Schauspielen Theorie

Schauspielen Theorie

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783940737953
Untertitel:
Deutsch
Genre:
Musik, Film & Theater
Autor:
Bernd Stegemann
Herausgeber:
Theater der Zeit GmbH
Auflage:
1., Auflage
Anzahl Seiten:
240
Erscheinungsdatum:
02.12.2010
ISBN:
978-3-940737-95-3

Wir alle schauspielern im Alltag. Wenn wir flirten, verhandeln, streiten, loben, feilschen oder kritisieren. Wir nehmen eine Rolle ein, verkörpern ein Image und wollen ein bestimmtes Bild von uns produzieren. Im Alltagstheater sind wir mehr oder weniger erfolgreiche Darsteller unseres Selbst. Und doch gibt es in diesem alltäglichen Schauspiel Menschen, die das Spielen zu ihrem Beruf gemacht haben. Diese professionellen Menschen nennt man Schauspieler. Sie wiederholen das Theater des Alltags, verwandeln es in die sekundäre Realität der Bühne, um ein Publikum zu unterhalten, zu rühren, zum Lachen zu bringen oder zu belehren. Die schauspielerische Tätigkeit ist die älteste Kunst der Mitteilung und ihre Erscheinungsformen sind so vielfältig wie die Geschichte des Menschen. In diesem dritten Band der Lektionen wird ein Überblick gegeben über die Erfindung des Schauspielens als Beruf. Zwanzig Quellen, die systematisch unterteilt und kommentiert sind, stellen die wichtigsten Schauspieltheorien dar

Autorentext
Bernd Stegemann ist Chefdramaturg der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin und Professor für Dramaturgie und Theatergeschichte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch .

Leseprobe
I. Alle, die im Theater sitzen, werden verbunden durch ein Gefühl. Die Zwistigkeiten erblassen, die Unterschiede schmelzen, das Menschliche bricht vor. Die Duse spielt.(1) Schauspieler und Schauspielerinnen sind in allen Epochen Menschen gewesen, die eine besondere Beachtung erfahren haben. Am Beginn der europäischen Theatergeschichte, im antiken Griechenland, löste sich der erste Schauspieler aus dem Chor der Sänger, die den Mythos einer Gottheit vortrugen. Dieser Protagonist stellte sich dem einigen Gesang entgegen und begann mit dem Antagonisten des Chores einen Wechselgesang. Ritual und Orgie, wie der Gottesdienst auch genannt wurde, Tanz, Gesang und Maskenspiel bildeten ein Fest, das zu den jährlichen Dionysien als Wettkampf aufgeführt wurde. Bald traten der zweite und dritte Schauspieler heraus und das Drama, wie es uns in der griechischen Tragödie überliefert ist, spielte sich vor den Augen der Gemeinschaft des Chores und der Bürger der Stadt ab. In der christlichen Geschichte Europas wurde dem Stand der Schauspieler lange mit Argwohn begegnet. Das fahrende Volk, die Spaßmacher und Jahrmarktsgaukler brachten die Menschen zum Lachen und entzogen sie dadurch der strengen Aufsicht der Kirche und der weltlichen Macht für die kurzen Momente des Theaters. Auch waren ihre Verwandlungskunststücke suspekt, da sie die fest gefügte Ordnung als veränderbar erscheinen ließen. Konnte das machtvolle Gewand etwa nur sein Kostüm sein, das man wechseln kann? Im elisabethanischen Theater ging diese anarchische Tradition des Volkstheaters eine historisch einmalige Verbindung mit dem schriftstellerischen Genie Shakespeares ein. Es entstand das Welttheater nicht nur dieser Epoche. Die Aufklärung, deren entfernte und etwas orientierungslose Kinder wir sind, erfand das Drama und den Schauspieler wiederum neu. Dieser sollte nun ein Stellvertreter des bürgerlichen Zuschauers sein. In seiner Kunst der Verkörperung suchten die ernsten Themen der normalen Menschen ein Mittel, um über sich selbst nachdenken zu können. In der Folge dieser Fähigkeit stellvertretend für die Zuschauer Gefühle und Gedanken zu haben, Handlungen zu vollziehen und Erfahrungen zu machen wurden die Schauspieler zu bewunderten Menschen. Virtuosen der Leidenschaft, Meister der Verführung, Titanen der Tatkraft und Künstlerseelen der Empfindung all diese Eigenschaften wurden ihnen vom Publikum zugeschrieben. Von nun an sind sie die ideale Projektionsfläche für eine Existenz, die aus verdrängten Gefühlen, unterdrückten Handlungen und abgestumpften Empfindungen besteht. Was der Alltag aus den Menschen macht, wird in den Stunden des Theaters vergessen. Im Spiel des Schauspielers verzaubert sich das Leben wieder. Sein Feuer entflammt die Herzen, seine Verführung berührt die Seelen und sein sprachliches Geschick betört die Vernunft. Die Grenze zwischen der dargestellten Figur und seinem Darsteller verschwimmt. Bei diesem Romeo wäre man selbst gerne Julia und für dieses Gretchen könnte man noch mal wieder jung werden. Dass die Texte auswendig gelernt, die Gefühle hergestellt und die Leidenschaften aufgebläht sind, nimmt man gerne in Kauf für das Erlebnis, an einem gesteigerten Leben teilnehmen zu dürfen. Die moderne Entwicklung der Theaterkunst kann und will diese Freude an der identifizierenden Projektion nicht weiter unterstützen. Sie zerstört im Gleichklang mit den Avantgarden der anderen Künste das genussvolle Verhältnis des Menschen zum Gegenstand seiner Betrachtung. Die Welt wird kriegerisch und unberechenbar. Die Dramen werden rauer, die Ästhetik der Theater verfährt ungnädig mit den Wahrnehmungsgewohnheiten seiner Zuschauer und das Spiel der Schauspieler muss sich dieser Entwicklung unterwerfen. Regisseure bestimmen nun die Interpretation und Spielweise. Der bewunderte Schauspieler wird zu einem Teil des großen Kunstwerks Theater. Heute hat sich der Beruf des Schauspielers in zahlreiche einzelne Professionen aufgesplittert. Wollte man diese multiplen Anforderungen in einem Überblick darstellen, so würde man auf die vier großen Bereiche menschlicher Darstellungskunst kommen: dramatisches Spiel, episches Spiel, Performance und Laienspiel. Die bürgerliche Geschichte des Schauspielers beginnt im 18. Jahrhundert mit der Anforderung, dass sein Spiel in einer vorgestellten Realität des Dramas und der Bühne glaubwürdig sein möge. Die Figur, die er spielt, soll nachvollziehbar handeln und emotional berühren. Damit die Figur auf der Bühne so wirkt, muss ihr Darsteller die Gefühle und Handlungen glaubwürdig herstellen können. Was jedoch unter glaubwürdig verstanden wird, ist den Moden des Geschmacks unterworfen. Die Techniken der schauspielerischen Darstellung ändern sich mit diesen Moden, um die immer neuen Gewänder der Glaubwürdigkeit erzeugen zu können. Im Theater war das Spielen hinter der Vierten Wand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für viele Jahrzehnte das bestimmende Paradigma. Der Schauspieler ließ seine Figur auf der Bühne, die meistens ein Zimmer war, so agieren, als gäbe es keine Zuschauer. Diese saßen hinter der vorgestellten Vierten Wand und waren die abwesenden Zeugen des Dramas. Der Film hat diese Spielweise für sich übernommen und perfektioniert. Die Schauspieler spielen auf dem Filmset vor dem Auge der Kamera weder mit dieser noch nehmen sie die Künstlichkeit des Aufbaus wahr. Sie blenden während ihres Spiels das technische Arrangement und alle Zuschauer am Set aus, um ihre Figur als realen Menschen erscheinen zu lassen. Denn die dargestellte Figur hat natürlich kein Bewusstsein davon, dass sie gefilmt wird. Um dieses doppelte Bewusstsein als Filmschauspieler oder Schauspieler hinter der Vierten Wand herstellen zu können, benötigt er eine Technik, die eine besonders konsequente Form der Stanislawskischen psychophysischen Handlungen darstellt. (Siehe Kapitel 2 und 3) Der epische Spieler hingegen hat eine ältere Tradition. Der Volksschauspieler verfügt über die Technik, sich auf einem Jahrmarkt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Er muss seinen Auftritt so gestalten, dass sich im allgemeinen Trubel die Blicke auf seine Figur richten. Ein buntes Kostüm, eine laute Stimme, eine akrobatische Einlage, eine auffällige Maske alle diese Theatermittel sind notwendig, damit sich überhaupt ein Publikum aus dem Treiben des Marktes herausbildet. Ist die Theatersituation einmal hergestellt, muss sie durch ununterbrochene Reize weiter am Leben erhalten werden. Das Spiel dieser Schauspieler ist von dem permanenten Zwang getrieben, die Aufmerksamkeit der Menge bei sich zu halten. Sie spielen im vollen Bewusstsein über die Wankelmütigkeit der Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer. Ihr Spiel orientiert sich an diesen Schwankungen und kann durch Improvisationen und spielerisc…


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