An der Zeitmauer

An der Zeitmauer

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608960693
Untertitel:
Mit Adnoten von Detlev Schöttker
Genre:
Literarische Gattungen
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
2. Aufl. 2019
Anzahl Seiten:
256
Erscheinungsdatum:
22.08.2013
ISBN:
978-3-608-96069-3

»Das Buch, das mich in letzter Zeit am längsten beschäftigt hat, ist Jüngers Zeitmauer. Um es gleich zu sagen: es ist ein überaus gescheites und gutes Buch, mit dem man eigene Empfindungen und Gedanken durch einen kompetenteren Mann bestätigt sieht. [] Das Buch ist eine Untersuchung über das Unbehagen in der heutigen Menschheit, zumal der abendländischen.«

Hermann Hesse, Nach der Lektüre des Buches »An der Zeitmauer«



Ernst Jünger führt in der »Zeitmauer« Gedanken seines »Arbeiter«-Essays fort; so schrieb er 1959 in einem Brief: Das Buch hat sich zu einer Fortsetzung von Der Arbeiter entwickelt, führt allerdings in neue Richtungen. Das Thema ist ungefähr die Schilderung der Überwältigung der Weltrevolution durch Erdrevolution. Manches davon deutete sich bereits im Arbeiter an.«

Vorwort
Jüngers »An der Zeitmauer« zum ersten Mal im Paperback

Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Klappentext
>Der Arbeiter< entwickelt, führt allerdings in neue Richtungen. Das Thema ist ungefähr die Schilderung der Überwältigung der Weltrevolution durch Erdrevolution. Manches davon deutete sich bereits im >Arbeiter< an.«

Leseprobe
An der Zeitmauer

Humane Einteilungen

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Die Revolutionen künden sich in den Sternen an. Das war längst so, ehe Menschen die Erde bewohnt haben. Dort sind die Maßstäbe zur Einteilung der Weltzeit, vom flüchtigen Augenblick bis zu den Lichtjahren. Daher deuten sich die tiefsten Veränderungen der menschlichen Ordnung in der Sternkunde an. Der Blick auf den gestirnten Himmel wirft die erste, die unsichtbare Bahn. Dem folgen die Erscheinungen. Die Moderne beginnt und endet mit der kopernikanischen Revolution. Jeder neue Blick auf das All hat einen metaphysischen Hintergrund. Das All und das Auge verändern sich gleichzeitig. Das gilt auch nach der Erfindung der Fernrohre und innerhalb komplizierter Berechnungen.
In die Erfassung großer Zeitalter teilen sich heute Geschichte und Naturgeschichte, ohne uns zu befriedigen, obwohl ihnen nicht nur eine Fülle neuen Materials, sondern auch neuer Meßgeräte und Uhren zur Verfügung steht. Die Einteilung läßt sich auf eine Gerade oder auf einen Kreis abtragen, je nachdem, ob ein lineares oder ein zyklisches System angenommen wird. Eine Verbindung von beiden gibt die Spirale, in der die Entwicklung sich sowohl fortbewegt als auch wiederkehrt, wenngleich auf verschiedenen Ebenen.
Es scheint, daß zyklische Systeme dem Geist gemäßer sind. Wir bauen auch die Uhren rund, obwohl kein logischer Zwang dazu besteht. Auch Katastrophen werden als wiederkehrend angenommen, so Fluten und Verwüstung, Feuer und Eiszeiten. Das periodische Wachsen und Schwinden der weißen Kappen hat etwas Pulsierendes. Man hat den Eindruck, daß es noch einer kleinen Änderung bedürfte, und ein indisches Philosophem würde konzipiert.

33

Der klassische Darwinismus zählt zu den linearen Systemen, doch dringen zyklische Vorstellungen in ihn ein. Die Darstellung der dürren Stammbäume in den Lehrbüchern beginnt sich zu belauben, nimmt Busch- und Kugelformen an. Das »biogenetische Grundgesetz« ist als Beleg des linear aufsteigenden Fortschreitens gedacht. Es läßt sich ebensogut als Wiederholung und Wiedervollzug des Schöpfungsgedankens im Einzelnen auffassen und als Dienst, den die gesamte Natur, ja das Universum selbst, an seiner Bildung zu leisten hat. Das große Theater kreist um ihn herum. Mit jedem Menschen wird die Welt neu konzipiert.
In der Entwicklung der Tierstämme herrscht über dem lückenlosen Fortfließen des Bios die Wiederkehr von Bildungselementen, die von der Verwandtschaft unabhängig sind: der ideale Eingriff formender Prinzipien. Jeder der großen Stämme bildet in sich fliegende, schwimmende, landbewohnende Wesen aus, Parasiten und Nachahmer, Raubtiere und Pflanzenfresser, und es ist erstaunlich, welche Ähnlichkeit von Form und Wesen bei größter Fremdheit der Blutlinien auftreten kann. Ein Saurier lebt als Vogel, eine Eule nach Art des Murmeltiers.
Wenn man »den Fisch« nicht mehr als eine Art Stafettenläufer im anatomischen System, sondern als Lebensform und -schicksal auffaßt, kann man sagen, daß es Würmer, Schlangen, Saurier, Vögel, Säugetiere und auch Menschen gibt, die Fische sind. Das setzt eine geringfügige Verschiebung der Optik voraus, die eintreten könnte, wenn der Nominalismusstreit in eine neue Instanz getrieben würde, worauf Anzeichen hinweisen. Es gibt viele mögliche Natursysteme neben, außer und über dem unseren.

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Eine Ordnung der Menschheitsgeschichte unter Richtpunkten, die außerhalb der Kultur- und Völkergeschichte liegen, also etwa den astrologischen ähneln würden, scheint heute besonders schwierig, auch abgesehen von dem großen Anfall an Tatsachen. Dieser besteht nicht nur darin, daß sich, vor allem durch die Ausbildung der Archäologie, unsere Kenntnis der Frühgeschichte erweitert hat und noch fortwährend ausdehnt, so daß nicht nur neues Licht auf die uns bekannten Kulturen fällt, sondern auch ganz unbekannte auftauchen. Dazu kommt der erstaunliche Einblick in die Vorgeschichte, der nicht nur ein neues Feld, sondern eine neue Dimension erschließt.
Je mehr Tatsachen anfallen, desto entschiedener muß der Geist auf seinem Herrschaftsanspruch, auf Ordnung und Benennung, bestehen. Vielleicht ist bereits der Andrang von Tatsachen ein Symptom der Schwächung, ein hellenistischer Zug. Der Geist wird zum Museumsdirektor, zum Kustos unkontrollierbarer Sammlungen.
Bereits aus diesem Grunde ist Spenglers System mit seiner Einteilung in acht Kulturen dem Toynbees vorzuziehen, das sich auf deren einundzwanzig stützt. Auch diese Zahl könnte durch archäologische Ergebnisse und feinere Einteilung vermehrt werden. Es bleibt aber richtig, daß der Geist der Forschung die Aufträge erteilt, nicht umgekehrt. Tatsachen schaffen Belege, nicht Wahrheiten. Wo geforscht wird, wurde das Feld bereits durch geistige Vetos und Placets abgesteckt. Was gefunden wird, ist daher nicht zufällig.



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