Rückvergütung

Rückvergütung

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783884234914
Untertitel:
Roman
Genre:
Erzählende Literatur & Romane
Autor:
Jürgen Theobaldy
Herausgeber:
Wunderhorn
Auflage:
1. Aufl.
Anzahl Seiten:
160
Erscheinungsdatum:
01.03.2015
ISBN:
978-3-88423-491-4

Renner, der Erzähler, hat den Job nötig, aus dem alten wurde er rausgekickt, aus guten Gründen, aber doch auch wie ein Bauernopfer. Jetzt wird nicht mehr lange gefackelt: kleines Versicherungsunternehmen, unerwartet gute Marktposition, eine dringend neu zu besetzende Stelle, zutrauliche Vorgesetzte. Was Renner zu tun bekommt, die Fortführung von Karteien, die sein Vorgänger hinterlassen hat, entpuppt sich bald als ein Coup, ein Betrug im großen Stil. Er will und darf daran verdienen. Die Drahtzieher laden ihn zuvorkommend in die Konspiration ein. Was winkt, ist das Leben auf großem Fuße, für ihn und seine junge Familie. Renner ist klug genug, das Risiko zu erkennen - bremsen will er den Taumel nicht. Zu sicher erscheint die Situation, gegenseitige Abhängigkeit als Schutz, dann ist noch Timing nötig, rechtzeitig abspringen, bevor die Behörden aufmerksam werden. Jürgen Theobaldy hat sich in der jüngsten Geschichte des Versicherungswesens und seiner Skandale umgetan. Er findet in dieser Branche konspirativer Sicherheit eine jener vielen Falltüren, die ohne Widerstand sich der Gier und der Lust öffnen. Tragisch und komisch taumelt sein Held der eigenen Leere hinterher.

Autorentext
Jürgen Theobaldy, geboren 1944 in Straßburg, aufgewachsen in Mannheim, lebt heute in Bern. Studium der Literaturwissenschaft an den Universitäten in Heidelberg und Köln, sowie Berlin. Im Wunderhorn Verlag erschien zuletzt der Roman Aus nächster Nähe.

Leseprobe
Leseprobe Jürgen Theobaldy: Rückvergütung Renners Blick schweifte hinüber zu dem großen, kubistisch nachgemalten Harlekin an der Wand, daneben ein Seiltänzer, nein, irgendwie androgyn, eine Ballerina? Ja, eine Ballerina war's, also nichts Zweigeschlechtliches. Das sprach doch für sein Unterscheidungsvermögen, es war noch alles da im Kopf, auch Sofie. Aber Renner wollte jetzt nicht an Sofie denken, er dachte schließlich nie den ganzen Tag an sie - im Büro jedoch wohl öfter als seine Arbeitgeber ahnen mochten. Woran dachten denn die? An die Corsa? Nicht eher an ihre Karriere, mit der zumindest Iseli kaum schon den Gipfel erreicht hatte? Die Frau, die Iseli ihm auf der Grillparty vorgestellt hatte, schien mehr seine Gespielin zu sein, modebewusst wie er, tiefer Ausschnitt, ibizabraun die Brüste, dazu sportlich, also ausdauernd und biegsam. Sexualneid? O Sofie war eine reizende Frau, auch nach dem ersten Kind, feingliedrig, beinah schwarze Augen, bleicher Teint, nicht käsig, aber auch nicht honigfarben. Renner schlürfte am Cinzano und stierte ins Leere, bis er am Blick der Bedienung merkte, dass man etwas von ihm erwartete. Mit einem Fingerzeig bestellte er noch einen Cinzano, erst ab dem dritten würde es bedenklich werden. Wenngleich kein Telefon auf der Welt eine Alkoholfahne übertrug, Sofie würde sie nicht entgehen. Wieder guckte Renner hinüber zu dem jungen, auf sein Notebook starrenden Mann: ein Spieler, ein Freak, vielleicht auch nur ein Bluffer. Renners Finger zitterten, als er langsam und gründlich, Ziffer um Ziffer, die Tasten drückte. Auf das kühle Hallo nannte er seinen Namen und fragte, mit wem er spreche, obwohl er das wissen musste. Seine Worte schienen in einen schwarzen, grenzenlosen Raum einzudringen und dort von einer Vielzahl ihm Unbekannter, gegen ihn Unbekanntes im Schilde Führender mitgehört zu werden. Eine wirre Ahnung von Gefahr durchrieselte ihn, eine Schwäche in den Kniekehlen, obwohl er saß, und er senkte seinen Tonfall bis dorthin, wo er sich vom Wohllaut der eigenen Stimme gefestigt fühlte. Nach dem erstaunten Ausruf von Jeannine, ihrem direkt schnurrenden zweiten, jetzt doppelten Hallo begannen sie ein befreites Hin und Her: Sehr überrascht? Gar nicht überrascht? Wozu seien solche Kärtchen da? Weihnachten sei nicht nur etwas für Kinder. Der Reiz sei das Spiel. Das Spiel mit dem Feuer? Den Kerzen? Nein, der Flamme. Und wem sei es gleichgültig, was er gewann oder verpasste? Renner fand sich in einen intimen Winkel gelenkt, in eine schwach beleuchtete Sackgasse, eine, wie es auf Englisch sprechender, aber auch unheilvoller hieß: dead end street, und dort gab es für ihn, ab Datum heute, weder ein Entweichen noch ein Weiterkommen. Er fühlte das Prickeln auf dem Rücken der Hand, in der er das Natel hielt, dachte eine Sekunde lang an Strahlung, aber es gab auch eine Strahlung von innen. Und auf einmal sah er sich als Held, ein Bezwinger der Kürze des Winters, ein zum Angriff Umgepolter, bis in die Haarspitzen wach und gesammelt, zielsicher und waghalsig, während er mit melodisch dunklem Bariton das Wann und Wo besprach.


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