Der Begriff der Politik

Der Begriff der Politik

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593508603
Untertitel:
Die Moderne als Krisenzeit im Werk von Reinhart Koselleck
Genre:
Geschichts-Lexika
Autor:
Gennaro Imbriano
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
187
Erscheinungsdatum:
30.04.2018
ISBN:
978-3-593-50860-3

Reinhart Koselleck (1923 - 2006) gilt in Deutschland als Übervater der Begriffsgeschichte sowie der Theorie historischer Zeiten. In seiner intellektuellen Biografie des Gelehrten, bei der erstmals wichtige Dokumente aus dem Nachlass Kosellecks berücksichtigt werden - seine Briefwechsel mit Carl Schmitt, mit Hans Blumenberg und Hans-Georg Gadamer -, präsentiert Gennaro Imbriano Koselleck als Denker und Autor, für den der Horizont der Politik die wesentliche Perspektive seiner Arbeit war, um die moderne Welt und ihre Widersprüche zu beschreiben. Er leistet somit einen neuen Beitrag zur weiteren Beschäftigung mit und zur Kritik an Kosellecks Werk.

»Die Studie ist eine gelungene konzise Darstellung der grundlegenden Vorstellungen Kosellecks zur Moderne.«, Informationsmittel für Bibliotheken, 02.07.2018

Autorentext
Gennaro Imbriano, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Bologna.

Leseprobe
I. Einleitung - Der Jargon der Unmöglichkeit und der Horizont der Politik Der Horizont der Politik ist die Perspektive, in der sich die theoretische Leistung Reinhart Kosellecks bewegt. Sein Werk hat sich mit dem Entstehen der Neuzeit, ihren Zäsuren und allgemein mit den Brüchen der geschichtlichen Zeit beschäftigt. Koselleck hat die Beziehung zwischen Begriffen, Worten und historischer Welt erforscht, indem er gezeigt hat, dass die sprachlichen Veränderungen keinesfalls dem Reich des reinen Geistes angehören, sondern immer an den sozialgeschichtlichen Prozess gebunden sind. Koselleck hat übrigens die Entwicklung der Sozial- und Verfassungs-geschichte Deutschlands und Europas, aber auch die zeitlichen Rhythmen der neuzeitlichen und modernen Erfahrung wie auch die verschiedenen Aspekte der Zeitlichkeit der Geschichte analysiert. Gleichzeitig war er ein Historiker, der den Versuch unternommen hat, eine neue Historik zu begründen, mit der die Entwicklung der Moderne vor dem Hintergrund der Bedingungen möglicher Geschichten erfasst werden kann. Koselleck war aber, bei Licht betrachtet, vor allem ein politischer Au-tor, ein Denker der Politik mitsamt ihren Institutionen und Strukturen. Als Politik sind hier die Formen der Vermittlung und der Repräsentation gemeint, die das menschliche Zusammenleben ermöglichen. Die historische Forschung Kosellecks scheint sich immer dorthin gewandt zu haben, die politischen Räume und deren Organisation zu verstehen. Koselleck war insgesamt besonders an der politischen Dimension der historischen Erfahrung interessiert. Hier taucht eine wichtige Achse dieser Forschung auf: das privilegierte (und zweideutige) Verhältnis, das Koselleck mit seiner wichtigsten Quelle, Carl Schmitt, pflegte. Wenn einerseits die kritische und genetische Unter-suchung Kosellecks über die Krise der modernen Welt, über die politische Dimension der Begriffe und über die Anthropologie radikal an Schmitt und dessen Werk gebunden ist, und zwar dahingehend, dass er sich von dessen Idee inspirieren ließ, wonach die politische Feindseligkeit jede mögliche Geschichte bestimmt, konnte Koselleck eine eigene Position zur Politik andererseits erst dann erreichen, wenn er Autonomie von Schmitt und dessen Denken erlangt haben würde. Aufgrund seiner Auffassung des Politischen betrachtet Schmitt die Entpolitisierungen des Liberalismus und des Konstitutionalismus, aber auch allgemein die Krise des modernen Leviathans als Beweis für die Unmöglichkeit einer Gestaltung und Formung des chaotischen Konfliktes und als potentielles Ende des Politischen, dem der Übergang zur Herrschaft der Technik entspricht. Koselleck, welcher sich zu Beginn seiner Forschungen im Horizont Schmitts bewegte, sollte sich nach und nach eine andere Position verschaffen. Die Analyse der historischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts wird ihn dazu treiben, die Formen der staatlichen Repräsentation des 19. und 20. Jahrhunderts als Mittel der aktiven Neutralisierung der Krise zu deuten. Das "Politische" wird von Koselleck mit der Krise, dem Konflikt, dem Krieg identifiziert. Deshalb hat es keine produktive Natur, abgesehen von seiner Anspielung auf die Notwendigkeit der "Politik", die als Regierung, Neutralisierung und Befriedung der ursprünglichen Feindseligkeit erfasst wird. Dem Begriff des Politischen, das als Opposition zwischen Freund und Feind betrachtet wird, versucht Koselleck einen Begriff der Politik entgegenzusetzen, welche als Vermittlung des Konfliktes zu verstehen ist - darin besteht die Hauptthese dieses Buches. Hinter dieser These steht die Überzeugung, dass die moderne Welt für Koselleck eine gespaltene und zerrissene Welt ist, in der stets der Bürger-krieg und der Versuch einer Befriedung als die zwei Pole der Dialektik der Moderne auftauchen. Die historische Welt ist für Koselleck von der "ungeheuren Macht des Negativen" strukturell durchdrungen. Die Geschichte der Menschheit benötigt stets die politische Vermittlung genau deswegen, weil sie ursprünglich vom Konflikt bestimmt ist. Die Krise ist ihre konstituierende Bedingung. Koselleck denkt, dass im Anfang die Gewalt, der Ausnahmezustand, nicht die Norm war - hier bleibt die schmittianische Seite seines Denkens. Der Ursprung ist der Wille zur Macht, der Kampf ums Dasein, die Selbstbehauptung durch die Überwältigung des Anderen. Es ist das Negative, welches in seinem radikalen Sinn betrachtet wird, d.h. als etwas, was nicht gemildert oder ins Positive durch eine dialektische Bewegung dahingehend verändert werden kann, das menschliche Zusammenleben zu leiten und zu führen. Es gibt keine Geschichte ohne Konflikt, es gibt kein geschichtliches Leben ohne Widerspruch. Erst wenn dieser ursprüngliche Abgrund ernsthaft wahrgenommen wird, können die Historiographie und die Kritik ihre ureigene Aufgabe nur verrichten, und zwar einen Begriff der Politik produzieren, welchem es gelingt, die vernichtenden Wirkungen der historischen Existenz aufzuhalten. Im Unterschied zu Schmitt hegt Koselleck keine Sympathie für den Mythos des Politischen. Koselleck will nicht dessen Macht vertiefen und heiligen. Er meint auch nicht, die Neutralisierung des Politischen sei ein Verzicht auf den energetischen Schwung des historischen Lebens. Er stürzt sich nicht auf die sogenannte Technisierung und Entpolitisierung, die die Formen der politischen Vertretung dem Chaos entgegensetzten. Es gibt bei Koselleck weder eine Ästhetik, eine Mythologie und eine Mystik des Krieges - wie bei Schmitt. Noch existiert bei ihm eine Wertschätzung für den Jargon der Kriegseigentlichkeit - wie bei Heidegger, dessen Ontologie als "Koppelschlossphilosophie" stigmatisiert wird, obwohl er eine sehr wichtige Quelle Kosellecks in Bezug auf die Geworfenheit und Endlichkeit des Daseins war. Der Krieg muss aufgehalten, das Politische so weit wie möglich begrenzt, die Technik und die Politik als Mittel der Neutralisierung benutzt werden. Hier liegt das konservative Profil der Koselleck'schen Position, sein Realismus, welcher reich an anti-fortschrittlichen und anti-revolutionären Voraussetzungen ist. Koselleck bietet eine Art eines "Jargons der Unmöglichkeit", in dem die revolutionäre Vertiefung der Krise ab sofort mit Süffisanz verurteilt und abgelehnt wird, weil sie auf die Dimension des Politischen zurückgezogen bleibt. Die Koselleck'sche Herausforderung ist die Antwort auf eine existenzielle und nicht allein theoretische Frage. Die Erfahrung des Krieges, des radikalen Konfliktes, des prekären Gleichgewichtes des sozialen Lebens, welches immer zur ursprünglichen Herrschaft der Barbarei und des Todes zerbröseln und abstürzen kann, ist für Koselleck keine sekundäre und vom historischen Stoff vermittelte Erfahrung, sondern seine eigene Lebenserfahrung. Die Kriegserfahrung im Zweiten Weltkrieg und die Gefangenschaft prägten die Existenz Kosellecks so tief, dass sie seine gesamte Forschung orientierten. Koselleck war ein "Kritiker der Krise", …


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