Riskante Substanzen

Riskante Substanzen

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593511726
Untertitel:
Der »War on Drugs« in den USA (19631992)
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Timo Bonengel
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
433
Erscheinungsdatum:
11.03.2020
ISBN:
978-3-593-51172-6

Die Debatte um Drogenkonsum und dessen Bekämpfung hat Konjunktur. Timo Bonengel zeichnet die Geschichte der Drogenpolitik in den USA nach, die sich in den 1980er Jahren von wohlfahrtsstaatlichen Strategien in eine konservative, auf Abschreckung und Bestrafung setzende Sozialpolitik verwandelte. Das Buch zeigt, dass der »War on Drugs« auch mithilfe von wissenschaftlichen Expert*innen geführt wurde und dennoch ethnische Minderheiten und arme Menschen diskriminierte. Damit problematisiert die Studie Forderungen nach einer wissenschaftsbasierten und deshalb angeblich gerechten Drogenpolitik.

»Bonengels Buch enthält [] viel Interessantes und Lesenswertes.« Jürgen Wilzewski, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2020 »Timo Bonengel hat mit Riskante Substanzen eine äußerst lesenswerte Studie zum War on Drugs vorgelegt, die das Wissen über Drogenpolitiken in den USA für den Zeitraum von den frühen 1960er- bis in die frühen 1990er-Jahre bereichert. Zudem trägt das Buch zum historischen Verständnis gegenwärtiger (rassistischer) Drogendiskurse in den USA bei.« Kristoff Kerl, H-Soz-Kult, 12.10.2020 »Diese empirisch und analytisch reiche Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur hochaktuellen Debatte um die amerikanische Drogenpolitik und lädt nicht zuletzt ein, die gegenwärtige Opioid Crisis an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft zu analysieren und zu historisieren. Der Blick auf sozial- und gesundheitspolitische Aspekte zeigt, wie zentral medizinische und soziale Debatten waren, und legt die Zusammenhänge gesundheitspolitischer Diskurse mit sozialen Ordnungsvorstellungen und rassistischen Denkmustern frei.« Andrea Wiegeshoff, Sehepunkte, 15.01.2022

Autorentext
Timo Bonengel studierte Germanistik und Geschichtswissenschaft an der Universität Erfurt.

Leseprobe
Einleitung »Any discussion of drug use inevitably [] involves the consideration of individual and social risk. Drug use as a risk-taking and risk-producing behavior is the heart of the matter.« »What we think about addiction very much depends on who is addicted.« Was haben ein Rapper, ein Großunternehmer und eine Bürgerrechtsaktivistin gemeinsam? Was wie der Anfang eines weniger gelungenen Witzes klingt, hat in Wirklichkeit keine Pointe. Alle drei, der Rapper Jay-Z, der Unternehmer Sir Richard Branson und die Bürgerrechtsaktivistin Michelle Alexander, sind prominente Kritiker des »War on Drugs« sowohl in seiner weltweiten als auch in seiner US-amerikanischen Gestalt. Branson, Philanthrop und Gründer der Virgin Group, erklärte 2016: »Der Krieg gegen die Drogen war immer auch ein Krieg gegen Menschen. Unverhältnismäßig zielte er vor allem auf Minderheiten, die Armen und Entrechteten.« Jay-Z schlug ebenfalls in diese Kerbe, als er im gleichen Jahr den rassistischen Charakter des »War on Drugs« in den USA kritisierte: »Die New Yorker Polizei durchsuchte in Brooklyn unsere Nachbarschaft, während in Manhattan Banker in der Öffentlichkeit Crack konsumierten und straffrei blieben.« Die Juristin Alexander hatte schon 2010 für Aufsehen gesorgt, als sie ihre Studie The New Jim Crow veröffentlichte. Darin belegt sie, welche drastischen Konsequenzen der »War on Drugs« für Hispanics und Afroamerikaner*innen mit sich bringt. Nicht nur wurden und werden sie in unverhältnismäßigen Zahlen wegen Drogendelikten festgenommen, sondern auch häufiger verurteilt und härter bestraft als Weiße. Durch massenhafte Verhaftungen und Verurteilungen auch wegen nicht-gewalttätiger Drogendelikte (»possession« beziehungsweise »simple possession«) wird, so Alexander, den derart Stigmatisierten systematisch die gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe erschwert. Der moderne »War on Drugs« seit Mitte der 1980er Jahre, den Alexander zu Recht vor allem hinsichtlich des intensivierten Strafverfolgungsansatzes analysiert, stellt in ihren Augen eine Reaktion auf die Erfolge des Civil Rights Movement in den 1960er und 1970er Jahren dar. Die neuen Rechte und Freiheiten, die sich Afroamerikaner*innen erkämpft hatten, würden ihnen durch die Eskalation einer rassistischen Drogenpolitik wieder systematisch entzogen. Mit dieser schlüssigen Interpretation steht Alexander im wissenschaftlichen Feld nicht allein da. Rechts-, politik-, sozial- und geschichtswissenschaftliche Studien stützen ihre These. Die meisten dieser Arbeiten konzentrieren sich ebenfalls auf den Zeitraum vom Ende der 1980er Jahre bis in die Gegenwart, und das verständlicherweise: Denn auch wenn Richard Nixon bereits im Sommer 1971 eine »neue, uneingeschränkte Offensive« gegen Drogen ausrief, kam es erst ab dem Ende der 1980er Jahre zu einem drastischen Anstieg der Verhaftungen und Verurteilungen wegen Drogendelikten. Da diese Tendenz ein plastisches und unmittelbares Symptom von gesellschaftlichem und institutionalisiertem Rassismus darstellt, ist es nicht nur nachvollziehbar, sondern auch dringlich, diesen Aspekt zu beleuchten. Das hat allerdings zu einer doppelten Schieflage beziehungsweise Verzerrung geführt. Die moderne US-Drogenpolitik wurde und wird in den genannten Disziplinen meistens hinsichtlich des Strafverfolgungsansatzes analysiert und nicht als umfassendere Sozial- und Gesundheitspolitik. Das wiederum scheint zu einer Verzerrung in der öffentlichen Wahrnehmung beigetragen zu haben, und hier kommt wieder Richard Branson ins Spiel. Branson hat Recht, wenn er den diskriminierenden Charakter des »War on Drugs« kritisiert. Er liegt aber auch daneben. Ahnungsvoll deutete er beispielsweise an: »Als US-Präsident Richard Nixon 1971 illegale Drogen zum Staatsfeind Nummer eins erklärte, hatten wenige eine Ahnung davon, was ihn wirklich dazu trieb, einen weiteren Krieg anzufangen.« Branson berief sich anschließend auf ein angebliches Zitat von Nixons innenpolitischem Berater John Ehrlichman. Dieser habe erklärt, die Nixon-Regierung habe absichtlich Hippies mit Marihuana und Afroamerikaner mit Heroin in Zusammenhang gebracht und dann beide Substanzen kriminalisiert, um diese Gruppen zu unterdrücken. Nun stecken in Bransons Andeutungen auch zutreffende Aspekte: Nixon weigerte sich tatsächlich, den Empfehlungen einer von ihm einberufenen Kommission zu folgen, und den Besitz geringer Mengen von Marihuana zu entkriminalisieren. Noch bevor die Kommission Ergebnisse veröffentlichte, hatte der Präsident öffentlich erklärt, er werde einer solchen Empfehlung nicht nachkommen. Marihuana war allerdings bereits seit 1937 auf Bundesebene kriminalisiert. Gesetzgeber*innen reduzierten unter der Nixon-Regierung die Strafen für den Besitz der »Hippie-Droge« sogar im Controlled Substances Act von 1970. Und nicht nur die Nixon-Regierung brachte Afroamerikaner mit Heroin in Verbindung, das taten auch Medien und Wissenschaftler*innen. Der private Besitz von Opiaten war zudem schon seit 1914 de facto illegal, seit 1956 war es Heroin in jeglichem Verwendungskontext. Außerdem setzte ausgerechnet der bei Linksliberalen wenig beliebte Nixon zu Beginn des »War on Dugs« liberale Psychiater als Regierungsexperten für Drogenpolitik ein und bedachte Forschung, Therapie und Rehabilitation mit massiven finanziellen Aufstockungen. The House I Live In zeigt, dass Bransons Ansicht, moderne Drogenpolitik sei in den USA lediglich ein Mittel zur bewussten Unterdrückung verarmter ethnischer Minderheiten, weit verbreitet ist. In der preisgekrönten Dokumentation des Regisseurs Eugene Jarecki von 2012 steht ebenfalls der strafende Ansatz des »War on Drugs« seit den späten 1980er Jahren im Mittelpunkt. Auch Michelle Alexander kommt darin zu Wort und auch Jareckis Film belegt eindrücklich und richtigerweise die rassistische Schlagseite des Strafverfolgungsansatzes. Auf dem Filmplakat heißt es jedoch: »The War on Drugs Has Never Been About Drugs«. Und so richtig das Argument der rassistischen Diskriminierung ist, so falsch ist eben die Behauptung, es sei im »War on Drugs« überhaupt nicht um Drogen gegangen und diese seien bloß ein Vorwand. Die Studienlage und eine v…


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