Sprach-Kritik

Sprach-Kritik

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783942393317
Untertitel:
Sprach- und kulturtheoretische Reflexionen im deutsch-jüdischen Kontext
Genre:
Philosophie
Autor:
Gerald Hartung
Herausgeber:
Velbrueck GmbH
Auflage:
1., Aufl.
Anzahl Seiten:
240
Erscheinungsdatum:
31.03.2012
ISBN:
978-3-942393-31-7

In diesem Buch geht es um die Freilegung einer fast vergessenen Tradition der Sprach- und Kulturtheorie, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erstreckt. Ihr Grundgedanke ist die Suche nach dem Sinn von Humanität, die Einsicht in die radikale Individualität menschlicher Lebensformen und die Forderung nach Anerkennung ihrer prinzipiellen Verschiedenheit.

Der Leitfaden des Buches ist die Darstellung einer sprachphilosophischen Denkrichtung, die das alte Rätsel vom Ursprung der Sprache in die 'Natur des Menschen' verlegt. Deutlich wird dabei, was immer schon implizit war: Jede Sprachtheorie enthält eine anthropologische These. In den sprachphilosophischen Reflexionen deutsch-jüdischer Denker von Heymann Steinthal und Moritz Lazarus bis zu Ernst Cassirer und Ludwig Wittgenstein wird über die Konsequenzen einer Theorie der Sprache nachgedacht, die ihre anthropologischen und kulturtheoretischen Implikationen mitbedenkt. Unmissverständlich stellen sie klar, dass die Gefahr einer idealistischen Verfehlung des Menschen droht, wenn die Sprache nicht auch an die körperliche, materiale Seite des Lebens geknüpft wird. Andererseits besteht die Gefahr einer naturalistischen Verfehlung der Komplexität des Phänomens Sprache, wenn die Möglichkeit einer schöpferischen, spontanen Expressivität nicht zumindest erwogen wird. In der Debatte über die Sprache, die im deutsch-jüdischen Kontext geführt wird, steht die Frage nach der 'Natur des Menschen' auf dem Spiel. Im Zeitalter der Ideologien, das auch in die Abgründe der Entmenschlichung geschaut hat, ist die Genese einer Theorie des Menschen und seiner kulturellen Formen, die auf die Aspekte radikaler Individualität und Pluralität setzt, auch ein Politikum. Und angesichts einer heute wieder interessierenden Verkürzung der Frage nach dem Menschen, die sich auf die Grundlagenforschung in den verschiedenen Fachrichtungen der Biologie verlässt, zeichnen sich die in diesem Buch vorgestellten sprach- und kulturtheoretischen Reflexionen durch kritisches Potential und Aktualität aus.

Autorentext
Gerald Hartung, Professor für Philosophie, mit den Schwerpunkten Kulturphilosophie und Ästhetik, an der Bergischen Universität Wuppertal. Zuvor Forschungs- und Lehrtätigkeit in Berlin, Leipzig, Hannover, Erfurt und Heidelberg. Veröffentlichungen u. a. Das Maß des Menschen (2003), Philosophische Anthropologie (2008).

Leseprobe
Ausgangspunkt meiner Untersuchungen ist das umfangreiche Werk des Sprachwissenschaftlers Heymann Steinthal, der sich über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren um das Erbe der vergleichenden Sprachforschung Wilhelm von Humboldts bemüht. Steinthal kämpft mit großem Enthusiasmus, manchmal auch verbissen und überreizt, aber zumeist in der Sache berechtigt, gegen einen naturalistischen Reduktionismus in der Sprachtheorie. Es gelingt ihm dabei, die ideologischen Prämissen seiner Gegner freizulegen, die bereit sind, in ihrem Streben nach einer Einheit der Natur und der Geschichte auf die schöpferischen Kräfte des Individuums, auf seine Spontaneität im Urteilsvermögen und seine spracherzeugende Fähigkeit zu verzichten, ja diese zu denunzieren. Steinthal kämpft mit allen Mitteln der wissenschaftlichen Analyse und Rhetorik gegen die Tendenzen zur Neutralisierung der sozio-kulturellen Gegensätze und für die Ermöglichung der Vielfalt sprachlichen und kulturellen Ausdrucks. Seine fundamentale Gedankenoperation impliziert einen Perspektivenwechsel in der geschichtlichen Analyse allgemein-menschlicher Phänomene. Statt auf den Ursprung der Menschheit zu blicken und im Bann dieser Fragestellung zu verharren, fordert er uns auf, alle sozio-kulturellen Formen, darunter zuerst die Sprache, als Erzeugnisse menschlicher Produktivität zu begreifen. Nach Steinthals Ansicht ergibt sich nicht aus einer vorgegebenen Natur der Sache, schon gar nicht derjenigen des Menschen, was Menschen-möglich ist. In seinen sprachtheoretischen Reflexionen skizziert Steinthal ein Konzept der Bildung des Menschen vorrangig durch Sprachtätigkeit, das eine anthropologische Prämisse aufweist: Der Mensch ist nicht von seiner Herkunft her bestimmt, sondern er zeichnet sich dadurch aus, dass er wird, was er sich im Austausch mit der Welt erarbeitet. Seine Zukunftsfähigkeit, seine prinzipielle 'Geöffnetheit' für Anderes, Fremdes, noch nicht Seiendes macht ihn von anderen Lebensformen unterscheidbar. [] Der gemeinsame Nenner der sprach- und kulturtheoretischen Reflexionen im deutsch-jüdischen Kontext ist, dass wir Menschen uns in der Sprache in die soziale Welt integrieren und zu uns selbst kommen. Der Optimismus des 19. Jahrhunderts, der in der Ablösung des Menschen von seiner sozialen Herkunftsbestimmung und Öffnung für eine unbestimmte Zukunft die Bedingung für die Humanisierung der Menschheit gesehen hat, hat seinen Niederschlag in den genannten Analysen zur Sprache, zur Entwicklung von Sprache und Vernunft, zum Gespräch, zum Humor, zum Takt wie auch mit negativen Vorzeichen in der fulminanten Sprachkritik gefunden. Überall geht es um einen Kampf für die Freiheit des Individuums und um ein Plädoyer für die Vielfalt menschlicher Ausdrucks- und Lebensformen. Das Ende dieser Traditionslinie wird markiert in der Theorie durch den Siegeszug des Naturalismus in den Naturund Kulturwissenschaften und in der Praxis durch die ungeheuerlichen Konsequenzen der Biopolitiken, die das Selbstbild unserer modernen Kultur erschüttert haben. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, die Theoretiker eines Humanisierungsprozesses der Menschheit im Licht der von Deutschland ausgehenden Katastrophe des Humanen nachträglich für naiv zu erklären. Die Sprach- und Kulturtheoretiker des 19. Jahrhunderts konnten nur eine vage Vorahnung davon haben, mit welcher Effizienz das folgende Jahrhundert die Koordinaten eines vertrauten und (selbst)verständlichen Umgangs mit Welt, die Prämissen von Weltorientierung zerstören wird. Nahezu verzweifelt ist Ernst Cassirers Versuch, sich dieser Einsicht zu versperren und dafür die abendländische Geistesgeschichte zur Abstützung seiner These, dass trotz aller Rückschläge die Kulturentwicklung 'einem tieferen teleologischen Grund' verpflichtet bleibt, heranzuziehen. [] Um zu erkennen, was Humanität als Ideal kultureller Entwicklung ist, müssen die theoretischen Konzepte einer Humanisierung der Menschheit erörtert werden. Das ist eine Aufgabe, der die folgenden Kapitel gewidmet sind. Gezeichnet werden die Umrisse einer Theorie der modernen Kultur, deren Leitlinien auch heute noch bedenkenswert sind, weil sie dem Aufbau der geschichtlichen, sozio-kulturellen Welt gewidmet sind und in diesem konstruktiven Zug Anhaltspunkte für ein gelingendes Zusammenleben in einer ständig sich verändernden Welt geben. (Aus der Einleitung)

Inhalt
Vorwort Einleitung Das Ereignis der Sprache Kapitel 1 Von der Sprache als einem Ereigniss Heymann Steinthal Kapitel 2 Der Ursprung der Sprache aus fast Nichts Lazarus Geiger Kapitel 3 Der Geist der Sprache Moritz Lazarus Kapitel 4 Der Friede des Humors Hermann Cohen Kapitel 5 Über den Tact als Form der Geselligkeit Georg Simmel Kapitel 6 An den Grenzen der Sprach-Kritik Fritz Mauthner Kapitel 7 Von der Sprachkritik zu einer Kritik der Kultur Ernst Cassirer Schluss Sprache, Kultur und Identität


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