Tagebücher

Tagebücher

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783940426888
Untertitel:
Band 12. 1922-1923
Genre:
Briefromane & Tagebücher
Autor:
Erich Mühsam
Herausgeber:
Verbrecher Verlag
Anzahl Seiten:
450
Erscheinungsdatum:
30.11.2017
ISBN:
978-3-940426-88-8

Auch in diesem Festungstagebuch von Oktober 1922 bis Januar 1923 ist Mühsam mit einer tristen Realität konfrontiert. Draußen ein Land, das unter den Sanktionen des Versailler Vertrags leidet und immer tiefer in die Krise rutscht, drinnen der krankmachende Stumpfsinn des Strafregimes. Mühsams Revolutionshoffnung findet kaum noch Nahrung, sein Blick auf das politische Geschehen wird bitterer. Doch Resignation kennt er nicht. Jeder Tageseintrag ist Suche nach Orientierung, Erkundung von Handlungsmöglichkeiten, Werben um Gleichgesinnte, Entwurf einer Zukunft, in der er wieder zu seiner Rolle als Vorkämpfer der klassenlosen Gesellschaft finden kann. Erich Mühsams Tagebücher sind ein einzigartiges Zeitdokument (FAZ), die historisch-kritische Ausgabe wird von Chris Hirte und Conrad Piens herausgegeben. Sie erscheint in 15 Bänden im Verbrecher Verlag und zugleich als Online-Edition mit einem umfassenden Anmerkungsapparat unter www.muehsam-tagebuch.de. Der Anmerkungsapparat bietet das vollständige Transkript, Faksimiles, Suchfunktionen, editorische Notizen, weiterführende Lektürehinweise sowie ein Personenregiste

Klappentext
15 Jahre lang, von 1910 bis 1924 hat Erich Mühsam, der berühmteste deutsche Anarchist sein Leben festgehalten - ausführlich, stilistisch pointiert, schonungslos auch sich selbst gegenüber - und niemals langweilig. Was diese Tagebücher so fesselnd macht, ist der wache Blick des Weltveränderers. Mühsam wollte Anarchie praktisch ausprobieren. Anarchie hieß für ihn: Leben ohne moralische Scheuklappen, ohne Rücksicht auf Konventionen - und er bewies, dass es geht. Auch das Schreiben ist Aktion, in allen Sätzen schwingt die Erwartung des Umbruchs mit, den er tatsächlich mit herbeiführt: Die Münchner Räterevolution ist auch die seine, und die Rache der bayerischen Justiz trifft ihn hart. Mühsam Tagebuch ist ein Jahrhundertwerk, das es noch zu entdecken gilt, es erscheint in 15 Bänden - und zugleich als Online-Edition. Die gewissenhaft edierten Textbände werden im Netz unter http://www.muehsam-tagebuecher.de/ begleitet von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namenregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien, Suchfunktionen - so entsteht eine historisch kritische Ausgabe!

Leseprobe
Niederschönenfeld, Freitag, d. 17. März 1922. Eine Geldsendung der Roten Hilfe für die ledigen F. G. (für uns Verheiratete ging es an die Familien) wurde von der Verwaltung zurückgesandt, wahrscheinlich mit derselben Begründung wie vor einigen Wochen, als man mir das Geld von den Düsseldorfer Syndikalisten vorenthielt. Die Reaktion fühlt sich also immer noch obenauf und läßt uns von dem Linkskurs, der angeblich neuerdings in Bayern eingekehrt sein soll, nichts merken, sie verschärft vielmehr ihre Methoden in Niederschönenfeld noch nach Möglichkeit. Aber es ist doch so, daß Lerchenfeld sich vom Miesbacher Anzeiger und ähnlichen Zeitschönheiten wie ein Zutreiber der Revolution beschimpfen lassen muß. Das welterschütternde Ereignis, das die bayerischen Ashantipolitiker so heftig aus der Ruhe gebracht hat, ist das, daß sich die erweiterte Koalition, das heißt eine Wiederaufnahme der Deutschnationalen in die Regierung zerschlagen hat. Das große Wunder dieser Begebenheit liegt aber darin, daß die Demokraten in letzter Minute den Block der Ordnung und Sicherheit im Stich ließen und erklärten, mit der Mittelpartei nicht zusammenarbeiten zu können. Das erste Erstaunen über diesen mannhaften Entschluß legte sich bald. Denn was für diese Gesellschaft bestimmend war, hatte nichts mit politischer Gesinnung zu tun, geschweige mit oppositionellen Absichten. Man schob unhöfliche Reden Deutschnationaler gegen die demokratische Partei vor, aber jeder, der ein bißchen tiefer sieht, weiß, daß sich die Müller-Meiningen, Dirr und Hammerschmidt nur sehr gegen ihre Überzeugung dem Druck von Norddeutschland aus beugten, wo man ihnen wahrscheinlich mit Ausschluß aus der Partei gedroht haben wird, wenn sie das Programm, das für die neue Koalition schon fix und fertig war, unterwürfen[unterstützten?]. Dieses Programm sah in der Tat erbaulich aus und stellte in aller Eindeutigkeit eine einwandfreie Kundgebung für die vollständige Restauration im Sinne des antisemitisch-föderalistischen Monarchismus dar. Als Platzhalter für Rupprecht sollte der Staatspräsident seinen Posten besetzen, und die Säuberung Bayerns von fremdländischen Elementen sollte mit vermehrtem Eifer betrieben werden. Die Demokraten haben also dazu Nein! gesagt, nachdem sogar die Einigung über die Personalfrage erzielt war. Als Justizminister hatte die Mittelpartei einen Beamten des Justizministeriums, also einen Fachmann, präsentiert, Herrn Dr. Gürtner, den Referenten für das Begnadigungswesen. Kann man mehr verlangen? Politisch sei er ein unbeschriebenes Blatt hieß es in den Empfehlungs-Waschzetteln, aber die Milde, von der in Zukunft die bayerische Justiz beseelt sein würde, war ja schon durch das bisher von dem Mann bestellte Arbeitsfeld verbürgt. Nun, wir in Niederschönenfeld haben einen Begriff bekommen von dem System, das der Referent für das Begnadigungswesen schon bisher geübt hat. Gnade wird dem zuteil, der zum Verräter an der eignen Klasse wird, die Straferlasse aber, die die Gerichte selbst schon bei den Verurteilungen ausgesprochen haben, werden gestrichen, wenn jemand Charakter zeigt. Freilich kann Dr. Gürtner auch anders. Kürzlich wurde der völkische Herr Hitler, ein Österreicher, wegen ganz toller Gewalttaten in einer pazifistischen Versammlung zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. 2 seiner Gesinnungsgenossen verknackte man zugleich für die Heldentaten, die jeden Kommunisten wegen Landfriedensbruch ins Zuchthaus gebracht hätten, zu 2, bzw. 6 Monaten. Diese 3 Leute haben von Gürtners milder Denkart Beweise erhalten: nachdem die deutschnationalen Radaubrüder ein unheimliches Getöse veranstaltet hatten wegen des Rechtsbruchs, den man an ihren Führern verübt habe, sind ihnen, ehe sie die Strafe auch nur angetreten haben, schon davon auf Bewährung erlassen worden. Nun verlangen aber die tapferen Sozi sogar die Ausweisung Hitlers als lästigen Ausländer, und im Landtag wurde erklärt, daß diese Ausweisung erwogen werde. Unheimlicher Lärm. Die Herrschaften drohen offen mit Gewalt, wenn ihrem Hitler etwas passieren sollte, und die tapfere Regierung wird wohl in ihren Erwägungen, die sie in andern Fällen, wie Clemens Schreiber, nicht lange aufhielten, zu einem negativen Resultat kommen. Kein Demokrat hat gegen diese Schweinereien bisher eine Silbe einzuwenden gehabt, und um jedes Mißverständnis auszuschließen, haben diese Republikaner ihre Erklärung, daß sie ihren Vertreter im Ministerium, Herrn Hamm, daraus zurückziehn würden, wenn Herr Gürtner eintrete, mit der Versicherung begleitet, daß sie deswegen keinesfalls zur Regierung in Opposition treten würden, sondern sich Herrn v. Lerchenfeld nach wie vor als allerloyalste Bundesgenossen gegen links empfohlen halten. Gegen links! Das sind nämlich die MSP-Leute unter Erhard Auer und Alwin Sänger. Und wie links diese Bande ist, das beweist sie grade jetzt wieder durch einen ganz niederträchtigen Aufruf gegen die Verhaftung ihrer menschewistischen Reaktionsgenossen in Rußland. Sie sind voll edler Entrüstung darüber, daß sich die Bolschewisten die Konterrevolutionäre, die das Land vollends wieder an die Bourgeoisie verraten wollen, vom Halse zu halten sucht, während sie die Inhaftierung wirklicher Revolutionäre, wie der freisowjetischen Anarchisten, nie interessiert hat. Hoffentlich antworten ihnen die russischen Genossen auf den schamlosen offenen Brief des Gewerkschaftsbunds so wie sich's gehört und unter besonderem Hinweis auf die von ihnen selbst in Deutschland eingesperrten Revolutionäre, für die sie noch nicht einmal als Opposition gegen die derzeitige bayerische Regierung einen Finger rühren, sondern ausdrücklich gegen …


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