Sämtliche Werke - Band 12

Sämtliche Werke - Band 12

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608963120
Untertitel:
Essays IV: Subtile Jagden
Genre:
Literarische Gattungen
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
2. Druckaufl. 2018
Anzahl Seiten:
362
Erscheinungsdatum:
19.10.2015
ISBN:
978-3-608-96312-0

Ursprünglich sollten die »Subtilen Jagden« »Einiges über Käfer und etwas mehr« heißen in diesem Band zeigt sich Jünger als Sammler, voll »krabbelnder Bijouterie« (Peter von Matt).

Der vorliegende Band entspricht Band 10 der gebundenen Ausgabe.


Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Leseprobe
Carabus

Es war Dezember; das Steinhuder Meer war zugefroren, Schnee lag auf dem Land, soweit der Blick reichte. Das versprach kaum Ausbeute. Uns waren die »feinen Methoden« der Kenner noch unvertraut. Wir wußten nicht, daß es Schlupfwinkel gibt, die der scharfe Frost erst zugänglich macht. Zu ihnen zählen. um ein Beispiel zu nennen, die Schilfgürtel der großen Seen. an denen das Eis besonders lang brüchig bleibt. Wenn es zugänglich wird, kann man von dort einen Vorrat von dürrem Rohr eintragen. Zu Hause blättert man die gebräunten Stengel wie Papyri auf und wird dann durch den Anblick bunter Coccinellen und anderer Raritäten nicht minder erfreut als ein enragierter Ägyptologe durch den Hieroglyphentext.
Man tut überhaupt gut. an eigene Schwächen zu denken, wenn man von solchen Vorlieben hört. Der eine gerät über eine vom Grünspan zerfressene Münze in Entzücken, der andere über einen Urnenscherben, der dritte über einen Heuschreck aus Sansibar. Jeder nimmt eine winzige Facette am Stein der Weisen wahr. Doch allen gemeinsam ist das Licht, das aufglänzt, und die Lust, mit der es wahrgenommen wird. Der Anblick erinnert an eine groteske Gruppe von Astronomen. die wenig voneinander wissen, obwohl die Perspektive auf denselben Stern gerichtet sind.
Die Finessen des Winterfanges also waren uns noch unbekannt. Später lernte ich deren eine Menge kennen. vor allem durch die Anleitung des Lehrers Fehse aus Thale am Harz, der darin Meister war. Damals, bei unseren ersten Ausflügen, beschränkten wir uns darauf, durch den verschneiten Wald zu streifen, um alte Baumstümpfe aufzuspüren, die wir mit der Handaxt anschlugen. Sie trugen grüne Kappen aus vereistem Moos. die mit Kränzen von verdorrten Pilzen garniert waren. An andere hatten Baumschwämme sicheIförmige Konsolen angesetzt. Das Holz im Inneren war entweder zu weißem Faserstoff vergoren. oder es war rotbraun, trocken, bröckelig.
Hier hatten sich die großen Caraben eingebettet und hielten Winterschlaf - frisch aus der Puppe geschlüpfte Tiere, die noch kein Licht berührt hatte. Sie glänzten in der kargen Januarsonne, einige braun oder schwarz, die meisten metallisch, von dunklen Erz- oder Bronzetönen bis zum bestürzenden Feuerrotgold. Von manchen kannten wir schon den Namen, so von der Goldleiste, einem schwarzen Ritter, dessen Rüstung ein schmaler Amethystsaum einfaßte. Das Tier gefiel mir trotz seiner Bescheidenheit. Sein Schimmer war wie das Augenzwinkern eines großen Herrn, ein Blitz des Einverständnisses durch das Visier. Wir fingen es häufig und hatten an ihm ein erstes Beispiel der Mannigfaltigkeit, die nicht nur die Familien und Geschlechter, sondern auch die Arten auszeichnet. Linne führt es in seinem »Natursystem« von 1758 als »violaceus« auf; er muß also ein Exemplar mit violettem Rand vor Augen gehabt haben. Wir fanden auch grün-, rosa- und goldgerandete.
Ähnliche Unterschiede entdeckten wir beim Goldschmied oder Feuerstehler, der Körnerwarze, dem Garten-, dem Hain- und dem Waldläufer. Kopfzerbrechen machte auch die Farbe der Beine, die bei derselben Art vom Antimonschwarz bis zum Korallenrot eine Reihe von Übergängen durchlief. Hinzu kam, daß es bei den Kettenläufern wie bei den Kupferstichen mehr oder minder scharfe Prägungen gab. Ich bemühte mich, diese Fülle nach bestem Gewissen zu ordnen, denn von Wissen konnte noch nicht die Rede sein. Als besonders kostbar hegte ich die Tiere, die wir nur ein oder zwei Mal aus dem Holz geholt hatten, wie etwa den Goldglanzläufer, einen nordischen Zwerg innerhalb der Gattung, doch auch eins ihrer Prunkstücke.
Bereits im Februar mußte ich den Vater um einen neuen Kasten bitten, denn der erste, der zur Ausrüstung gehört hatte, war schon gefüllt. Das ist ein Kreuz, das den Sammler sein Leben lang begleitet und mit den Jahren nicht leichter wird. Ein Kasten, ein Schrank, ein Zimmer folgt dem anderen, bis endlich der Besitzer selbst in Wohnungsnot gerät. Dabei ist noch nicht einmal der nötigsten Bücher gedacht, die auf die Flure verbannt werden, bis auch dort kaum ein Durchkommen mehr ist. Die Ausschließlichkeit, mit der solche Passionen den Mann ergreifen und ausfüllen, spiegelt sich in seinem Hauswesen.
Auch Mörike, als großer Sammler von Versteinerungen und anderen Raritäten, muß diese Nöte gekannt haben, obwohl es damals den schwäbischen Pfarrhäusern an Raum und ihren Hausfrauen an liebevoller Einsicht nicht mangelte. Seine »Häusliche Szene« mit der Regieanweisung: »Schlafzimmer. Präzeptor Ziborius und seine junge Frau. Das Licht ist gelöscht.« schildert den Übelstand.
Zu den Chimären, in deren Bannkreis der Sammler gerät, gehört die Vollständigkeit. Vergebens eilt er mit Mühen und Opfern hinter ihr her; sie behält ihren Vorsprung vor ihm. Man möchte meinen, daß sich dem abhelfen ließe, indem man das Gebiet verkleinert, dem man sich zuwendet - so etwa nicht mehr griechischen Münzen nachspürt, sondern nur sizilischen. Vergebens, denn diese Zuwendung verkleinert zwar das Jagdfeld, aber sie schleift auch neue und feinere Facetten an. Mit dem wachsenden Fingerspitzengefühl treten Unterschiede hervor, die dem Auge bislang fremd waren.
Man könnte, um bei den Läufern zu bleiben, aus dem unübersehbaren Heer der Käfer nur diese Familie, Carabidae, auswählen. Aber .auch sie repräsentiert sich durch die stattliche Menge von fünfundzwanzigtausend Arten, die sich ständig durch neue Beschreibungen vermehrt. Beschränken wir uns also auf eine einzige ihrer Gattungen, das Genus Carabus. Selbst zu seiner Erfassung würde unser Leben, auch wenn wir hundert Jahr alt würden, nicht ausreichen.
Das Abenteuer, auf das wir uns einlassen, gleicht Aladins Einstieg in die Schatzhöhle. In der Vorhalle findet er mit Goldstücken gefüllte Krüge, doch während er sie betrachtet, fällt sein Blick auf den Garten mit den Bäumen, die statt der Früchte Juwelen tragen, »deren Glanz die Strahlen der Sonne im Vormittagsschein verblassen läßt«. Indem er sich am Smaragdbaum die Taschen füllt, verschlingt er mit den Augen bereits den, der Opale trägt, und dann immer weitere bis an die Grenzen der Sicht. Doch das sind nur Vorgärten zum Festsaal, in dem die Wunderlampe hängt.
Das Märchen trifft eine Wirklichkeit, die sich in jedem Begehren wiederholt. So auch in diesem Falle, wie ich im Lauf der Jahre und Jahrzehnte erfuhr. Es war nur ein Handgeld gewesen, was uns da im Winterwald durch eine Reihe von frischgeprägten Stücken entzückt hatte. Jedes war nur ein Muster, eine Probe unschätzbarer Reichtümer. Wir wußten nicht, daß der Lederläufer,…


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