Der Richtigspieler

Der Richtigspieler

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783906212272
Untertitel:
Ein biografischer Roman über Willem Mengelberg
Genre:
Historische Romane & Erzählungen
Autor:
Michael Schmidt
Herausgeber:
WELTBUCH Verlag GmbH
Anzahl Seiten:
256
Erscheinungsdatum:
31.01.2018
ISBN:
978-3-906212-27-2

Hat der Journalist, der den holländischen Dirigenten Willem Mengelberg im Schweizer Exil besucht, gemeint, er könne ein normales Interview führen? Es wird ein Monolog: Nach Jahren des erzwungenen Schweigens redet der alte Maestro drei Tage lang. Er redet sich buchstäblich zu Tode. Warum Beethoven nur bei ihm, Mengelberg, richtig klang jetzt kann es heraus. Daß aber Mahler der größte aller Komponisten war, und dazu noch sein bester Freund die Welt soll es wissen. Auch über das Unbegreifliche ist zu reden: warum Mengelberg mit den deutschen Besatzern kollaboriert hat. Dafür wurde er mit Amtsenthebung bestraft. Doch hat ihm nicht gerade die Vertrautheit mit den Nazi-Größen erlaubt, das Schlimme zu mildern, Menschenleben zu retten? Mit von Fieberschüben befeuerter Bitterkeit geißelt der gestürzte Pultstar die Scheinheiligkeit der Welt. In ihr gehe es nicht darum, was einer gesagt und getan habe, sondern nur wann und vor welchem Hintergrund. Auf den Fall Mengelberg ist Michael Schmidt gestoßen, nachdem er, wie er selbst sagt, jahrelang nur die Musik Gustav Mahlers gehört und alles Gedruckte über ihn gelesen hat. Dabei stellte er fest, daß den erklärten Lieblingsinterpreten des Komponisten, eben Mengelberg, ein merkwürdiges Schweigen umgab. Schmidt beschaffte sich die Aufnahme des Dirigenten von Mahlers IV. Symphonie und war so hingerissen, daß er beschloß, etwas über den Mann zu erfahren. Im Niederländischen Musikinstitut in Den Haag traf er Frits Zwart, Mengelbergs Biografen. Der erklärte ihm die politischen Verstrickungen des Dirigenten und warum sie so übertrieben wurden, daß sie zur totalen Ächtung führten. Zwart gewährte auch Einblick in Mengelbergs korrigierte Dirigierpartituren und seinen Briefwechsel mit Mahler. In München traf Schmidt kurz vor dessen Tod Jan Koetsier, Mengelbergs letzten Assistenzdirigenten. Von ihm erfuhr er viel über die bizarre Persönlichkeit des Maestros, die allen Klischees vom großen Künstler zuwiderläuft. Auch in die Schweiz fuhr er, an Mengelbergs Zufluchtsort. Adriaan van Woudenberg, ein ehemaliger Hornist des Concertgebouw-Orchesters der Maestro selbst hatte ihn noch engagiert führte Schmidt durch die Chasa Mengelberg. Sechs Jahrzehnte nach dem Tod seines Bewohners wirkte das Haus, als sei dieser gerade nur kurz auf einen Spaziergang draußen. Schreiben Sie doch ein Buch über ihn, den die Welt verleugnet, ermunterte van Woudenberg den Besucher. Ich habe keine Ahnung von Musik, wandte Schmidt ein. Aber das Thema interessiert Sie doch, entgegnete der Hornist verwundert, und die langweiligsten Bücher über Musiker schreiben sowieso Musiker. Trotzdem dauerte es noch Jahre, bis Schmidt eine Form gefunden hatte, sich dem schwierigen Thema zu nähern. Herausgekommen ist ein Roman in Form eines fiktiven Interviews, das lediglich drei Aspekte aus dem Leben des Dirigenten beleuchtet: Mengelbergs einzigartige Musikinterpretation, seine Freundschaft mit Mahler und sein Verhalten in der Nazizeit. Dabei geht es Schmidt nicht um das Was, sondern um das Wie und Warum. Am Ende bleibt nur Staunen darüber, wie die Welt einen vergessen konnte, der noch vor 70 Jahren zu ihren größten Dirigenten zählte und einen, der die Referenz dafür ist, wie Mahlers Musik eigentlich klingen sollte.

Autorentext
Michael Schmidt wurde 1962 in Pirna geboren. Er studierte Werkstoffwissenschaft und arbeitete zunächst in der Forschung. Später wechselte er ins Marketingfach. Schmidt hat bereits zwei Sachbücher geschrieben. Der Richtigspieler ist sein erster Roman.

Leseprobe
Montag, 19. März, vormittags Hier is´n heerlijk oord voor jou!! Brief Willem Mengelbergs aus Zuort an seine Frau Tilly, 10. August 1910 Wie es mir hier oben geht, auf siebzehnhundert Metern Seehöhe? Das fängt ja gut an. Nein wirklich, solche Fragen können nur Zeitungsleute stellen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie es mir auf siebzehnhundert Metern Seehöhe geht. Nämlich, weil ich hier auf siebzehnhundertelf Metern Seehöhe lebe! Und Sie, der Sie mich so komisch ansehen mit all den Fragezeichen in Ihren Augen, Sie tun das auch auf siebzehnhundertelf Metern Seehöhe. Siebzehn-elf! Ich kann nur hoffen, daß Sie sich ansonsten besser auf unser kleines Gespräch vorbereitet haben. Genauigkeit in allen Dingen gehört zu meinen Grundprinzipien. Schluderei habe ich nie ausstehen können, selbst bei den unwichtigsten Dingen nicht. Also gehen Sie mir bitte nicht mit schlecht recherchierten Fragen auf den Nerv. Ob ich mit stählernen Stäben dirigiere. Ob ich wirklich in Niederländisch-Indien geboren bin, als Sohn eines Kolonialbeamten. Hatten wir alles schon. Meine Güte, wenn ich dieses Tonbandgerät sehe! Ich hoffe, Sie haben wenigstens genügend Batterien mitgebracht. Mit einer Steckdose kann die gute alte Chasa Mengelberg leider nicht dienen. Müssen Sie einfach wissen! Ja, und Tonbandgeräte haben hier oben kein Glück, das kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen. Sehen Sie, da drüben in der Ecke verstaubt meines, seit Jahren schon. Früher dachte ich immer, ich kann hier oben in aller Ruhe Musik hören. Nämlich, wenn sie mich aus Holland besuchen, dann bringen sie mir immer alte Tonbänder mit, Aufnahmen, die mal von mir gemacht worden sind, von Konzerten und Proben, Sachen, die nie veröffentlicht worden sind. Die liegen da jetzt im Rundfunkarchiv rum. Für die Archivleute sind sie sozusagen Müll. Man gibt ihnen ein paar Gulden, und dann kann man sich die Bänder einstecken. Ich hab die Schränke voll davon. Eigentlich würde es Spaß machen, sie hier oben zu hören. Plötzlich weißt du wieder, wie es damals war. Ein besonders schöner Einsatz der Geigen und schon fällt dir deine eigene Bewegung dazu ein, die du damals mit dem Stab gemacht hast. Oder du hörst dich selber irgendwas sagen, bei der Probe, meine ich und schon bist du wieder mittendrin. Du erlebst plötzlich alles noch mal. Ach, diese verrückten Proben! Diese herrlichen Konzerte! Aber dann fängt das Ding plötzlich an zu leiern aus, der Traum. Mir wäre es wirklich lieber gewesen, Sie hätten ein Kilo Schreibpapier und zehn Bleistifte mitgebracht. Statt zehn Kilo Batterien und diesen schweren Leierkasten durch die Schneemassen hier hoch zu buckeln. Ich kann Ihnen doch nicht alles doppelt und dreifach erzählen, bloß weil das Ding dauernd stehen bleibt! Ich weiß nicht mal, ob ich Ihnen alles nur ein einziges Mal erzählen kann. Vielleicht kippe ich ja mitten im Erzählen um. Dann können Sie selber den Nachruf für mich aufs Band sprechen. Achtung, Achtung. Wir unterbrechen das Programm für eine Sondermeldung. So in der Art. Ach nein, Sie sind ja von der Zeitung, nicht vom Radio. Trotzdem, wissen Sie, was ich denke? Das mit dem Interview zu meinem Achtzigsten, das können Sie vergessen. Es ist noch eine ganze Woche bis dahin, und ich habe so eine Ahnung, daß ich das Stöckchen schon vorher aus der Hand lege. In meiner Zunft gibt man nämlich nicht den Löffel ab, sondern den Stab. Abgang, fertig. Hören Sie bloß auf abzuwiegeln! Lassen Sie es einfach bleiben. Kann ich denn was für meine Vorahnung? Die werd´ ich ja wohl noch haben dürfen. Oder entscheidet darüber jetzt auch ein Ehrenrat, wie über alles andere, was ich tun und lassen muß? Brauche ich jetzt eine Genehmigung für Vorahnungen? Nein, brauche ich nicht. Schließlich sind wir hier auf Schweizer Boden, nicht in Holland. Hier herrschen ganz normale Zustände. Das muß auch so eine Vorahnung von mir gewesen sein, vor vierzig Jahren, daß ich mich hier niedergelassen habe und nicht in einem der Länder, wo später die Verrückten das Ruder übernommen haben. Dabei war es doch damals gar nicht abzusehen, daß das so kommt. Was bin ich froh, daß ich mich damals für die Schweiz entschieden habe. Was bin ich froh. Im Übrigen: Noch viel wahrscheinlicher, als daß mir mitten in unserem kleinen Plausch die klapprige Pumpe versagt, ist was Anderes: nämlich, daß mir einfach die Stimme wegbleibt. Sie hören und sehen ja, was mit mir los ist. So eine Grippe, das ist kein Spaß in meinem Alter. Der Doktor sag…


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