Zur Rettung des Landes

Zur Rettung des Landes

Einband:
Paperback
EAN:
9783593386133
Untertitel:
Bildung und Beruf im China der Republikzeit
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Barbara Schulte
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 04.2008
Anzahl Seiten:
302
Erscheinungsdatum:
30.04.2008
ISBN:
978-3-593-38613-3

In der ersten chinesischen Republik von 1912 war die Verbindung von Bildung und Beruf in Form der Berufsbildung ein relativ neues Phänomen, das in der Gesellschaft auf wenig Akzeptanz traf. Gleichzeitig wurde die Berufsbildung seitens reformorientierter Eliten als effizientes Mittel zur Modernisierung und damit der "Rettung des Landes " gepriesen. Barbara Schulte führt vor Augen, wie diese Modernisierer zwischen eigenen Traditionen und westlicher Moderne zu vermitteln suchten - ein kreatives Zusammenspiel der Kulturen, das bis heute seine Spuren hinterlassen hat.

Ausgezeichnet mit dem Julius-Klinkhardt-Preis zur Förderung des Nachwuchses in der Historischen Bildungsforschung


Autorentext
Dr. Barbara Schulte war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Aktuell ist sie Research Fellow am Centre for East and South-East Asian Studies an der Universität Lund, Schweden.

Leseprobe
Die vorangegangenen Überlegungen und Analysen konnten nur ausschnittweise aufzeigen, wie sich eine - im Verbund zusammengeschlossene, aber nicht unbedingt immer die gleichen Interessen oder Meinungen vertretende - Gruppe von Akteuren nach ihren Bildern einer funktionierenden oder angemessenen Berufsausbildung ein Ausbildungssystem zu formen versuchte, das jedoch aufgrund der politischen Ereignisse in den Kinderschuhen stecken blieb und weniger ein in sich kohärentes System darstellte als die Umsetzung unterschiedlicher Lösungswege. "Beruf" und "Bildung" kamen dabei seitens der Akteure höchst unterschiedliche Bedeutungen zu, wie auch unterschiedliche semantische - moderne wie traditionelle - Ressourcen aktiviert wurden, um "Beruf" und "Bildung" mit Sinn zu füllen. "Berufsbildung" erwies sich im Diskurs nicht nur als ein Instrumentarium, für bestimmte Berufe notwendige Qualifikationen zu vermitteln; in den Vorstellungen der Akteure zur Berufsbildung und den ihr zugeschriebenen Funktionen kamen vielmehr auch - teils normative, ideologisch aufgeladene - Annahmen über Individuum, Gesellschaft und Nation zum Ausdruck, die für die weitere chinesische Bildungsgeschichte wie auch für den chinesischen Modernisierungsprozess prägend sein sollten. Obwohl traditionelle Vorstellungen und Praktiken der beruflichen Ausbildung durchaus Anknüpfungspunkte dafür boten, wurde der "Beruf" nur von einer Minderheit der Akteure als lebensbestimmendes Ganzes konzeptualisiert. Anders als im deutschen Kontext konnte sich in den chinesischen Repräsentationen um "Bildung" und "Beruf" eine "Beruflichkeit als organisierendes Prinzip " kaum etablieren. Nur einige wenige Akteure leiteten einen tieferen, gestalterischen Sinn aus der Kombination von "Kunst" und "Berufung" ab und sahen den so gefundenen und ausgeübten Beruf gar als glücksbringend an. Für die Mehrheit der am Diskurs beteiligten Akteure war es nicht das "Glück", das sich quasi aus dem Beruf selbst heraus ergab, sondern die "Freude", der Gesellschaft zu dienen, welche dem Ausüben eines Berufs Sinn verleihen konnte. Das traditionelle Konzept der "Kultivierung" und "Vollkommenheit" (xiushen) wurde damit auf unterschiedliche Art und Weise reaktiviert: Während es für eine Minderheit die Kultivierung und Vervollkommnung des Selbst aus dem idiosynkratischen Charakter des jeweils ausgeübten Berufs heraus bedeutete, verstand die Mehrheit der Akteure "Beruf" vor allem als "Tätigkeit" oder "Arbeit ", die als sozialisatorische Maßnahmen instrumentalisiert werden konnten. Auf eben diese Funktion reduzierten die meisten Akteure auch das traditionelle Meister-Lehrlings-Prinzip: Diese Form der Ausbildung schien ein Arsenal an Disziplinierungsmöglichkeiten bereitzustellen, an denen es der "modernen", rein schulischen Berufsausbildung in den Augen vieler Akteure noch mangelte. Im Grunde wurde damit das Meister-Lehrlings-Prinzip synonym mit dem von Zhuang Yu propagierten "Fleiß-Prinzip" - der Beruf an sich war verloren gegangen. Nicht nur traditionelle Ressourcen wurden unterschiedlich aktiviert; auch das durch die Akteure über Studienreisen, Erfahrungsberichte und wissenschaftliche Werke erfahrene Ausland stellte verschiedene Ressourcen bereit, auf deren Grundlage über "Beruf" und "Bildung" nachgedacht und diskutiert werden konnte. Vor allem die USA - und hier insbesondere Deweys Pragmatismus - wurden dazu bemüht, den disziplinierenden und sozialisatorischen Charakter der beruflichen Ausbildung hervorzuheben. Denn wenngleich Ideen wie die freie Persönlichkeitsentfaltung etwa über die Psychologie oder Methoden der Berufsberatung durchaus rezipiert wurden, so dominierte doch die Auffassung, dass beispielsweise sportliche und psychologische Maßnahmen vor allem eine moralisierende Funktion hatten, welche das Individuum nutzbringend in die Gemeinschaft integrieren sollten. Allerdings galten die USA auch als Land, in dem durch die Auflösung der Berufsbildung in der allgemeinen Bildung die soziale Differenzierung weitgehend aufgehoben war. Deutschland hingegen war sowohl für die Verfechter als auch für die Gegner einer sozialen Segregation mittels Bildung das Beispiel für ein vertikal gegliedertes Bildungssystem, in dem berufliche und allgemeine Bildung gleichzeitig unterschiedliche soziale Schichten repräsentierten. Darüber hinaus wurde auch der hohe Stellenwert wahrgenommen, der im deutschen Kontext den jeweiligen Berufen und ihren Ausbildungsgängen zukam. Vor allem Deutschland lieferte den Beweis dafür, dass auch in einem modernen Nationalstaat außerhalb der Schule effektiv (aus-)gebildet werden konnte und damit traditionelle Wege der beruflichen Ausbildung erfolgreich in die Moderne übersetzt werden konnten. Jedoch wurde die systematische Ausbildung im Betrieb nur von einer Minderheit der Akteure als praktikabel für den chinesischen Fall angesehen. Zum einen lag dies sicherlich im schlechten Ruf der Gilden und Zünfte begründet, die ihre Auszubildenden häufig wie Leibeigene behandelten. Zum anderen war aber auch ohne Zweifel die generelle Einstellung gegenüber "Beruf" und "Bildung" für die fehlende Bereitschaft verantwortlich, "Berufsbildung" anders als in schulischer Form zu denken: Die Verknüpfung von "Beruf" mit "Bildung" machte es geradezu unabdingbar, dass "Berufsbildung" in einem höherwertigen Umfeld zu erfolgen hatte als die traditionelle berufliche Qualifikation - nämlich in der Schule. Spätere Entwicklungen in den 1920er Jahren, im Zuge derer die berufliche Ausbildung mehr und mehr auf Bereiche außerhalb der Schule verlegt wurde, kehrten diese Grundansicht nicht wirklich um: Die Schule hatte zwar in der Realität als Ort der effektiven Wissensvermittlung für die berufliche Qualifizierung verloren. Sie wurde jedoch keinesfalls durch "gleichwertige" Formen der Ausbildung ersetzt; vielmehr wurden ihre wahrgenommenen Unzulänglichkeiten in Form einer ad-hoc stattfindenden Flickarbeit ausgebessert, etwa durch Bildungskampagnen auf dem Land oder durch den Auf- und Ausbau der Berufsberatung. Dass die Schule für lange Zeit - und im Prinzip bis heute - als der einzig mögliche vollwertige Ort der Vermittlung beruflichen Wissens gesehen wurde, hing wiederum eng mit der dominanten Stellung der Vertreter aus Politik, Bildungswesen, Medien und kulturellen Einrichtungen im Diskurs zusammen. Diese Repräsentanten der chinesischen intellektuellen, "klassischen" wie "modernen " Elite, welche die berufliche Qualifizierung als eine Spielart von "Bildung " umzuinterpretieren suchten, konnten in der überwiegenden Mehrzahl konzeptionell auf keine andere Form als die der Schule zurückgreifen, die seit jeher das Symbol schlechthin für "Bild…


billigbuch.ch sucht jetzt für Sie die besten Angebote ...

Loading...

Die aktuellen Verkaufspreise von 6 Onlineshops werden in Realtime abgefragt.

Sie können das gewünschte Produkt anschliessend direkt beim Anbieter Ihrer Wahl bestellen.


Feedback