Gesammelte Werke Band 5: Aufzeichnungen 1954-1993

Gesammelte Werke Band 5: Aufzeichnungen 1954-1993

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783446205529
Untertitel:
Die Fliegenpein / Nachträge aus Hampstead / Postum veröffentlichte Aufzeichnungen
Genre:
Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Autor:
Elias Canetti
Herausgeber:
Hanser C.
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
480
Erscheinungsdatum:
20.08.2004
ISBN:
978-3-446-20552-9

Die Aufzeichnungen sind Canettis intellektuelles Tagebuch, sie galten ihm als das Wichtigste in seinem Werk. Die Themen in diesem Band: der Krieg, Vezas Tod, England und der Abschied von England, und immer wieder Canettis Verzweiflung über fehlende Anerkennung. Mit Band 4 und 5 der Werkausgabe liegen die Aufzeichnungen in der von Canetti vorgesehenen Auswahl nun vollständig vor. Ein Register der erwähnten Personen, Werke und Orte erschließt dieses wichtige Werk des Jahrhundertlesers Elias Canetti.

Autorentext
Elias Canetti wurde 1905 in Rustschuk/Bulgarien geboren und wuchs in Manchester, Zürich, Frankfurt und Wien auf. 1929 promovierte er in Wien zum Dr. rer. nat. 1930/31 erfolgte die Niederschrift seines Romans Die Blendung, der 1935 erschien. 1938 emigrierte Canetti nach London, wo er anthropologische und sozialhistorische Studien zu Masse und Macht (1960) aufnahm. Ab den 1970er Jahren lebte er vorwiegend in der Schweiz und erlangte weiterreichende Berühmtheit mit seinen Theaterstücken, den Aufzeichnungen und den autobiographischen Büchern, darunter Die gerettete Zunge. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1994 starb er in Zürich.

Leseprobe
Ich bin in ein Labyrinth der merkwürdigsten Gedanken geraten, vielleicht weil ich mich nicht davor gescheut habe, mich dieser Zeit zu stellen, vielleicht aus Prahlerei, einer Art jugendlicher Überzeugung, daß selbst sie geistig zu bewältigen wäre, aber was immer der Grund jetzt ist das Labyrinth da, und ich bin mitten darin und ich muß anderen wie mir selbst einen Weg hinaus zeigen. Vergiß nicht, daß du für manche so dumm bist, wie der Dümmste für dich. Ein Park in London: viele und unbekannte Menschen, nicht zu nah, nicht zu fern, alle im milden Licht des Spätsommers, solche die liegen, solche die stehen, Sitzende, Gehende, alle am Leben unter einem warmen Himmel, niemand schreit, niemand streitet, jeder kommt und geht frei, allein, mit andern, mit wem er will, und solange er bleibt, ist niemand durch ihn beengt oder traurig. Es ist, als könnten die Menschen ins Paradies, ohne darin bleiben zu müssen und als würden sie für keine Sünde je daraus verstoßen. Es scheint mir, daß ohne eine neue Einstellung zum Tode über das Leben nichts wirklich zu sagen ist. Das Dasein will überall sein, sonst ist es kein Dasein. Ich anerkenne keinen einzigen Tod. Daß auch Mücken und Flöhe sterben, macht mir den Tod nicht begreiflicher als die furchtbare Geschichte von der Erbsünde. Es macht keinen Unterschied, ob etwas von uns noch irgendwo weiter besteht oder nicht. Wir leben hier nicht genug. Wir haben keine Zeit, uns hier zu bewähren. Und da wir den Tod anerkennen, verwenden wir ihn. Wie sollte es keine Mörder geben, solange es dem Menschen gemäß ist zu sterben, solange er sich nicht dafür schämt, solange er den Tod in seine Institutionen eingebaut hat, als wäre er ihr sicheres, bestes und sinnvollstes Fundament? Die anscheinende Zweckmäßigkeit der Organismen hat uns am meisten irregeführt. Die massa damnata des Augustin ist das römische Erbteil der Schlacht. Wer den Eigen-Jammer zu sehr verachtet, fühlt auch den fremden nicht mehr. Stoiker Die wahren Dinge, die ich von mir erzähle, kommen mir am ehesten wie Lügen vor. Andere Herzen einsetzen, statt von Hyänen die von Pferden. Es wäre besser, wenn alle Götter bloß ausgewandert wären und man sie auf einem anderen Sterne wiederfände. Ich hasse die Geschichte; ich lese nichts lieber; ich schulde ihr alles. Eine Peterskirche voller Päpste. N. will jede Berührung rückgängig machen, sobald er erfährt, daß jemand tot ist. Er fürchtet eine nachträgliche Ansteckung durch den Tod. Er glaubt, am Leben bleiben zu können, wenn er die Toten wirksam, auch in sich wirksam verleugnet. Um den Tod zu vermeiden, bringt er seine Toten ganz um. Händler aus Versöhnlichkeit. Händler aus Zanksucht. Grade der Verzweiflung: sich an nichts erinnern, an manches, an alles. Bei verschiedenem Lichte denken. Die unleserlichen Philosophen unterwerfen sich keiner Änderung ihres Lichts. Der Turm von Babel aus Knochen, und alle Sprachen verlernt. Jedes Gespräch regt ihn furchtbar auf, nach einem Jahr. Der Glückliche, dessen Bedenken sich betrinken. Sie empfängt und verabschiedet ihn mit Tränen; sie gibt ihm Tränen zu essen. Sie zieht ihm Tränen an. Sie liest ihm Tränen vor. Die Gebete, mit denen sie sich Gott entziehen. Bei diesem Volk wird das Geld vom König rein geleckt. Zwangsweise Namensänderung alle fünf Jahre. Das Schicksal der Berühmten. Ihre Schwindeleien. Die diabolische Freude der Toten, weil wir nichts über sie wissen. Die Elektra des Sophokles enthält den Tod in jeder Form. Sie steht im Schatten eines Mordes und führt zu zwei weiteren. Es sind Morde in konzentriertester Form, der erste an einem Gatten, Agamemnon, an einer Mutter, Klytämnestra, der zweite. Nur der dritte, letzte ist der Mord an einem Liebhaber, der kein naher Blutsverwandter ist. Elektra ist immer vom Gedanken an den Tod ihres Vaters erfüllt. Ihr Bruder, Orestes, den sie zum Rächer bestellt hat, lebt in einer anderen Stadt; er ist immer in Verbindung mit ihr. Jetzt, da er endlich anlangt, läßt er die Nachricht von seinem eigenen Tod verbreiten. Man erlebt die Wirkung dieser Nachricht auf Klytämnestra und Elektra zugleich. Der Bote schilder


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