Der Wahnsinn der Vernunft

Der Wahnsinn der Vernunft

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783826054624
Untertitel:
Georg Büchners "Lenz". Die Krise des Subjekts der Moderne
Genre:
Deutsche Sprach- & Literaturwissenschaft
Autor:
Gerhard Oberlin
Herausgeber:
Königshausen & Neumann
Anzahl Seiten:
194
Erscheinungsdatum:
30.04.2014
ISBN:
978-3-8260-5462-4

Im Horizont des geschichtsphilosophischen Erzählfragments Lenz liegt der Alptraum einer durch und durch mechanisierten Welt, in der es alternativ nur die reduzierte Vernunft' des Automaten oder die Gestörtheit' des Geistes gibt. Georg Büchner fasziniert am Wahnsinn der Lenz-Figur die Gestörtheit' nicht als solche, sondern als die von Anfang an mitgeprägte Kehrseite der Medaille'. Daher ist anhand der Lenz-Novelle zu zeigen, welche Vernunft in diesem Wahnsinn schlummert, welcher Wahnsinn aber auch in der Vernunft (des Fortschritts, Wohlstands etc.). Während sie ihr desto weniger zu genügen scheint, je mehr sie davon spricht, macht diese Gesellschaft nicht den Eindruck, auf dem Weg zu einer wahrhaft anthropologischen Vernunft zu sein. Lenz beschäftigt hier nicht als Fall'-Autopsie, wie auch die Figur Lenz nicht in erster Linie als Kranker interessiert, sondern als Subjekttypus: als Beispiel leidender, erlittener Subjektivität, das ganze Generationen bis heute repräsentiert. In Zeiten, in denen die Forderungen nach Freiheit und Vernunft sich zum Komplott gegen das Althergebrachte vereinigen, trägt das individualisierte, zur Gänze um sich selbst bekümmerte Subjekt auch die alleinige Verantwortung für sich und alles andere. Das macht es anfällig, ja prädestiniert es für psychische Störungen. In der trostlosen Einsamkeit der Lenzfigur ist der Appell spürbar, der Krankheit der Freiheit und Verantwortlichkeit (Ehrenberg) mit einer anderen, nicht-anthropozentrischen, einer anthropologischen Vernunft, mindestens aber mit Gemeinsinn zu begegnen. Lenz ist kein Unvernünftiger', sondern ein Opfer der dezentralen Vernunft, die für den Einzelnen einen viel zu großen geistigen Freiheitsrahmen schafft, den er nicht ausfüllen kann. Mit ihm als Typus betritt eine Gesellschaft die Weltbühne, die den Wahnsinnigen, den Depressiven, den Melancholiker so systematisch erzeugt, wie sie diesem Produkt ratlos, ja militant, zuweilen sadistisch gegenübersteht. Dostojewskis Mahnung aus dem Tagebuch eines Schriftstellers blieb ungehört: Nicht, indem man seinen nächsten einsperrt, überzeugt man sich seines eigenen Menschenverstandes. Aus Büchners Projektion der Moderne erwächst die Nachfrage nach einer erzählerisch gesicherten Welteinbettung, während sich in der Figur des Schriftstellers (J. M. R. Lenz), der nicht mehr schreibt, gleichzeitig die Kapitulation vor den Aufgaben einer mythopoetisch' betrauten Literatur ereignet. Büchners Thema und Vorgehensweise ist unter den Überich-Zwängen der Moderne eigentlich tabu, weswegen er vermutlich auch so spät und zögerlich entdeckt' und noch viel später kanonisiert wurde - und das, obwohl zwei von drei seiner literarischen Werke Fragmente geblieben sind: performative Beispiele dieser Kapitulation.

Autorentext
Dr. Gerhard Oberlin, Studium der Anglistik, Germanistik, Pädagogik, Lehramt für Gymnasien, Schulleiter, Koordinator in der Lehrerfortbildung Südostasien, wissenschaftlicher Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Beijing Foreign Studies University und am Deutsch-Chinesischen Institut der University of Business and Economics, Beijing/China, Mitarbeit an den Goetheinstituten Tokyo, Beijing und Hong Kong. Co-Autor von Lehrwerken für Gymnasien und Deutsch als Fremdsprache. Publizistische Beiträge zur Didaktik, Pädagogik und Lehrerfortbildung. Wissenschaftliche Veröffentlichungen v. a. über Kafka, Rilke, Chamisso, Kleist, Schiller, Goethe, Hölderlin. 2007 erschienen im Psychosozial-Verlag: "Goethe, Schiller und das Unbewusste" sowie "Modernität und Bewusstsein. Die letzten Erzählungen Heinrich von Kleists", gefolgt von "Die letzten Mythen. Untersuchungen zum Werk Franz Kafkas" (2011).

Klappentext
Im Horizont des geschichtsphilosophischen Erzählfragments Lenz liegt der Alptraum einer durch und durch mechanisierten Welt, in der es alternativ nur die reduzierte ,Vernunft' des Automaten oder die ,Gestörtheit' des Geistes gibt. Georg Büchner fasziniert am "Wahnsinn" der Lenz-Figur die ,Gestörtheit' nicht als solche, sondern als die von Anfang an mitgeprägte ,Kehrseite der Medaille'. Daher ist anhand der Lenz-Novelle zu zeigen, welche Vernunft in diesem Wahnsinn schlummert, welcher Wahnsinn aber auch in der Vernunft (des Fortschritts, Wohlstands etc.). Während sie ihr desto weniger zu genügen scheint, je mehr sie davon spricht, macht diese Gesellschaft nicht den Eindruck, auf dem Weg zu einer wahrhaft anthropologischen Vernunft zu sein. Lenz beschäftigt hier nicht als ,Fall'-Autopsie, wie auch die Figur Lenz nicht in erster Linie als Kranker interessiert, sondern als Subjekttypus: als Beispiel leidender, erlittener Subjektivität, das ganze Generationen bis heute repräsentiert. In Zeiten, in denen die Forderungen nach "Freiheit" und "Vernunft" sich zum Komplott gegen das Althergebrachte vereinigen, trägt das individualisierte, zur Gänze um sich selbst bekümmerte Subjekt auch die alleinige Verantwortung für sich und alles andere. Das macht es anfällig, ja prädestiniert es für psychische Störungen. In der trostlosen Einsamkeit der Lenzfigur ist der Appell spürbar, der "Krankheit der Freiheit und Verantwortlichkeit" (Ehrenberg) mit einer anderen, nicht-anthropozentrischen, einer anthropologischen Vernunft, mindestens aber mit Gemeinsinn zu begegnen. Lenz ist kein ,Unvernünftiger', sondern ein Opfer der dezentralen Vernunft, die für den Einzelnen einen viel zu großen geistigen Freiheitsrahmen schafft, den er nicht ausfüllen kann. Mit ihm als Typus betritt eine Gesellschaft die Weltbühne, die den Wahnsinnigen, den Depressiven, den Melancholiker so systematisch erzeugt, wie sie diesem Produkt ratlos, ja militant, zuweilen sadistisch gegenübersteht. Dostojewskis Mahnung aus dem Tagebuch eines Schriftstellers blieb ungehört: "Nicht, indem man seinen nächsten einsperrt, überzeugt man sich seines eigenen Menschenverstandes." Aus Büchners Projektion der Moderne erwächst die Nachfrage nach einer erzählerisch gesicherten Welteinbettung, während sich in der Figur des Schriftstellers (J. M. R. Lenz), der nicht mehr schreibt, gleichzeitig die Kapitulation vor den Aufgaben einer ,mythopoetisch' betrauten Literatur ereignet. Büchners Thema und Vorgehensweise ist unter den Überich-Zwängen der Moderne eigentlich tabu, weswegen er vermutlich auch so spät und zögerlich ,entdeckt' und noch viel später kanonisiert wurde - und das, obwohl zwei von drei seiner literarischen Werke Fragmente geblieben sind: performative Beispiele dieser Kapitulation.


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