Destruktive Paarbeziehungen (Leben Lernen, Bd. 214)

Destruktive Paarbeziehungen (Leben Lernen, Bd. 214)

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783608890747
Untertitel:
Das Trauma intimer Gewalt
Genre:
Angewandte Psychologie
Autor:
Jochen Peichl
Herausgeber:
Klett-Cotta Fachbuch
Auflage:
3. Druckaufl. 2021
Anzahl Seiten:
239
Erscheinungsdatum:
28.08.2008
ISBN:
978-3-608-89074-7

Warum erzeugt Gewalt wieder Gewalt? Warum geraten manche Menschen immer wieder in destruktive Paarbeziehungen, sei es als Opfer oder als Täter? Wie die Spirale der Gewalt in Gang gesetzt und aufrechterhalten wird, zeigt dieses Buch in differenzierter Weise.


»Mit seiner Veröffentlichung zum Thema Gewalt in intimen Partnerschaften hat Jochen Peichl ... eine Monografie vorgelegt, die sowohl für die therapeutische Praxis hilfreich als auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Debatte zu diesem dringlichen und schwerwiegenden Problem zu begrüßen ist.« Jochen Sautermeister, INTAMS review

Vorwort
Die Suche nach tieferen Gründen bei »Katastrophen-Paaren«

Autorentext
Jochen Peichl, Dr. med., war bis Ende 2010 Oberarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Nürnberg und ist jetzt in freier Praxis und als Leiter des Institutes für Hypno-analytische Teiletherapie InHAT tätig. Weiterbildung u. a. in Traumazentrierter Psychotherapie und Ego-State-Therapie; aktuelle Arbeitsschwerpunkte in Theorie und Praxis: Borderline -Störungen, Trauma-assoziierte und dissoziative Störungen.www.jochen-peichl.dewww.teiletherapie.de

Leseprobe

1. Destruktive Paargewalt:
Zwischen ohnmächtiger Wut und wütender Ohnmacht
Unter der Überschrift: »Ein tagelanges Martyrium?, 36-Jähriger angeklagt, weil er seine Freundin gequält haben soll«, schreibt die Gerichtsreporterin Gudrun Bayer in den Nürnberger Nachrichten vom 26. Juni 2007: »Geschlagen, gefesselt, in der Wohnung eingesperrt und vergewaltigt soll ein 36-Jähriger seine zehn Jahre jüngere Freundin haben. Zum gestrigen Auftakt des mindestens zweitägigen Prozesses schwieg er .«
Typisch Mann, hätte ich früher gedacht, und die Beschreibung hätte mich sofort mit dem Opfer mitfühlen lassen; der Täter, der Mann, hätte bei mir nur Abscheu und wenig Lust auf psychologische Einfühlung mobilisiert. Das Ende des Artikels war dann wieder etwas verblüffend: auch vorher habe er sie schon geschlagen, sagt die 26-Jährige dem Richter, der dann fragt, warum sie die Beziehung zu dem Zeitpunkt nicht beendet habe. Antwort: »Ich habe ihn geliebt .«
Dass Gewalt von Männern und Vätern ausgeht, so hatte ich in meiner 68er-Sozialisation in der Auseinandersetzung mit den Kriegsvätern gelernt und in meinen Psychotherapieausbildungen in Veranstaltungen mit einer Überzahl von Frauen unwidersprochen akzeptiert. Männliche Gewalt präge einseitig die Dynamik häuslicher Sozialisation - ich hatte den Prototyp des strengen Vaters, des strafenden Lehrers und auch des gewalttätigen, prügelnden Ehemanns in meinem männlichen Beziehungsrepertoire verinnerlicht. Die Frauen waren mehr oder weniger mütterlich, liebevoll und auch klug, aber niemals gewalttätig. Und wenn es zum Krieg kam, in diesem Nahbereich zwischen Tisch und Bett, dann stand die Diagnose von vornherein eindeutig fest: Die Männer waren die Täter und die Frauen die Opfer.
Je mehr durch die feministische Bewegung in den USA und Deutschland das Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern enttabuisiert wurde, umso genauer wurde zwar unser Blick auf die traumatisierenden Männer innerhalb und außerhalb der Familie, aber im Nebenblick auch auf die Frauen, die entweder das Geschehen zuließen, nicht eingriffen oder aber selbst, in einem erheblichen Maße, an körperlicher Misshandlung von Kindern in Familien beteiligt waren. Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass die gewohnte kausal-lineare Sichtweise, wie sie in der humanistischen Psychotherapieausbildung überwiegend als Denkschablone angeboten wurde, Schritt für Schritt durch eine eher zirkuläre, systemische Sicht in den 1980er-Jahren infrage gestellt wurde. Mit dieser Perspektive wurde es immer schwieriger, »den Täter« und »das Opfer« direkt und überzeugungssicher zu markieren, ohne sich den Kontext anzuschauen. Was mich selbst angeht, so nahm mir das Angebot von Hans-Joachim Lenz, in seinem Buch: »Männliche Opfererfahrungen «, einen Beitrag aus der Sicht des Psychoanalytikers zu schreiben und an einem geplanten Symposium 1997 teilzunehmen, einen letzten Rest an Orientierung. Ich war gezwungen, mich mit der Tatsache, dass Männer auch Opfer und Frauen auch Täterinnen waren, auseinanderzusetzen und auch damit, warum ich - wie viele andere um mich herum - dieses so lange einfach verleugnet hatten. Damals schrieb ich: »Die eigene therapeutische Arbeit in den Dienst weiblicher Gewaltopfer zu stellen, war für uns männergruppenerfahrene Männer sicher auch eine Möglichkeit, mit den eigenen gewalttätigen Fantasien fertig zu werden und uns so mit der guten mütterlichen Seite zu identifizieren. Wir waren Anwalt der Schwachen und somit unverdächtig« (2000, S. 309).
Bei intensiver Beschäftigung mit dem Thema fiel mir in den Folgejahren immer deutlicher auf, dass es ein Hellfeld 1 der in Polizeistatistiken, Verbrechensstudien und Krankenhaus- und Gerichtsakten gezählten Gewalttaten im Nahraum gab, die die Zahlen eindeutig erscheinen ließen und meine bisherige Annahme der männlichen Täterschaft bestätigte. Hellfelddaten spiegeln aber nur denjenigen Teil häuslicher Gewalt wider, der staatlichen und nicht staatlichen Institutionen (z. B. Beratungsstellen, Frauenhäuser) bekannt wird, Fälle, bei denen das Opfer den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hat oder wo die Folgen der Tat so verheerend waren, das eine Verheimlichung nicht möglich war (schwere Verletzungen, Straftaten).
Daneben fanden sich aber die sogenannten Familienkonfliktstudien , die für die Zahlenerhebungen nicht die aktenkundigen Fälle, sondern repräsentative Statistiken und Populationsbefragungen mittels Fragebogen oder Interview heranzogen, und die ergaben ein abweichendes Bild. Abgesehen von den schweren und brutalen Gewalttaten mit hohem Verletzungs- und Mortalitätsrisiko in intimen Paarbeziehungen, die weiterhin männerdominiert blieben, gab es einen weiten Bereich »mittlerer Gewalt«, bei dem die meisten empirischen Untersuchungen insgesamt eine ungefähr gleich große Rate der Gewaltanwendung von Frauen und Männern in Lebensgemeinschaften und auch bei nicht zusammenlebenden Paaren ergaben. Dabei wurde unter anderem vermutet, dass die Dunkelziffer bei männlichen Opfern weiblicher Gewalt höher sein könnte als für den umgekehrten Fall, weil männliche Opfer häuslicher Gewalt weniger ernst genommen würden und deshalb die Hemmschwelle, sich als Opfer gegenüber Polizei und Hilfsdiensten zu » outen «, vergleichsweise hoch sei. Dieses bestätigt auch eine Untersuchung von Ute Gabriel und Kolleginnen, die Geschlechtsunterschiede bei der moralischen Beurteilung von häuslicher Gewalt bei Studierenden untersuchten (2007). Ein Ergebnis war, dass häusliche Gewalt, die von einer Frau ausging, milder beurteilt wurde, als wenn diese von einem Mann ausgeübt wurde. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass sich die Frage nach dem Tätergeschlecht bei häuslicher Gewalt »nicht auf die Frage nach dem Wer verhält sich wie häufig und mit welchen Konsequenzen wem gegenüber aggressiv ? begrenzen lässt: Die Wahrnehmung und Interpretation sozialen Geschehens wird wesentlich von unseren ggf. stereotypen Erwartungen beeinflusst« (S. 50). Die Wahrnehmung aggressiven Verhaltens von Frauen in intimen Paarbeziehungen unterlag in den letzten Jahrzehnten diesem Blick und wurde entweder bagatellisiert oder aus einer männlichen Perspektive bewertet (siehe dazu Cizek et al. 2001, S. 271 ff.).
Je mehr man bereit ist, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, und die von Frauen und Müttern zu verantwortende Gewalt ins eigene Blickfeld gerät und zu einer Stellungnahme herausfordert, umso mehr bemerkt man die zum Teil erbitterte Auseinandersetzung in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion. Bei dem Streit geht es um die Bewertung von Gewalt in der Mann-Frau-Beziehung und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen. Die häufig teils giftige und entwertend aufgeladene Stimmung bis in die jüngste Vergangenhei…


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