Sämtliche Werke - Band 16

Sämtliche Werke - Band 16

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608963168
Untertitel:
Essays VIII: Fassungen III
Genre:
Literarische Gattungen
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
1. Aufl. 2015
Anzahl Seiten:
621
Erscheinungsdatum:
19.10.2015
ISBN:
978-3-608-96316-8

»Erfahrungen sind besser als Belehrungen«, so Ernst Jünger in diesem Band, und an Erfahrungen mangelte es in seinem Jahrhundertleben nicht.

Inhalt: Autor und Autorschaft, Nachträge zu Autor und Autorschaft, Notizblock zu »Tausendundeine Nacht«, Die Schere, Gestaltwandel, Eine Prognose auf das 21. Jahrhundert.

Der vorliegende Band entspricht Band 19 der gebundenen Ausgabe.


Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Klappentext
In den Nachträgen zu »Autor und Autorschaft« sind auch noch nicht in Deutsch erschienene Aufzeichnungen enthalten, die 1988 zuerst in französischer Übersetzung erschienen waren. Der Notizblock zu »Tausendundeine Nacht«, bislang nur in faksimilierter Handschrift als bibliophile Ausgabe veröffentlicht, ist erstmals im Druck wiedergegeben.

Leseprobe
Die Schere

1

Jedermann hat, wie immer sie gerate und gelinge, seine eigene Kunst. Der Trieb dazu, etwa zum Singen und zum Tanzen, ist ihm angeboren und befriedigt sich im Spiel.
Es wäre müßig, zu fragen, ob dieser Trieb dem religiösen vorausgeht oder ihm folgt. Beide sind untrennbar verbunden wie Ein- und Ausatmen als Empfangen und Dank.
In dieser Hinsicht betrachtet, sind Religionen mehr oder minder gelungene Kunstwerke. Im Kunstwerk bestätigt sich die Zeit auf hoher Stufe, obwohl Vollkommenes, das außerhalb der Zeit geahnt wird, unerreichbar bleibt. Daher erschöpfen sich im Alltäglichen die Mode, in den Jahrhunderten der Stil.
Wo Bilder fallen, müssen sie durch Bilder ersetzt werden, sonst droht Verlust.


2

Die Kulte können nicht ohne Bilder bestehen. Selbst in der Wüste muß zum mindesten ein Stein gesetzt werden. Dort ist etwas geschehen, dessen wird gedacht. Vielleicht fiel ein Meteor vom Himmel, oder es ist nur ein Gerücht. Dann wirkt das Gerücht stärker als die Tatsache.
Die Bilder sind das Urgestein der Kulte; sie leben länger als die Götter, zu deren Ehren sie errichtet worden sind. Wir stehen vor einer Statue, die aus dem Schutt geborgen wurde, und fühlen: Hier muß ein Gott gewesen sein. Obwohl wir weder das Heiligtum noch seinen Namen kennen, berührt uns ein verborgener Sinn, der auch dem Künstler selbst verschlossen war. Im Kunstwerk lebt ein Glaube, der jedes Dogma überwährt.


3

Jedermann ist auch der Autor seines eigenen Lebenslaufes, sein Autobiograph. Er ist sein Romancier und ist sich dieser Aufgabe bewußt. Daraus erklärt sich, daß fast jeder einen Roman zu schreiben zum mindesten einmal begonnen hat.
Die Frage bleibt, wie dem Einzelnen diese Darstellung gelingt. Das hat nichts mit seinen äußeren Umständen zu tun, und auch nicht damit, ob sein Roman zu einem glücklichen Ende führt. Zu fragen ist vielmehr, wie er mit seinem Pfund gewuchert hat und dieses Pfund ist vorgegeben, schon ehe er das Licht der Welt erblickt.


4

»So mußt du sein« diese Qualität des Menschen zu treffen, sein Verhängnis, sei es tragisch, heroisch, komisch oder widerwärtig, ist Aufgabe des Autors; sein Stoff ist die Welt schlechthin.
Shakespeares Falstaff, Dostojewskis Raskolnikow, Büchners Woyzeck sind in diesem Sinn gelungen, obwohl der eine ein Säufer war, der andere ein Mörder, der dritte ein Idiot. Selbst das Banale kann, wie im »Oblomow«, in diesem Spektrum aufglänzen.
Würden wir nun sagen, die Charaktere seien dank der Kunst gelungen, so wäre das nur eine halbe Aussage. Der Autor hat vielmehr an einem beliebigen Punkte das Genie der Welt entdeckt. Das fordert unsere Teilnahme, unser Mitleid, auch Furcht und Schrecken in der Tragödie.
Der Autor hat eine Berufung, nicht einen Beruf. Daher ist ihm zu Werten wie Schuld und Unschuld oder Schön und Häßlich ein umfassenderer Blick zu eigen, als er im Alltag üblich ist. Das kann zu Konflikten führen wie für den Richter, der dem Gesetz auch dort zu folgen hat, wo es ihm im Innersten widerstrebt.


5

Zeus nimmt an der Schlacht der Götter und Menschen teil als an einem Schauspiel; es erregt ihn, und er wägt ab: das Schicksal ist stärker als selbst er.


6

Ich erwähnte schon einmal den Pastor, der aus der Kirche kommt, nachdem er über die Güte Gottes gepredigt hat, und von einem Buckligen angesprochen wird:
»Sehen Sie mich an, Herr Pastor.«
»Ich finde, daß Er für einen Buckligen nicht schlecht geraten ist.«
Wenn ich mich recht entsinne, strich ich die Stelle bei Karl Julius Weber an, fand sie aber bei Diderot und anderen wieder; sie könnte auch bei Montaigne stehen. Offenbar eine Wanderanekdote mit solidem Kern.
Der Bescheid trifft die Sache, doch ist er wenig tröstlich für die Person. Er würde einem Anatomen oder einem Maler wie etwa Breughel, auch einem Lama besser anstehen als einem Geistlichen christlicher Konfession.
Ein Schnitt kann auch heilen; der Verweis auf die Sache ist bei den Zynikern beliebt. Er konfrontiert den Betroffenen ohne Umschweif mit dem Schicksal; und irgendeinen Buckel trägt jeder mit sich herum. Es fragt sich, wie er sich damit abfindet oder sogar zum Besten wendet, was ihn drückt. Weber meint, »Bucklichte ersetzen meist durch Geist, was dem Körper abgeht oder zu viel aufgelegt ist«, und er zählt eine Reihe von Genies auf, die dieses Kreuz trugen, darunter auch Lichtenberg.


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