Wir sind eigenartig, ohne Zweifel

Wir sind eigenartig, ohne Zweifel

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783312003174
Untertitel:
Die kritischen Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr Land
Genre:
Essays & Literaturkritiken
Autor:
Klara Obermüller
Herausgeber:
Nagel & Kimche
Auflage:
1. Auflage
Anzahl Seiten:
312
Erscheinungsdatum:
10.03.2003
ISBN:
978-3-312-00317-4

Eigenartig sind sie, die Schweizer, und wollen es nach einem Diktum von Max Frisch gerne bleiben. Zu dieser Eigenart gehört, als Teil der demokratischen Kultur, immer auch das Eingreifen der Schriftsteller in die politische Debatte ihres Landes. Klara Obermüller versammelt die vielfältigen Stimmen wichtiger Schweizer Autoren, die eine Kritik am System, an der Regierung, an der Mentalität oder an der Gesinnung geharnischt bis liebevoll formulieren. Entstanden ist eine Sammlung von Klassikern und Fundstücken, deren Klugheit verblüfft und deren Aktualität fast immer überrascht.
Mit Texten von Peter Bichsel, Walter M. Diggelmann, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Friedrich Glauser, Jeremias Gotthelf, Thomas Hürlimann, Meinrad Inglin
Hanna Johansen, Gottfried Keller, Hugo Loetscher, Niklaus Meienberg, Adolf Muschg, Paul Nizon, Carl Spitteler, Jean Rudolf von Salis u.a.

"Nicht alle schlafen in Helvetien. Die Lektüre macht Lust aufs Land, Lust auf die Politik - und fördert die Lust am Widerspruch." Roger Anderegg, Sonntagszeitung, 16.03.2003

Autorentext
Klara Obermüller, geboren in St. Gallen, Studium der deutschen und französischen Literatur in Zürich, Hamburg und Paris, seit Mitte der 60er Jahre journalistische Arbeiten, u.a. für die Zeitschrift für Kultur 'du', die 'Neue Zürcher Zeitung' und die 'Weltwoche', daneben Redaktorin und Moderatorin von 'Sternstunde Philosophie' im Schweizer Fernsehen DRS.

Klappentext
Eigenartig sind sie, die Schweizer, und wollen es, nach einem Diktum von Max Frisch, gerne bleiben - "Die Frage ist, ob man uns lässt." Zu dieser Eigenart gehört, als Teil der demokratischen Kultur, immer auch das Eingreifen der Schriftsteller in die politische Debatte ihres Landes, das sich stets selbst genug war und ist. Klara Obermüller versammelt in diesem Buch die vielfältigen Stimmen der wichtigen Schweizer Autoren, die eine Kritik am System, an der Regierung, an der Mentalität oder an der Gesinnung geharnischt bis liebevoll formulierten. Entstanden ist eine Sammlung von Klassikern und Fundstücken, deren Klugheit verblüfft und deren Aktualität fast immer überrascht. Mit Texten von Peter Bichsel, Walter M. Diggelmann, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Friedrich Glauser, Jeremias Gotthelf, Thomas Hürlimann, Meinrad Inglin Hanna Johansen, Gottfried Keller, Hugo Loetscher, Niklaus Meienberg, Adolf Muschg, Paul Nizon, Carl Spitteler, Jean Rudolf von Salis u.a.

Leseprobe
Über diesen Vorgang, um das weite Thema zu präzisieren, möchte ich nachdenken: über das Fremdwerden des Eigenen, über das Unheimliche, das aus der Heimat kommt.
Sie kennen es aus der Presse: Zur Zeit wird mein Land auf das Schmerzlichste mit seiner Vergangenheit konfrontiert, mit der Politik der Schweiz während der Nazizeit. Anno 39, wird erzählt, soll an der Tür des Schweizer Kriegsministers ein Zettelchen gehangen haben: Rudolf Minger, Eidgenössisches Militärdepartement, en cas de guerre sonnez deux fois im Kriegsfall bitte zweimal klingeln! Allzugroß, konnte man von diesem Zettelchen ablesen, kann die Furcht vor dem Dritten Reich nicht gewesen sein, was natürlich einen Grund hatte: Die Schweiz besorgte für das international isolierte Hitler-Regime die Banken- und Devisengeschäfte und konnte davon ausgehen, daß die Nazis kaum ihre eigene Bank überfallen. Geldgeschäfte wurden auch mit den Alliierten getätigt, und so hatte diese fleißig-servile Buchhalter-Politik einen edlen Namen: Neutralität. Zwischen Bern und Berlin sprach man zudem von der "doctrine suisse" und meinte damit, daß die Schweiz als ein Protektorat der Deutschen zu verstehen sei, allerdings nur im geheimen, nicht offiziell. Unsere Armee verteidigte keine Grenze, sondern einen randvoll gefüllten Tresor. Das Gold, wissen wir heute, stammte teilweise aus den Zähnen von KZ-Häftlingen. Am Schluß des Krieges mußte die Schweizer Regierung zwei Tage lang debattieren, ob sie das Kriegsende feiern darf oder nicht, ob sie zu den Verlierern gehört oder zu den Siegern. Schließlich entschied die Regierung: Wir lassen die Kirchtürme läuten, die Städte beflaggen. Die Bevölkerung nahm das Angebot an, strömte auf die Straßen und benahm sich als siegreiche Nation. Hatte man nicht eine Armee gehabt? Und gab es da nicht ein paar Arbeitslager, aus denen man Emigranten hervorholen und als gerettet präsentieren konnte? Die Glocken jubelten, die Soldaten defilierten, die Emigranten schwiegen. Ignazio Silone erzählte nach dem Krieg von einer Begegnung mit Robert Musil. Es sei ein ontologisches Kunststück, hatte Musil gesagt, als Emigrant in der Schweiz zu überleben. "Aber wenn wir einmal tot sind, werden sie sich rühmen, uns Asyl gewährt zu haben." "In der Tat", ergänzt Silone, "heute rühmen sie sich."
Wir haben uns so lange gerühmt, bis wir an unsern Ruhm geglaubt haben. Wir haben in einer Legende Platz genommen, und lange Zeit saßen wir bequem. Was hätte den Ruhm, die Ruhe stören können? Vor den Banken gab es keine Rampen, in den Tresorräumen keine Gasduschen, alles war sauber, war anständig, war "heimelig".
"Heimelig" ist ein schweizerdeutsches Wort und hat, zumindest in meinem Dialekt, kein Pendant. Sagen wir "heimelig", meinen wir das Heimatlich-Vertraute, während das Wort "unheimlich" in die Spukwelt gehört und mit dem Heimatlichen nichts zu tun hat. Das Heimelige, so glaubten wir, hat kein Gegensatzwort, kennt keinen Widerspruch, es steht für das Ganze, also für uns und unser Land. Natürlich ahnten wir, daß es im Heimeligen ein übertreibendes Wohlsein gibt, das ist der "Heimlifeiss", also der, der im Heimeligen feiss wird, das heißt fett und reich. Aber der Heimlifeiss hier klingt die zweite Wortbedeutung an treibt s im Verborgenen, im Heimlichen, öffentlich kommt er nicht vor.
Wir Schweizerinnen und Schweizer, meine Damen und Herren, stolpern zur Zeit durch einen Alptraum. Alles ist uns so vertraut wie zuvor, die Bank und die Fahne, das Glockenläuten


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