eine andere, hellere Stimme:
»Hier Mario. Zu Befehl.«
»Buon giorno, Mario. Ist der Wagen bereit?«
»Der Wagen ist fertig und gut überholt.«
»Erwarten Sie mich um halb elf am Staatskai; das Schiff wird pünktlich anlegen.«
»Zu Befehl, Kommandant. Man sagt, es seien Unruhen in der Stadt. Die Wachtruppen sind alarmiert.«
»Wann sind in der Stadt denn keine Unruhen? Weichen Sie nicht vom Korso ab und lassen Sie sich einen Begleiter mitgeben.«


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