Studien zur Ethnomethodologie

Studien zur Ethnomethodologie

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593507392
Untertitel:
Campus Bibliothek
Genre:
Soziologische Theorien
Autor:
Harold Garfinkel
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
386
Erscheinungsdatum:
03.04.2020
ISBN:
978-3-593-50739-2

Ein großer Klassiker der Soziologie

Harold Garfinkels Werk »Studies in Ethnomethodology« hat einst die Sozialwissenschaften revolutioniert, indem es die herkömmlichen Theorien über Bord warf und das menschliche Alltagshandeln zum Gegenstand der Forschung machte. Soziale Wirklichkeit wird, so seine These, durch alltagspraktische Handlungen hergestellt. Diese uns selbstverständlich erscheinenden Praxen nahm Garfinkel ins Visier. Das Buch, 1967 in den USA erschienen, gehört schon lange zu den großen Klassikern der Sozialwissenschaften. Mit diesem Band liegt die bahnbrechende Studie endlich auch in deutscher Übersetzung vor.

Vorwort
Ein großer Klassiker der Soziologie

Autorentext
Harold Garfinkel (19172011) gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Soziologen. Er ist Begründer der Ethnomethodologie und war Professor an der University of California in Los Angeles.

Leseprobe
EINLEITUNG Harold Garfinkels Studies in Ethnomethodology im Kontext der amerikanischen Soziologie Anne Warfield Rawls Als die Studies in Ethnomethodology 1967 erschienen, wurde das Buch sofort zu einem Klassiker. Es stellte die Prämissen der gängigen Gesellschaftstheorie und Sozialforschung in Frage und sorgte damit für viel Lob, heftige Kontroversen und erhebliche Aufmerksamkeit. Inmitten der turbulenten 1960er Jahre erhob die Ethnomethodologie Forderungen nach Veränderungen des Konzepts der Sozialwissenschaft und der Gesellschaft. Zeitpunkt und Botschaft passten nur zu gut zusammen. Das erhöhte das Interesse an der Ethnomethodologie, bestärkte aber auch die Vorstellung, dass sich ihre Themen und Konzepte in den 1960ern entwickelt hätten. Aus diesem Grund wurden Garfinkel und die Ethnomethodologie in der Folge mit gegenkulturellen Ideen und antiintellektuellen Tendenzen in Verbindung gebracht. In Wirklichkeit bildete sich Garfinkels wissenschaftliche Haltung bereits in den 1940er Jahren heraus, und damit über 20 Jahre vor dem Erscheinen der Studies. Garfinkel hatte im Frühjahr 1942 das Magisterexamen abgelegt und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Sozialforscher für die Air Force der USA. In diesem Zusammenhang sollte man nicht vergessen, dass Garfinkel sich damals nicht als Teil der Mehrheitsbevölkerung verstehen konnte. Es war noch vor der Zeit der vollständigen Aufdeckung der deutschen Gräueltaten am Ende des Zweiten Weltkriegs, welche die Amerikaner dazu veranlassten, ihren eigenen Antisemitismus aufzugeben. Garfinkel lebte von 1939 bis 1946 im amerikanischen Süden, wo noch Rassentrennung herrschte, die auch ihn in Mitleidenschaft zog; ihm wurde der Zutritt zu Hotels und Restaurants, die »nur für Weiße« offenstanden, verweigert. Diese Erfahrungen prägten seine frühen Schriften (zur Interaktionsdynamik beim Erzeugen ethnischer Ungleichheit durch rassistisch gefärbte Berichte), die Beziehung zu seinem ersten akademischen Mentor Howard Odum (der sich auf die Volkskultur der Schwarzen spezialisiert hatte) und die Entwicklung seiner These, wonach die von ihm durch Vertrauensbedingungen gekennzeichnete Reziprozität eine notwendige Grundlage sozialer Interaktion darstellt. Garfinkels Ansatz gehört einer wichtigen, vor dem Krieg entstandenen Richtung der Sozialforschung an, deren Wurzeln sich in Émile Durkheims Kritik an Auguste Comtes Individualismus finden. Sie vertrat die Ansicht, dass es soziale Tatsachen einzig und allein als gemeinsam geschaffene gibt. Durch Talcott Parsons, der diese Sicht teilte, wurde das Primat individueller und epistemischer Gegenstände, das die etablierte amerikanische Philosophie und Gesellschaftstheorie dominierte, in Frage gestellt. Als Garfinkel 1946 nach Harvard ging, fand er als Doktorand bei Parsons Anschluss an eine Gruppe ähnlich gesinnter Wissenschaftler, darunter Clyde Kluckhohn, Jerome Bruner, W. Lloyd Warner und Wilbert Moore. In den späten 1930er Jahren hatte Parsons wiederholt versucht, den amerikanischen Sozialwissenschaftlern Durkheim und Weber nahe zu bringen: Er beklagte sich darüber, dass die offensichtlich unlösbaren Meinungsverschiedenheiten über Theorie und Methode daher rührten, dass man am Individualismus und Positivismus von Comte und Spencer festhielt. Man könne, so meinte er 1938, die ganze Aufspaltung in eine quantitative und eine qualitative Soziologie auf diesen theoretischen Mangel zurückführen. Es gebe eine einfache Lösung: Man solle sich die neueren, eher gesellschaftsbezogenen Ideen Durkheims und Webers zu eigen machen. Garfinkel ergänzte diese neuere »europäische» Ausrichtung um einige neue Dimensionen. Er betonte den irreduzibel kooperativen und geordneten Charakter sinnvoller sozialer Handlungen und steuerte damit den bahnbrechenden Gedanken bei, dass Personen, die an sozialen Situationen beteiligt sind, gemeinschaftliche Methoden Ethno-Methoden bzw. Methoden der Mitglieder verwenden, die für den von ihnen kooperativ geschaffenen Sinn konstitutiv sind. Der Sinn wird nicht, wie von Durkheim angenommen, nur durch konstitutive Praktiken oder, wie von Wittgenstein angenommen, durch den Gebrauch hergestellt, vielmehr können die konstitutiven Bedingungen und Ressourcen im Laufe des Gebrauchs spezifiziert werden. Wichtiger noch: Einige Ressourcen transzendieren ihre Situationen. Dieser Gedanke, dass soziale Tatsachen durch ihr Zusammentreffen mit konstitutiven Kriterien geschaffen werden, veränderte den erkenntnistheoretischen Ansatz: Anstelle der Werte und Symbole, die im Zentrum der älteren Ansätze standen, wurden die sozialen Tatsachen selbst sowie die empirischen Bedingungen und Methoden ihrer Herstellung in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Das wirkte sich auch auf die Forschungsmethoden aus. Da die Interaktionspartner die Methoden zur Herstellung sozialer Tatsachen von Moment zu Moment koordinieren, müssen ihre konstitutiven Eigenschaften wechselseitig beobachtbar sein. Folglich können die gemeinschaftlich angewandten Ethno-Methoden auch von anderen beobachtet werden: Sie bestehen aus erkennbaren empirischen Details und nicht aus begrifflichen und annäherungsweise erfassten Typisierungen. Leser, die in dieser empirischen Ausrichtung einen positivistischen Ansatz sehen, begehen einen fundamentalen Fehler. Alle sozialen Tatsachen werden kooperativ hervorgebracht. Eine positivistische Annahme natürlicher Tatsachen ist damit nicht verbunden. Die bei der Herstellung sozialer Tatsachen feststellbaren Kriterien sind selbst von Grund auf sozial und kooperativ. Eines ihrer empirischen Merkmale ist die »Erkennbarkeit« durch die Teilnehmer. Ihre »Wirklichkeit« kann nicht in der gleichen Weise als selbstverständlich gegeben angesehen werden, wie das bei natürlichen Tatsachen der Fall ist. Diese Einsicht hat sowohl theoretische als auch methodische Folgen. Im Zentrum von Theorie und Methode stehen nicht mehr »Begriffe« und deren Klärung. Im Zentrum der Ethnomethodologie und ihrer Studies steht der Nachvollzug der kooperativen Verfertigung sozialer Tatsachen durch die Teilnehmer und ihre Interaktion. Dort, wo dieser neue, die sozialen Tatsachen als konstitutiv begreifende Ansatz angenommen wurde, hat er zuerst einmal Forschungen in Randbereichen der Sozialwissenschaft angeregt: Arbeiten zu Naturwissenschaft und Mathematik, Geschlecht, Rassismus, Verbrechen, Devianz und Polizeiarbeit, zu Organisationstheorie, Kommunikation und interaktiver Pragmatik, Arzt-Patient-Interaktion, Informationstechnologie und ihrem Design, institutioneller Ethnographie, Arbeitsplatzforschung, Mensch-Computer-Interaktion und kulturwissenschaftliche Forschungen. Meistens jedoch wurde der Ansatz, den Garfinkel und die von ihm inspirierten Arbeiten verfolgten, aus der Perspektive jener Richtung beurteilt, die er in Frage stellte. Daher wurde die Tragweite, die Garfinkels wissenschaftliche Position für eine Neubestimmung der Gesellschaftstheorie und Sozialforschung hatte, trotz ihrer Bedeutung zumeist nicht erkannt. Die Ethnomethodologie wird gemeinhin als ein Sonderbereic…


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