Erinnern, vergessen, umdeuten?

Erinnern, vergessen, umdeuten?

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593510330
Untertitel:
Europäische Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
406
Erscheinungsdatum:
21.08.2019
ISBN:
978-3-593-51033-0

Die erste Frauenbewegung leitete wichtige Schritte zur Emanzipation in Europa ein, blieb aber nicht in der kulturellen Erinnerung verankert. Denn als sich die zweite Frauenbewegung in den 1970er- Jahren Gehör verschaffte, verstand sie sich weitgehend als neue Bewegung ohne eigenen Vorläufer. Der Band untersucht die Bilder der Geschichte, die die Frauenbewegungen entwickelten oder vernachlässigten, und die Traditionsverluste, die durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts verursacht wurden.

Die erste Frauenbewegung leitete am Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert erste wichtige Schritte zur Emanzipation und Gleichberechtigung in Europa ein. Ihre Ziele, Aktionen und Errungenschaften blieben allerdings nicht in der kulturellen Erinnerung verankert. Denn als sich die zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren auf den politischen Bühnen Gehör verschaffte, verstand sie sich weitgehend als neue Bewegung ohne Vorläufer. Die Beiträge dieses Bandes untersuchen die Bilder der eigenen Geschichte, die die europäischen Frauenbewegungen entwickelten oder vernachlässigten, und die Traditionsverluste, die durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts verursacht wurden.

»Selbst HistorikerInnen werden hier sehr viel Neues und Interessantes erfahren, denn die Geschichte der Frauenbewegungen ist immer noch ein stiefmütterlich behandelter Bereich.« Glarean-Magazin, 04.10.2019 »Jeder Beitrag in diesem Sammelband wirft Licht auf etwas Neues oder lässt Altes in neuem Licht erscheinen. Jeder Beitrag hält eine Überraschung bereit, als ob der abschließende Artikel der Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Kinnebrock zum Zusammenhang von Gedächtnisformen und Medienlogiken Pate gestanden hätte. Überraschung, Personalisierung und Dramatisierung sind wichtige Bearbeitungsweisen, um Ereignisse zu erinnern und sie aus dem kulturellen Langzeitgedächtnis in das kommunikative Kurzzeitgedächtnis zu holen, so Kinnebrock. Dies ist den Autorinnen dieses Buches außerordentlich gut gelungen.« Marianne Schmidbaur, H-Soz-Kult, 30.09.2020 »Der vorliegende Sammelband gibt erste wichtige Antworten auf die Frage, in welcher Weise sich europäische Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert selbst erinnerten und welche bewegungsinternen Deutungskämpfe um Geschichtsbilder und -narrative damit einhergingen. Ein zentraler Befund der Aufsätze ist, dass die Frauenbewegungsgeschichte gerade nicht in Narrativen wie abgrenzbaren Wellen oder eines eindeutigen Strukturbruchs in den 1970er Jahren aufgeht. Die Beiträge des Bandes lassen sich durchwegs auf die Komplexität von Historisierungsprojekten ein und eröffnen den Blick auf vielfältige, auch unvorhergesehene historische und räumliche Bezüge.« Elisa Heinrich, L'Homme, 2 (2021)

Autorentext
Angelika Schaser ist Professorin an der Universität Hamburg. Sylvia Schraut vertritt die Professur für deutsche und europäische Geschichte des 19. und 20. Jh. an der Universität der Bundeswehr, München. Petra Steymans- Kurz, Dr. phil., ist Fachbereichsleiterin an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Leseprobe
Einleitung: Die (fehlende) Historiographie zu den Frauenbewegungen in Europa Angelika Schaser/Sylvia Schraut Die Fragen, wie Geschichte überliefert wird, wer sie beschreibt und schreibt, die Entwicklung von historischen Narrativen und ihr Wandel beschäftigen die Geschichtswissenschaft in den zurückliegenden Jahrzehnten in zunehmendem Maße. Es sind Problemstellungen, mit denen sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte als Gegenentwurf zur Mainstream-Geschichte seit ihrer Entfaltung in den 1970er/80er Jahren grundständig und grundlegend auseinandersetzen musste. Doch erst seit dem 21. Jahrhundert befasst sich die Frauenbewegungsgeschichtsschreibung auch mit den eigenen tradierten Narrativen zu ihrer Entstehungsgeschichte, mit Zuschreibungen von Bedeutung und Randständigkeit von historischen Flügeln der Bewegung. Lange Zeit sind insbesondere die Darstellungen zur Frauenbewegungsgeschichte aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als Faktensammlungen genutzt und nicht auf ihre Struktur, Grundlagen und Erzählweisen hin befragt worden. Zwar ist verstärkt in den letzten Jahren eine Beschäftigung mit der bewegungseigenen Geschichtsschreibung zu beobachten, in der Diskussion über die alte Frauenbewegung in Europa lassen sich jedoch viele Forschungslücken aufzeigen. So wird zum Beispiel nach wie vor die Bedeutung von Religion und Konfession in ihrer Wirkungsmächtigkeit während des 19. Jahrhunderts marginalisiert. Noch immer fehlt es an Biografien von zeitgenössisch wichtigen Frauenrechtlerinnen, die in der frauenbewegten Mainstream-Geschichtsschreibung zur eigenen Bewegung vernachlässigt oder gar vergessen worden waren. Feststellbar ist beispielsweise auch noch immer die weitgehende Übernahme derjenigen geografischen Räume als Untersuchungsgegenstand, die die frühe Frauenbewegungsgeschichte bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als zentral begriff. Es fällt auf, dass die alten, zum großen Teil von Gertrud Bäumer und Helene Lange entworfenen Narrative der Geschichtsschreibung zur deutschen Frauenbewegung seit mehr als 100 Jahren einfach wiederholt werden, was die Themensetzungen und die Hervorhebung einzelner Personen und einzelner Vereine betrifft, ohne dass geprüft wird, ob neue Forschungsergebnisse nicht zur Revision des solchermaßen konstruierten Geschichtsbildes beitragen müssten. Überdies fehlt es weitgehend an transnationalen Vergleichen. Nicht nur in Deutschland, aber hier wohl besonders, lässt sich spätestens mit dem Entstehen der neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren ein Traditionsbruch beobachten. Offenbar konnten oder wollten sich die neuen Frauenrechtlerinnen und Frauengeschichtsschreiberinnen nicht auf ihre alten Vorläuferinnen beziehen. Die zahlreichen Aktivitäten und die umfassende Publikationstätigkeit der deutschen Frauenbewegung vor 1933 und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sind spät und nur sehr selektiv wahrgenommen worden. Hierfür dürften vielfältige Ursachen verantwortlich sein. So entstand die neue Frauenbewegung aus und in Abgrenzung zur Studentenbewegung. Die Feministinnen verpflichteten sich dezidiert auf neue Gesellschaftsentwürfe in Distanz einerseits von der vermuteten oder tatsächlichen nationalsozialistisch eingefärbten Weltanschauung der Elterngeneration, andererseits vom bürgerlichen Gesellschaftsentwurf. Diese Abgrenzung teilte die neue Frauenbewegung mit der Studentenbewegung. Und so muss es nicht wundern, dass erste Texte in den 1970er Jahren zur Geschichte der deutschen Frauenbewegung eine direkte Verbindung vom Dachverband der alten Frauenbewegung (BDF) und den großen Frauenvereinen hin zum Nationalsozialismus und der NS-Frauenschaft zogen. Der oberflächliche Blick auf das, was nun das klassenbezogene, von der alten Frauenbewegung aber auch als Selbstdefinition genutzte Urteil Clara Zetkins aufgreifend, als »bürgerliche Frauenbewegung« nicht mehr definiert, sondern diffamiert wurde, reichte soweit, dass Gertrud Bäumer, die 1933 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von den Nationalsozialisten aus ihrem Amt entlassen wurde, in einem Text zur Nationalsozialistin avancierte, da der Autorin wohl der Unterschied zwischen dem nationalsozialen Verein Friedrich Naumanns und der NSDAP nicht geläufig war: Renate Wiggershaus stellte in ihrem Buch allen Ernstes die »Nationalsozialistin Bäumer« unter der Überschrift »Aktive Nationalsozialistinnen« vor. Auch wenn inzwischen Historikerinnen davor warnen, Quellenbegriffe wie bürgerliche, radikale und gemäßigte Frauenbewegung nicht mit Analysebegriffen zu verwechseln, werden solche Unterteilungen immer wieder gerne weitgehend unreflektiert reproduziert. Zwar sind in den letzten drei Jahrzehnten viele innovative Studien zu einzelnen Teilbereichen der alten Frauenbewegung auf nationaler Ebene und erste wegweisende Studien zur transnationalen Verflechtung der europäischen Frauenbewegungen ersch…


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