Abschied vom Provisorium

Abschied vom Provisorium

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783421067371
Untertitel:
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 19821990 - Band 6
Genre:
Zeitgeschichte-Sachbücher (1946 bis 1989)
Autor:
Andreas Wirsching
Herausgeber:
DVA
Anzahl Seiten:
848
Erscheinungsdatum:
04.04.2006
ISBN:
978-3-421-06737-1

Als 1982 Helmut Kohl unter dem Schlagwort der"geistig-moralischen Wende"Kanzler wurde, hofften seine Anhänger auf Stabilität nach den unruhigen siebziger Jahren, seine Gegner fürchteten eine Zeit der Restauration. 1990 lag die erste Hälfte seiner Kanzlerschaft hinter ihm: Sie war geprägt von Auseinandersetzungen um Nachrüstung und Umweltpolitik; Massenarbeitslosigkeit und Rentendiskussion verunsicherten die Bevölkerung, die Medienlandschaft wurde revolutioniert.
Andreas Wirsching entwirft ein breites Panorama der achtziger Jahre. Er spürt den Tiefenkräften der bundesdeutschen Gesellschaft nach und beschreibt einen Epochenwechsel, der sich in drei Erscheinungen ausdrückt: einer Individualisierungsspirale, der Expansion des Sozialstaats und der Unterspülung seiner Fundamente infolge des demographischen, ökonomischen und soziokulturellen Wandels. Am Ende stand jedoch das alles überstrahlende Ereignis: die Wiedervereinigung.

Als 1982 Helmut Kohl unter dem Schlagwort der »geistig-moralischen Wende« Kanzler wurde, hofften seine Anhänger auf Stabilität nach den unruhigen siebziger Jahren, seine Gegner fürchteten eine Zeit der Restauration. 1990 lag die erste Hälfte seiner Kanzlerschaft hinter ihm: Sie war geprägt von Auseinandersetzungen um Nachrüstung und Umweltpolitik; Massenarbeitslosigkeit und Rentendiskussion verunsicherten die Bevölkerung, die Medienlandschaft wurde revolutioniert.
Andreas Wirsching entwirft ein breites Panorama der achtziger Jahre. Er spürt den Tiefenkräften der bundesdeutschen Gesellschaft nach und beschreibt einen Epochenwechsel, der sich in drei Erscheinungen ausdrückt: einer Individualisierungsspirale, der Expansion des Sozialstaats und der Unterspülung seiner Fundamente infolge des demographischen, ökonomischen und soziokulturellen Wandels. Am Ende stand jedoch das alles überstrahlende Ereignis: die Wiedervereinigung.

Autorentext
Andreas Wirsching, geboren 1959, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Instituts für Zeitgeschichte.

Leseprobe
Einführung: Epochenwechsel

Dies ist der sechste Band der Reihe »Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«, die von 1981 bis 1987 erschien. Daß er anders aussieht als seine Vorgänger, hängt mit seinem Gegenstand zusammen. Denn als die Reihe begründet wurde, spiegelte sie einen sehr spezifischen Zeitgeist wider. In den achtziger Jahren verabschiedete sich die »alte« Bundesrepublik endgültig von ihrem Selbstverständnis als Provisorium, und als sie im Mai 1989 auf vier Jahrzehnte ihres Bestehens zurückblicken konnte, war sie tatsächlich viel mehr, ja im Grunde »ein ganz normaler Staat«: Sie war zu einem weitgehend souveränen deutschen Teilstaat mit einer eigenständigen Staatsräson und einem etablierten Platz im westlichen Bündnis geworden. In ihr hatten sich neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse ebenso entfaltet wie eine spezifische politische Kultur. Als Teilstaat verfügte die Bundesrepublik über eigene Traditionen und eine eigene Geschichte: eine Geschichte, von der viele glaubten, der Zeitpunkt sei nunmehr gekommen, ihr einen angemessenen Platz in der interessierten Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Idee, die Geschichte der Bundesrepublik als Teilstaat in einem großen, mehrbändigen und repräsentativ ausgestatteten Werk darzulegen, atmete mithin den gleichen Geist wie das ebenfalls in den achtziger Jahren vorangetriebene Vorhaben, ihre Geschichte im Museum auszustellen. »Wie sehr sie sich dagegen gesträubt hat, die Bundesrepublik Deutschland hat eine Geschichte, und diese soll erzählt werden.«
Nun gehört es zu den größten Ironien der neuesten deutschen Geschichte, daß der tatsächliche Abschied vom Provisorium zu eben jenem Zeitpunkt gleichsam »passierte«, als sich die »alte« Bundesrepublik definitiv von ihrem Selbstverständnis als Provisorium löste. 1989/90 vollzog sich der Abschied vom Provisorium also in ganz anderer Weise, als ihn die große Mehrheit der Westdeutschen gerade vorzunehmen im Begriff war. Dem entspricht es, wenn das vorliegende Buch eine doppelte Sichtweise eröffnet. Zum einen weiß es sich seinen Vorgängern und der Konzeption der Reihe insofern verpflichtet, als es mehr oder minder strikt aus der Perspektive der (alten) Bundesrepublik geschrieben ist. Zum anderen aber kann und will es natürlich nicht verleugnen, daß sein Standort in der »neuen« Bundesrepublik liegt. Äußerlich ist dies schon
daran erkennbar, daß ihm die bewußt repräsentative Ausstattung seiner Vorgänger fehlt.
Verführerisch, aber aus den bereits genannten Gründen inadäquat wäre es, den achtziger Jahren ex post einen wiedervereinigungsgeschichtlichen Subtext einzuschreiben. Den dramatis personae mag sich eine solche Anschauung aufdrängen, faktisch aber hat es ihn nicht gegeben. Andererseits verändert die weltgeschichtliche Zäsur von 1989/91 den Blick auf den Gegenstand, was dieses Buch von seinen Vorgängern unterscheidet. Sie erleichtert zugleich die Antwort auf die Frage, ob es der Historiker überhaupt wagen könne, sich auf einen solchen Stoff der jüngsten Geschichte einzulassen. Denn unstreitig entkräftet der Epochenwechsel den klassischen Einwand einer zu geringen zeitlichen Distanz zum Gegenstand.
Wie tief die Zäsur und wie weit entfernt der im folgenden verhandelte Gegenstand zum Teil bereits ist, zeigt sich nicht nur an den politischen Daten. Auch andere, gleichsam stillere Beispiele wie etwa die Geschichte der Wiedergutmachung weisen in die gleiche Richtung. So stimmten in den achtziger Jahren viele Experten darin überein, darunter auch der Nestor der Materie, Walter Schwarz, die Wiedergutmachung sei nun zum Abschluß gekommen.
Auch die technisch-kulturelle Entwicklung unterstreicht den Epochenwandel. So stellte etwa die Bundesregierung nach ihrem Wahlsieg vom 2. Dezember 1990 Überlegungen zur künftigen Finanzierung der deutschen Einheit an. Am 8. Januar 1991 beschloß die Koalitionsrunde unter anderem, den Telefontakt um einige Sekunden zu verkürzen, um die dadurch erzielten Mehreinnahmen der Bundespost in die Gestaltung der inneren Einheit zu investieren. Bedenkt man, welche Entwicklung das Telekommunikationswesen seitdem genommen hat, so wird die Geschwindigkeit des Umbruchs ebenso deutlich wie die Untauglichkeit des damaligen Vorschlags.
Solche Beispiele, deren Liste sich unschwer vermehren ließe, zeigen schlaglichtartig, wie groß die Distanz zu den achtziger Jahren inzwischen geworden ist. Und nimmt man Hans-Peter Schwarz beim Wort mit seinem Plädoyer für ein Schreiben der »neuesten Zeitgeschichte«, wenn sie noch »qualmt«, und das heißt nach der »tiefen, weltgeschichtlichen Zäsur« von 1989 bis 1991, dann befinden wir uns auf den folgenden Seiten schon auf hinreichend sicherem Terrain. Tatsächlich qualmt die Geschichte der achtziger Jahre nicht mehr, wenngleich sie zweifellos noch glüht, um im Bilde zu bleiben. Während daher die »Primärerfahrung« der Akteure und Zeitzeugen noch einen wichtigen zeitgeschichtlichen Zugang zu den achtziger Jahren bildet, lassen sie sich doch zugleich schon als Gegenstand wissenschaftlicher Geschichtsschreibung konstituieren. Das gilt auch, wenn entscheidende Kontinuitäten wie etwa im Bereich der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sowie der kulturellen Entwicklungen bis in die unmittelbare Gegenwart hineinreichen. Sie sind unübersehbar und werden im Verlauf der Darstellung gebührend zur Geltung kommen.
Der andere klassische Einwand gegen die historische Beschäftigung mit der jüngsten Zeitgeschichte betrifft den Quellenzugang. Zwar unterlagen auch die Forschungen zu diesem Buch der dreißigjährigen Sperrfrist staatlicher Akten. Allerdings gilt dies nicht für die Bestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO), auf die vor allem für die Analyse der Deutschlandpolitik exemplarisch zurückgegriffen werden konnte. Haup…


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