Sagen, was ist!

Sagen, was ist!

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783862762248
Untertitel:
Jürgen Fuchs zwischen Interpretation, Forschung und Kritik
Genre:
Deutsche Sprach- & Literaturwissenschaft
Herausgeber:
Neisse
Anzahl Seiten:
324

Vor über 25 Jahren endete in Ostmitteleuropa die kommunistische Herrschaft. Die Jahre 1989/90 brachten für die Staaten des ehemaligen Ostblocks die Befreiung von der Diktatur und eine bewegte Zeit des Umbruchs. Mehrere Nationen, darunter Polen, Rumänen, Ungarn, Deutsche und Tschechen nahmen an der Aufhebung der politischen und militärischen Teilung Europas teil, mussten sich jedoch einer gewichtigen Herausforderung stellen: der Überwindung des Kommunismus. Der Übergang zur Demokratie war nicht unkompliziert, insbesondere für diktaturerfahrene Menschen, die den Zusammenbruch des alten Systems und den Beginn einer anderen Zukunft meist als eine markante Zäsur betrachteten. Für den Schriftsteller Jürgen Fuchs (1950-99) war das Ende der sowjetischen Hegemonie über Mittel- und Osteuropa nicht nur ein politisch-historisches Ereignis, sondern vielmehr ein persönlicher Einschnitt. Denn nach dem Fall der Berliner Mauer brach samt der SED-Herrschaft auch ein Unrechtsstaat zusammen, der jahrelang gegen den Intellektuellen und Bürgerrechtler massive Repressalien ergriff und somit seine Biographie deformierte. Im literarischen Schaffen des in die DDR hineingeborenen Autors spielte die Erinnerung an das kommunistische Regime und dessen Facetten eine zentrale Rolle: in Gedichten, Essays und Romanen wusste er authentische Erinnerungslandschaften zu entdecken, die eindrucksvoll subjektive Erlebnisse, schriftstellerische Autonomie, historische Dimension und die Allmacht des alltäglichen Diktatorischen verdeutlichten. Sein literarisches Werk gewährt Einblick hinter die Kulissen der sozialistischen Gesellschaft und knüpft unmittelbar an die Biographie des Betroffenen wie auch Erfahrungen und Wahrnehmungen aus dem totalitären Alltag an. Fuchs´ eigenwilliges, autobiographisches Schreiben bietet nicht nur subjektive Beschreibung und Kontextualisiserung des Lebens unter totalitären Verhältnissen an, sondern es nimmt den Leser mit auf eine erschütternde Reise in die Zeit der zweiten deutschen Diktatur. Diese Art von Literatur ist eine realistische (Wieder)Begegnung mit Unterdrückungsmechanismen und Tabus einer Republik, die sich - wie einst der Schriftsteller selbst konstatierte - deutsch und irrtümlich demokratisch nannte. Jürgen Fuchs war ein unkonventioneller, kritischer Autor, dessen Entwicklung nur eine kurze Zeit mit ideologischen Konzeptionen der Partei- und Staatsführung einherging. Bereits mit knapp 25 Jahren war er bestrebt, die Freiheit von Literatur wie auch seine künstlerische Identität zu bewahren, die Ästhetik des Dafür-Sprechens abzulehnen und der Standardisierung des Denkens und Schreibens entgegenzuwirken. Seine Haltung, dem Regime mit widerständiger Literatur die Stirn zu bieten, hatte jedoch ihren Preis: im SED-Staat kostete sie meist die Freiheit. Kurz nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns wurde Fuchs verhaftet. Neun Monate lang bot er den MfS-Funktionären während der Vernehmungen Paroli und trotz psychischer Folter und raffinierter Methoden verweigerte er erfolgreich die Distanzierung von seinen Freunden und Arbeiten. Die U-Haft in Hohenschönhausen sowie das Jahr 1977 waren für Jürgen Fuchs eine harte, lehrreiche Zeit, die ihn nicht nur tief prägten, sondern auch eine wichtige Zäsur markierten. Seitdem im Rowohlt-Verlag sein Band Gedächtnisprotokolle erschien, stieg der ehemalige, sich literarisch betätigende Psychologie-Student aus Jena zum weithin beachteten Schriftsteller auf. Im Stasi-Untersuchungsgefängnis nahm seine widersprüchliche Wahrnehmung ihren Anfang - während die Staatsorgane der DDR gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen staatsfeindlicher Hetze einleiteten und die künstlerischen Versuche des Gefangenen als hetzerische Machwerke und agitatorische Schriften einzustufen versuchten, wurde der junge Autor auf der Buchmesse in Nizza für sein Debütbuch mit dem Internationalen Pressepreis ausgezeichnet. Diese Tatsache trug zusammen mit Bemühungen des Westberliner Schutzkomitees Freiheit und Sozialismus, des PEN-Zentrums Bundesrepublik und der belgischen Amnesty-International-Gruppe zur Freilassung des renitenten Häftlings, der aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen wurde. In der alten Heimat zum Staatsfeind abgestempelt und des Landes verwiesen, entschied sich Jürgen Fuchs seine Position in der bundesdeutschen Literaturlandschaft zu erarbeiten, zumal er bisher nur eine Handvoll von Gedichten in einigen DDR-Anthologien zu publizieren vermochte. Der exilierte Autor will die versäumte Zeit nachholen und beginnt intensiv zu veröffentlichen. Mit seinen Erfahrungen füllte er thematische Lücken in der deutschen Literatur und dokumentierte u.a. sozialistische Realität (Schule, Universität, Kasernenhof, Gefängnis), darüber hinaus Entlarvung des Funktionärsapparats und staatlich institutionalisierter Gewalttätigkeit. In seinem erfahrungsgesättigten Schreiben ist ein Stück Zeitgeschichte wiederzufinden - neben authentischen Zeugnissen stößt man auf mannigfaltige Kontexte des Lebens unter totalitären Bedingungen, auf den Kampf um die Freiheit und Würde des Menschen, auf Beschreibung der Machtverhältnisse, Repression, Folter und Verfolgung in der ehemaligen DDR. Im Laufe der Zeit lässt der Autor seine Evokation der Erlebnisse und Erfahrungen in Erörterungen über die Bedrohung des Vergessens münden. Dieses Motiv wird verstärkt durch den herbeigesehnten politischen Umbruch von 1989, der für Jürgen Fuchs eine neue Etappe in seinem Schaffen bedeutete. Nach dem Mauerfall war er damit beschäftigt, literarisch dem Schlussstrich entgegenzuwirken und damit der Diktatur der Lüge ein Ende zu setzen. Seine Stimme erhob er auch gegen Verbrechen des SED-Staates, Missbrauch der Psychologie im Dienste der Stasi, Folgelast und Fortwirkung des totalitären Erbes deutscher Diktaturen, Verletzung der Menschenrechte und Gefährdungen für die Demokratie in westlichen Gesellschaftssystemen. Mit seinen Einmischungen forderte er zur Debatte heraus und rückte häufig in den Fokus der öffentlichen Kritik. Bis heute hat Fuchs für seine kompromisslose, jedoch oft falsch interpretierte Attitüde zu büßen, was sich in der aktuellen, höchst uneinheitlichen Rezeption des Autors widerspiegelt. Er ist nach seinem frühen Tod im öffentlichen Bewusstsein zwar immer noch präsent, jedoch vorwiegend als Oppositioneller und seltener als Schriftsteller, was wiederum die heutige Auseinandersetzung mit seiner Literatur beeinträchtigt. Dass die Beschäftigung mit dem in vieler Hinsicht unabhängigen Schriftsteller und engagierten Intellektuellen nicht unbedingt im Zeichen der politischen und geschichtlichen Aufarbeitung der DDR-Zeit stehen muss, wollten die Veranstalter der wissenschaftlichen Konferenz in Breslau, betitelt Jürgen Fuchs: Sagen was ist. Diktatur als grenzüberschreitende Erinnerungslandschaft, beweisen. Den Organisatoren dem Institut für Germanistik der Universität Wrocaw und dem Lehrstuhl für Deutschlandstudien der Universität ód war es ein Herzensbedürfnis, zusammen mit zahlreichen internationalen Gästen auf bisher häufig übersehene Argumente hinzuweisen, die bei Fuchs die Dominanz des Literarischen in den Vordergrund rücken. Vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte schien Polen der richtige Ort zu sein, wo eine osteuropäische Auseinandersetzung mit seinem breit gefächerten Schaffen ihren Anfang nehmen kann. Zum ersten Mal außerhalb des deutschsprachigen Raumes wurde in Fachvorträgen und Diskussionen über die Wirkung des literarischen uvres von Jürgen Fuchs und seine Wahrnehmung reflektiert und dabei versucht, den Stellenwert des Schreibens unter totalitären Bedingungen zur Diskussion zu stellen und als übergreifendes Phänomen zu erörtern. Der Einladung nach Breslau ist eine Reihe von Experten gefolgt, die das Bedürfnis hatten, in puncto Jürgen Fuchs genauer hinzusehen, was sein Leben und Werk uns als Botschaft hinterlassen haben. Das Wort ergriffen u.a. Germanisten, Historiker, Politologen, Politiker, Übersetzer, Schriftsteller, Journalisten sowie Bürgerrechtler. Diese Konstellation…


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