Schlagmann

Schlagmann

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783608939699
Untertitel:
Roman
Genre:
Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Autor:
Evi Simeoni
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
3. Aufl. 2012
Anzahl Seiten:
276
Erscheinungsdatum:
22.06.2012
ISBN:
978-3-608-93969-9

Arne hat alles, was man sich wünschen kann: eine attraktive Freundin, einen durchtrainierten Körper und eine Goldmedaille.
Und doch zerstört er planmäßig sein Leben. Noch Jahre später lässt die Menschen, die ihm nahe standen, eine Frage nicht los: Warum haben wir nichts bemerkt?


Die erfolgreiche Journalistin Evi Simeoni beschreibt in ihrem Debüt die an einer wahren Begebenheit orientierte Leidensgeschichte eines Hochleistungssportlers. Der Schlagmann Arne Hansen gewinnt zwar die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen, aber er kann sich an
dem Sieg nicht freuen. Innerlich ist er leer und ausgebrannt.
Der Höhepunkt seiner Sportlerkarriere ist auch der Wendepunkt seines Lebens. Fassungslos müssen seine Freundin und ein Mannschaftskollege mitansehen, wie der magersüchtige Arne sich selbst zugrunde richtet.
Aus unterschiedlichen Perspektiven wird der unaufhaltsame Niedergang und das Sterben eines Menschen mit großer erzählerischer Wucht und Anteilnahme geschildert.

»Ein spannender, kluger und sehr sportkritischer Roman.« FOCUS, 02.07.2012 »Simeoni bricht mit ihrem Roman gleich mehrere Tabus: Sie bringt Licht ins Dunkel einer nur scheinbar schillernden Sportwelt und gibt ihrer Hauptfigur Arne die Krankheit Magersucht, über die die Männerwelt noch immer schweigt. Mit sparsamer Sprache und klaren Bildern gelingt Simeoni ein düsteres Drama, das den Leser nachdenklich zurücklässt, ohne dem Leistungssport ein mieses Etikett zu verpassen.« Maren Winterfeld, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 4.8.2012 »Ein berührendes Buch, ein starker Roman.« Uwe Grosser, Heilbronner Stimme, 26.02.2013 »Klug. Dramatisch. Anrührend. Schockierend.« Anja Witzke, Donaukurier, 10.8.2012 »Dieser exzellente Roman, der sich mit unserem gesellschaftlichen Hochleistungswahn sehr kritisch auseinandersetzt, kann zu Tränen rühren.« Mathias Dunkel, Wiesbadener Kurier, 26.7.2012 »Ein umwerfend guter Debütroman.« Udo Feist, WDR 4, 10.07.2012 »Simeonis Roman reflektiert unseren Blick auf Sportler, die ... bei Erfolg als Helden verehrt und bei Misserfolg als Versager verachtet werden.« Martina Sulner, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31.07.2012 »Ein wahrhaft faszinierender Debütroman.« Christel Freitag, Buchbesprechungstage, Oktober 2012

Vorwort
Gutaussehend, erfolgreich - und ausgebrannt

Autorentext
Evi Simeoni wurde 1958 in Stuttgart geboren. Seit 1981 ist sie Sportredakteurin der »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und inzwischen Reporterin. 1981 wurde sie mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. 1996 und 2012 wurde sie zur »Sportjournalistin des Jahres« gewählt. »Schlagmann« war ihr erster Roman.

Leseprobe
PROLOG AUF DEM WASSER
Regentropfen rinnen die Schilfblätter hinab. Der Sonnenaufgang war heute nicht mehr als ein Wandel von nassem Schwarz in nasses Grau. Die Tropfen an den Blattspitzen sind in der Morgendämmerung trüb. Immer wenn eine Bugwelle des Ruderbootes das Schilf erreicht, neigt es sich leicht und knistert. Er vernimmt es trotz des Regens, der sich anhört, als streue jemand in langen Schwüngen Splitt auf die Wasseroberfläche. Und drinnen sein Stöhnen, seine rauhen Atemzüge, die nach außen dampfen.

Eine Böe zeichnet wellenförmige Muster auf die genoppte Wasseroberfläche. Die Tropfen zerplatzen links und rechts auf seinen nackten Oberarmen. Er hat trotz der Kälte angefangen zu schwitzen und stellt sich vor, der Regen würde zischend verdampfen auf seiner Haut. Er ist ein glühender Kessel, der Druck kann nicht entweichen, er produziert stampfende, dosierte Bewegung.

Doch die Kälte ist scharf, womöglich sind die Tropfen stärker als er. Hart und kantig wie Eiskristalle. Er hat nur ein ärmelloses Ruderleibchen an, wie immer, es lohnt sich nicht, mehr Kleidung zu verschwitzen. Kurz dreht er den Kopf und versucht, an seinen rechten Bizeps zu kommen. Seine Haut riecht an dieser Stelle gut im Regen, würzig und natürlich. Dann dreht er die Nase schnell wieder nach vorn, als ob ihn hier, in der nassen und kalten Dämmerung, jemand beobachten könnte.

Er schwitzt und friert, ein Schauer durchläuft ihn, und er hört seine Zähne aufeinanderschlagen.
Er rudert.
Ein Schlag nach dem anderen. Vorrollen. Blätter eintauchen, die Füße gegen das Brett stemmen und durchziehen. Seine Muskeln spannen sich bei jedem Zug um sein Inneres wie ein Korsett.
Mittlere Schlagzahl. Dann legt er zu, nur so. Heute ist eigentlich Langstreckentraining vorgesehen. Aber er will sich abreagieren. Er hat gestern geschlampt. Er hat im Kraftraum zu früh aufgehört, obwohl noch ein Rest Kraft übrig war, es wären noch ein paar Wiederholungen gegangen, sogar Bankdrücken wäre gegangen, aber die anderen drängten ihn schon wegen der anstehenden Mannschaftsbesprechung. Die unverbrauchte Kraft in seinem Körper stört. Sie muss weg.
Er hängt sich in die beiden Skulls, rammt die Füße ins Brett. Die ersten harten Schläge fühlen sich immer ein bisschen zu mühelos an, man täuscht sich leicht. Der Schmerz kommt plötzlich wie ein Brenneisen. Er bildet sich irgendwo in den Knochen und Gelenken, gräbt sich in die Muskeln und dann ins Gehirn. Immer wieder registriert er fast freudig, wie weh es tut. Er begrüßt den Schmerz wie einen alten Vertrauten. Sein Atem geht schneller, er zieht und zieht und zieht und nimmt beinahe unbeteiligt das leichte Zittern in den Oberschenkeln wahr. Seine Muskeln sind zu kalt für den Druck. Aber er braucht ihn jetzt. Er presst die Kiefer aufeinander.
Er wartet darauf, dass die beiden Schmerzen aufeinandertreffen. Der Schmerz der Kälte, der durch seine Haut dringt. Und der Schmerz, der seine Muskeln von innen brennen lässt. Dieses wohlbekannte Brennen. Er kämpft ihn nieder, indem er sich ihm stellt, sich tief hinein wühlt, seine Spur verfolgt bis in die kleinsten Verästelungen.
Es ist ganz still hier bis auf das Geräusch des Regens, seiner Ruderschläge und bis auf das Stöhnen, das unwillkürlich mit jedem Schlag seinen Lungen entweicht. Und es ist so kalt, und er ist so fern von allem, an diesem frühen Herbstmorgen auf diesem menschenfeindlichen Mond-See, dass er kurz glaubt, er könnte wieder einmal ins Nichts abtauchen, in diesen schwerelosen Zustand, von keinem mehr wahrgenommen, nicht einmal von sich selbst.
Ein No-Body.
Er stellt sich vor, er wäre ein schwarzer Schattenriss, mit klaren Kanten, der rhythmisch seine Ruderbewegungen ausführt, vor und zurück. Vielleicht schafft er es irgendwann einmal, seinen Namen zu vergessen. Arne. Seine Mutter sagte, sie habe den Klang gemocht.
Das Wasser ist nicht weich. Er weiß aus Erfahrung, dass es härter ist als alles andere. Wenn er die Ruderblätter hineingetaucht hat, stecken sie dort fest. Und gegen den Widerstand des Wassers wuchtet er das schnittige Boot ein Stück vorwärts. Er bewegt das Wasser nicht. Er stößt sich von ihm ab.
Das Wasser ist ein übermächtiger Gegner, es kann ihn fertigmachen, wenn ihm ein Fehler passiert. Wenn er dem Wasser aus Versehen das Ruder überlässt, kann er nicht mehr dagegenhalten. Niemand kann das.
Arne schaut den Strudeln hinterher, die seine Ruderblätter bei jedem Schlag links und rechts entstehen lassen. Zwei helle, sich drehende Quallen, die sich langsam entfernen. Ganze Ketten davon produziert er. Doch auch sie wandern nicht davon. Sie stehen im Wasser. Er ist es, der davonfährt.
Er kann stillstehen. Das macht ihm nichts. Vor ein paar Jahren ging er einmal im kalten Wasser schwimmen. Erst kraulte er ein paar hundert Meter, so lange, bis seine Haut brannte. Dann legte er sich auf den Rücken, ließ sich treiben, bis ihn jemand vom Ufer aus entdeckte, keuchend auf den See hinausschwamm und ihn am Arm packte. Es war schwer, wieder zurückzukehren aus der Erstarrung, doch der Fremde zerrte an seinem Oberarm mit beiden Händen. Arne herrschte ihn an, er solle ihn in Ruhe lassen, schwamm aber ans Ufer zurück. Als er an Land stieg, merkte er, da…


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