Letzte Bilder von der Mauer

Letzte Bilder von der Mauer

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783866141704
Untertitel:
Reportage 1989. Berichte aus zwei verschwundenen Ländern
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Kai Westerman, von
Herausgeber:
Zeitgut Verlag GmbH
Anzahl Seiten:
368
Erscheinungsdatum:
30.09.2009
ISBN:
978-3-86614-170-4

Vor seinen Augen veränderte sich die Welt! Ein westdeutscher Kameramann erlebt den Mauerfall in der DDR. Im Herbst 1989 eskalierten die inneren Probleme der DDR. Hundertausende hatten inzwischen Ausreiseanträge gestellt. Der Druck, das Land verlassen zu wollen, ließ den Staat nun täglich hörbar lauter knirschen. Nichts klappte mehr richtig, überall fehlten nun erkennbar Fachleute, Ärzte, Pädagogen. Und gerade die Jungen wollten weg, auf die der Staat doch gesetzt hatte und mit denen er angeblich eine neue Zukunft aufbauen wollte. Kai von Westermans Reportagebuch "Letzte Bilder von der Mauer" ist ein packender Erlebnisbericht, der die dramatische Stimmung in der maroden DDR unmittelbar vor ihrem Untergang fesselnd und flott schildert. Der Autor war im Herbst 1989 als freier Kameramann im Auftrag eines französischen Fernsehsenders in der DDR unterwegs und hat das weltverändernde Geschehen um den Fall der Mauer und in den Wochen danach hautnah miterlebt. Er war Augenzeuge der sich überschlagenden Geschehnisse in der ihrem Ende entgegentaumelnden SED-Diktatur, die durch die wachsenden Demonstrationen vor allem in Ost-Berlin und Leipzig zunehmend ins Wanken geriet. Die Montagsdemonstrationen in Leipzig, die Westerman ohne behördliche Genehmigung aus deren Mitte heraus filmte, boten ihm Gelegenheit zu offenen Gesprächen mit Demonstranten, die zunehmend angstfrei ihre Empfindungen preisgaben. Dabei befanden sie beide Gesprächspartner in der ständigen Gefahr einer möglichen Verhaftung durch die Staatssicherheit und die Volkspolizei. 20 Jahre nach der Wende hat sich Westerman endlich aufgemacht, seinen filmischen Dokumentationen von damals literarische Aufzeichnungen folgen zu lassen. Lebendig und tief taucht der Leser damit in die Zeit des Zusammenbruchs des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates ein.

Autorentext
Kai vonWesterman, geb. 1960 in Tübingen. Die Eltern - der Vater war Offizier, die Mutter Werbegrafikerin - mussten mit ihrem Sohn und seinen Geschwistern oft umziehen. Kai von Westerman besuchte das Vinzenz-Pallotti-Kolleg in Rheinbach bis zum Abitur. Seit 1988 arbeitet er als freiberuflicher Kameramann. Mit Frau und Sohn lebt er in Bonn.

Leseprobe
Leipzig, 23. Oktober 1989 Es ist dunkel. Das Sucherbild ist nur schemenhaft. Ich öffne mein linkes Auge und peile am Kameraobjektiv vorbei auf den Mann vor mir. Zwischen uns ist ein knapper Meter Abstand. Ich korrigiere die Entfernungseinstellung. Links von mir steht Wilhelm. Er beobachtet die zappelnden Zeiger auf der gelblich glimmenden Tonpegelanzeige am Kameragehäuse. Rechts von mir steht Bertrand. Wir sind mittendrin in der Menschenmasse. Es ist eng. Ich muss aufpassen, dass ich das Hinterteil der schweren Kamera auf meiner Schulter niemandem vor den Kopf knalle. Bertrand fragt den Mann aus der Menge: Okay dann, können Sie uns erklären, warum Sie sind hier heut' abend? Spätestens Bertrands französischer Akzent verrät, dass wir aus dem Westen sind. Die Umstehenden drängen sich an uns heran. Alle wollen hören, was der Mann antwortet. Bertrand beugt sich nervös nach vorne. Sein Schatten fällt auf das Gesicht des Mannes und nimmt mir das letzte Licht! Nur weil eine Straßenlaterne in der Nähe leuchtet, drehen wir das Interview an dieser Stelle. Bertrand! Du stehst im Licht! Kopf weg! Die Leute um uns herum sind gut. Sie ziehen Feuerzeuge aus den Taschen und leuchten mir damit. Einige haben Kerzen. Immer, wenn eine Flamme erlischt, zündet ein anderer eine neue an. Die denken mit. Wir sind Komplizen. Wir verstoßen gegen die Gesetze der DDR. Wie lang, glauben Sie, es wird weitergehen? fragt Bertrand den Mann aus der Menge. Es kann doch nicht sein, dass die uns nicht bemerkt haben. Oben auf einem der Hausdächer, an der Ecke, steht eine schwere Kamera mit riesigem Objektiv und späht auf den Platz herab. Die Kamera schwenkt und neigt sich ferngesteuert. Das habe ich gesehen. Ihre riesige Frontlinse lässt ein lichtstarkes Objektiv ver-muten. Damit kann man in längster Teleeinstellung mühelos vom sechsten Stock aus ein Gesicht in Groß-aufnahme aus der Menge fischen. Ich habe einmal eine Übung der Bereitschaftspolizei in Unna gedreht. Da stoßen drei Mann als Greiftrupp mitten in die dicht gedrängt stehenden Demonstranten hinein und holen eine bestimmte Person heraus. Das geht Ruckzuck. So schnell kann man gar nicht gucken. Innerhalb von Sekunden ist die Person gefesselt und abgeführt. Das können die hier bestimmt auch. Ich höre Bertrands nächste Frage an den Mann vor uns: Und vertrauen Sie diese neue Regierung? Wenn die uns verhaften, holt mich die Bundes-regierung bestimmt hier raus. oder die französische Regierung. Schließlich bin ich für das französische Fernsehen hier. Bertrand fragt: Aber seit einer Woche sagen wir es gibt schon Fortschritte, oder? Der Mann antwortet besonnen. Er spricht ruhig. Die Leute nahebei lauschen konzentriert. Tausende drängen sich auf dem Platz vor der Nicolaikirche und demons-trieren, obwohl das verboten ist. Warum sollten aus-gerechnet wir verhaftet werden? Sie würden uns aus dem Land werfen. Das war's dann. Ende der Geschichte. Auftrag nicht erfüllt. Nein, die dürfen uns nicht erwischen. Okay, fragen wir noch jemand, sagt Bertrand. Wir schieben uns zwischen den Demonstranten hindurch in den Lichtkegel der nächsten Straßenlaterne. Eh, seid ihr aus'm Westen?, ruft einer sächselnd. Französisches Fernsehen, brummt Wilhelms Bass. Barläh wuh frongsäh?, johlt ein Leipziger. Die haben keine Angst. Die haben einfach keine Angst. Wahrscheinlich hat das Hotel unseren Ost-Berliner Mietwagen mit Typ, Farbe und Kennzeichen sofort der Staatssicherheit gemeldet. Vielleicht wartet neben unserem Parkplatz schon die Volkspolizei? Das Ganze hat völlig harmlos angefangen, aber jetzt ziehen sich die Geschehnisse zusammen. *** Wir fahren durch die Nacht zurück nach Ost-Berlin. Bertrand hat gesagt, wir sollen Bescheid geben, wenn wir fünfzig Kilometer hinter Leipzig sind. Seitdem sagt er nichts mehr. Wilhelm sitzt am Steuer unseres gemieteten VW-Golf. Noch hundertsechzig Kilometer. Ist er nicht müde? Wir kennen uns kaum. Wir arbeiten zum ersten Mal zusammen. Unglaublich, sage ich. Was?, fragt Wilhelm. Er ist hellwach, zum Glück. Diese ganze Geschichte.

Inhalt
23. Oktober 1989 Leipzig 9 1971 Tante Gerda aus der DDR 13 1972 Die Deutschlandkarte 16 1973 In West-Berlin 18 1977 Die innerdeutsche Grenze 23 1978 Eine Familie im Westen 27 1979 Die Großmutter aus St. Petersburg 29 1980 Deutsche Soldaten im Frieden 31 1981 Der vordere Rand der Verteidigung 33 1982 Die Gegner im Osten 37 1983 Mit der Bahn nach Berlin 39 Juli 1983 Beim Fernsehen in Bonn 44 Ende November 1983 Der heiße Herbst 46 Januar 1984 Ein kommunistischer Parteitag 51 Juli 1984 Auf dem Transit nach Berlin 55 Anfang August 1984 Im Zonenrandgebiet 63 30. August 1984 Lufthansaflug nach Leipzig 70 August 1986 In Ost-Berlin 80 Frühjahr 1987 Im Bunker der Bundesregierung 91 Sommer 1987 Honnecker in Bonn 97 In den alten Ländern 100 Frühjahr/Sommer 1988 Noch ein Kameramann 107 Anfang März 1989 Kultur in Ost-Berlin 109 Mai 1989 Tiefflieger im Hunsrück 128 Juni 1989 Gemütlichkeit in Bonn 131 16. August 1989 Ein Aussiedlerlager 137 22. August 1989 Ein Übersiedlerlager 141 7. September 1989 Gespräche in Leipzig 149 30. September 1989 Die Flüchtlinge sind frei 166 1. Oktober 1989 Der Sonderzug aus Prag 170 4. Oktober 1989 Die Mauer von zwei Seiten 182 5. Oktober 1989 Ost-Berlin will feiern 191 6. Oktober 1989 Gorbatschow in Ost-Berlin 202 7. Oktober 1989 40 Jahre DDR 216 8. Oktober 1989 Die Volkspolizei sperrt ab 224 19. Oktober 1989 Zwei Anrufe 233 20. Oktober 1989 Ost-Berlin bei Dunkelheit 234 21. Oktober 1989 Verdeckte Einreise 243 22. Oktober 1989 Kameraschmuggel 246 23. Oktober 1989 Demo in Leipzig 250 24. Oktober 1989 Ein Ost-Berliner Einkaufszettel 267 2. November 1989 Vier Franzosen in Berlin 278 3. November 1989 Risse im Beton 283 4. November 1989 Ein Schauspie…


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