Aus dem Volkskörper entfernt?

Aus dem Volkskörper entfernt?

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783593508634
Untertitel:
Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Alexander Zinn
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
695
Erscheinungsdatum:
12.04.2018
ISBN:
978-3-593-50863-4

Über Jahrzehnte tabuisiert, rückt die Verfolgung homosexueller Männer in der NS-Diktatur erst in jüngster Zeit ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Woran es bislang mangelte, waren überregionale Untersuchungen, die einen Überblick über Alltag und Verfolgung Homosexueller im "Dritten Reich" geben. Alexander Zinn legt nun eine Studie vor, die eine neue und umfassende Sicht auf dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte ermöglicht. Im Fokus stehen nicht nur das Verfolgungsprogramm der Machthaber, das sich immer weiter radikalisierte, sondern auch die Rolle von Polizei, Justiz und Bevölkerung sowie - nicht zuletzt - die der Betroffenen selbst. Mit überraschenden Ergebnissen: So klafften Anspruch und Wirklichkeit der Verfolgungspolitik oft eklatant auseinander. Denn nicht immer erwiesen sich die Behörden als die "willigen Vollstrecker", als die man sie heute meist sieht. Und auch die Bevölkerung arbeitete dem Verfolgungsapparat in weit geringerem Maße zu, als bislang oft unterstellt.

»Das Schicksal homosexueller Männer im NS-Staat hat bis heute nicht nur von der Gesellschaft wenig Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch von der Forschung. Dieses Werk eines Historikers arbeitet die Verfolgung profund auf und macht das Leid mit vielen Beispielen anschaulich.« P.M., 15.09.2018 »Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Das ist die Quintessenz von Alexander Zinns Dissertation über homosexuelle Männer im Nationalsozialismus. Man sollte den Gegenstand nicht mehr nur aus der Opferperspektive betrachten. [...] Zinns differenzierte Darstellung ist ein Grundlagenwerk, mit den von ihm benannten Forschungslücken ermuntert er zur Weiterarbeit.« Sabine Lueken, konkret, 10.10.2018 »Verfolgung und Alltag Homosexueller im Nationalsozialismus blieben noch jahrzehntelang Tabuthemen. Der Historiker und Soziologe Zinn legt eine sehr umfassende Studie vor, die das Zeug zum Standardwerk hat und einige überraschende Fakten aufbieten kann.« P.M. History, 15.09.2018 »Zinn [gelingt es] in beeindruckender Weise, Netzwerke zu rekonstruieren, Räume der Konraktanbahnung aufzufinden vom Kunstverein über Lokale bis hin zu öffentlichen Toiletten und das wissende Beschweigen der Homosexualität im familiären und sozialen Umfeld zu analysieren. Dabei zeigt sich immer wieder ein aus heutiger Sicht überraschendes Selbstbewusstsein.« Benno Gammerl, Jahrbuch Sexualitäten, 11.07.2019 »Die vielen Fakten und Zahlen [bekommen] noch einmal einen Namen und eine individuelle Geschichte, sowohl für jene, die nicht überlebten, aber auch die anderen, für die die strafrechtliche Verfolgung unter unverändertem Nazi-Paragraphen nach 1945 weiterging.« Elmar Kraushaar, Berliner Zeitung, 11.06.2018 »[Zinns] bemerkenswerte Studie Aus dem Volkskörper entfernt? beleuchtet nicht nur Einzelaspekte der Homosexuellenverfolgung, und das man glaubt es kaum zum ersten Mal ausführlich seit der Arbeit von Burkhard Jellonnek 1990. Zudem handelt es sich erstmals um einen überregionalen Ansatz, der sich von der Opferperspektive löst.« Florentine Kutscher, Die WELT, 22.04.2018 »Facettenreich zeichnet [Alexander Zinn] ein umfassendes Bild der Lebenssituation homosexueller Manner verschiedener sozialer Milieus im Dritten Reich. Sie werden nicht nur als Opfer, sondern auch als Akteure mit Handlungsspielraum gezeigt.« Johann Karl Kirchknopf, L'Homme, 1/2020

Autorentext
Alexander Zinn, Dr. phil., ist Soziologe und Historiker.

Leseprobe
Vorwort Über Jahrzehnte tabuisiert, rückt die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung erst seit den neunziger Jahren ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Auch die historische Forschung tat sich lange schwer mit dem Thema. Inzwischen liegt zwar eine ganze Reihe von Detail- und Regionalstudien vor, insbesondere zur Situation in einigen Großstädten. Woran es jedoch mangelt, sind überregionale Untersuchungen, die einen Überblick über Alltag und Verfolgung Homosexueller im "Dritten Reich" geben. Mit diesem Buch wird das Thema nun neu und umfassend in den Blick genommen. Im Fokus steht dabei nicht nur die Verfolgungspolitik der Machthaber, die sich in den Jahren der NS-Herrschaft immer weiter radikalisierte, sondern auch die Rolle von Polizei, Justiz und Bevölkerung sowie - nicht zuletzt - die der Betroffenen selbst. Konzentrierte sich die Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung bislang auf das wahnwitzige Verfolgungsprogramm der Gestapo und dessen Opfer, so nimmt diese Studie verstärkt die Probleme in den Blick, die es bei der praktischen Umsetzung gab und fragt nach den Auswirkungen auf das alltägliche Leben. Mit welchem Elan setzten Polizei- und Justizbehörden den 1935 verschärften § 175 des Strafgesetzbuches durch, der die "Unzucht" unter Männern mit Gefängnis bedrohte? Wie viele Homosexuelle gerieten in das Visier der Verfolgungsbehörden und wie hoch war der Anteil derjenigen, die sich einer Bestrafung entziehen konnten? Wie reagierte die Bevölkerung und welche Spielräume gab es - trotz alledem - für homosexuelles Leben? Die Untersuchung kommt zu teilweise überraschenden Ergebnissen: Anders als gemeinhin angenommen, klafften Anspruch und Wirklichkeit der Verfolgungspolitik oft eklatant auseinander. Die radikale Rhetorik, mit der SS und Gestapo versuchten, den Verfolgungseifer anzuheizen, täuscht leicht darüber hinweg, dass es in der Praxis massive Probleme gab. Denn nicht immer erwiesen sich die regulären Polizei- und Justizbehörden als die willigen Vollstrecker, als die man sie heute oft wahrnimmt. Und auch die Bevölkerung arbeitete dem Verfolgungsapparat keineswegs in dem Maße zu, wie es bislang meist unterstellt wurde. Diese Studie soll dazu beitragen, eine differenziertere Perspektive auf die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung zu gewinnen. Dazu gehört auch eine kritische Betrachtung der Überschneidungen von NS-Bewegung und Homosexuellenszene. Dass sich SS-Chef Heinrich Himmler mit der von ihm konzipierten Verfolgungspolitik durchsetzen konnte, war kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis eines harten Machtkampfes, der im Juli 1934 in der Ermordung des homosexuellen SA-Stabschefs Ernst Röhm gipfelte. Die Verschwörungstheorie einer Unterwanderung des NS-Staates durch Homosexuelle, mit der die Verfolgung gerechtfertigt wurde, ist ohne dieses Vorspiel ebenso wenig verständlich wie der daraus resultierende Verfolgungseifer Himmlers und der Gestapo. Alexander Zinn, Berlin im März 2018 1. Einführung 1.1 Überblick über den Forschungsstand Die nationalsozialistische Verfolgung homosexueller Männer ist, im Gegensatz zur Geschichte vieler anderer Verfolgtengruppen, auch siebzig Jahre nach der Befreiung nur lückenhaft erforscht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. In den ersten drei Jahrzehnten bestand allein schon auf-grund der fortgesetzten Kriminalisierung und Stigmatisierung Homosexueller kaum ein Interesse an einer historischen Aufarbeitung. In der Bundesrepublik wurden die Paragrafen 175 und 175a des Strafgesetzbuches in der von den Nationalsozialisten 1935 geschaffenen Fassung noch bis 1969 angewandt. Eine Anerkennung als Verfolgte blieb den Homosexuellen ebenso versagt wie eine angemessene Entschädigung. Und auch in der DDR, in der der § 175 bis 1968 in der etwas milderen Weimarer Fassung weiter bestand, verweigerte man den "Rosa-Winkel-Häftlingen" die Anerkennung als "Opfer des Faschismus". Unter diesen Rahmenbedingungen konnten und wollten die meisten Verfolgten über ihr Schicksal keine Auskunft geben. Die historische Aufarbeitung scheiterte jedoch nicht nur an einem Mangel an biografischen Quellen. Erschwert wurde sie auch dadurch, dass wichtige amtliche Quellen vernichtet wurden. Ein Teil wurde von der SS verbrannt, ein Teil ging durch Kriegseinwirkung verloren und auch in der Nachkriegszeit wurden viele relevante Dokumente durch die Staatsanwaltschaften vernichtet oder durch Archive "kassiert". In der etablierten Geschichtswissenschaft zeig…


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