Der graue Unterstrom

Der graue Unterstrom

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593506753
Untertitel:
Walfänger und Küstengesellschaften an den tiefen Stränden Afrikas (1770-1920)
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Felix Schürmann
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
682
Erscheinungsdatum:
30.04.2017
ISBN:
978-3-593-50675-3

Walfänger aus Nordamerika und Europa operierten im 18. und 19. Jahrhundert auch vor den Küsten Afrikas. Bei ihren Zwischenhalten zur Verproviantierung gingen die Seeleute, den imaginären Fährten ihrer Beutetiere folgend, Austausch- und Kommunikationsbeziehungen mit afrikanischen Küstengesellschaften ein. An Land wie auch an Bord der Schiffe zogen diese Kontakte tief greifende Veränderungen nach sich. In acht lokalgeschichtlichen Fallstudien erzählt Felix Schürmann von lange vergessenen Begegnungen und Interaktionen, in denen sich - über die Ozeane hinweg - ein bedeutender Unterstrom der Geschichte globaler Verflechtungen zu erkennen gibt.

»Thus Schürmann's research fits well into the Africanist historiography that aims to question the dominance of the European actors in Africa.«, Journal of Namibian Studies, 06.08.2018 »Alles andere als grau ist das Bild, das Felix Schürmann vom Walfang und den Küstengesellschaften an den tiefen Stränden Afrikas [] zeichnet. Dem [] Historiker gelingt ein Narrativ, das in deutschsprachigen Dissertationen nur selten zu finden ist. [] Richtungweisend für hoffentlich zahlreiche Forschungsergebnisse zur Geschichte des Walfangs.« Tanja Hammel, H-Soz-Kult, 26.04.2018 »Schürmanns Buch kann [] nur jedem an der Geschichte des Walfanges, der Geschichte Afrikas, der Geschichte der frühen Globalisierung, der maritimen Umweltgeschichte, der Geschichte internationaler Beziehungen eindringlich empfohlen werden. [] Schürmanns Verdienst ist es nicht nur, das Postulat von maritimer Geschichte als Globalgeschichte eingelöst zu haben, sondern darüber hinaus die Falle der Vernachlässigung der regionalen Differenzierung erfolgreich vermieden zu haben.« Ingo Heidbrink, H-Soz-Kult, 15.12.2017 »Felix Schürmann hat eine monumentale Studie vorgelegt, welche die gesamte Ära des Hochsee-Walfangs amerikanischen Stils in primär sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive betrachtet, aber auch kulturelle Aspekte berücksichtigt und anregende Fragen zu Macht und Ungleichheit formuliert.« Arno Sonderegger, Sehepunkte, 15.01.2018 »Dieses Buch [] entpuppt sich als die hervorragend gelungene Darstellung eines bislang unterbelichteten Teils der Wirtschaftsgeschichte. [] Schürmanns wirtschaftshistorische Arbeit ist äußerst lesenswert und anregend, mitunter spannender als ein Roman, trotz des oft beklemmenden Inhalts.« Jochen Zenthöfer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.07.2017

Autorentext
Felix Schürmann, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am LOEWE-Schwerpunkt "Tier - Mensch - Gesellschaft" der Universität Kassel.

Leseprobe
Einleitung: Outward bound Kurz nach Einbruch der Dunkelheit überfielen am 19. August 1727 vier Männer in einer der besten Gegenden Londons Charles Rambouillet, einen Offizier des traditionsreichen First Regiment of Foot Guards. Sie raubten ihm Geldbörse, Uhr, Gehstock, Hut und einen Ring, verletzten ihn schwer und verschwanden unerkannt in der Finsternis. Der Überfall auf Rambouillet reihte sich in eine lange Kette nächtlicher Verbrechen ein, die dadurch begünstigt wurden, dass London zu den dunkelsten Großstädten Europas zählte. "London, that used to be the most safe and peaceful city in the universe, is now become a scene of rapine and danger", empörte sich 1729 der hier beheimatete Schriftsteller Daniel Defoe. Die Straßen der Stadt müssten des Nachts glanzvoll erleuchten, forderte er, damit das Leben in London nach Sonnenuntergang so sicher werde wie es nach Sonnenaufgang sei. Bis zu Defoes Tod 1731 verbesserte sich der Zustand der Straßenbe-leuchtung kaum. Über die gesamte Stadt verteilt gab es nur rund 1.000 öffentliche Lampen. Neben Ayutthaya, Edo, Konstantinopel und Paris zählte London zu den größten Städten der Welt, doch gewissermaßen handelte es sich bei der Metropole um zwei völlig verschiedene Orte - in den Worten des Historikers Eric Dolin: "one by day and another by night." Bereits Anfang der 1740er Jahre aber - Charles Rambouillet hatte den Überfall überlebt und trat nun seinen Ruhestand an - galt London als die wohl am besten ausgeleuchtete Stadt weltweit. Innerhalb weniger Jahre hatte der Stadtrat nicht weniger als 5.000 Öllaternen aufstellen lassen. Weitere 10.000 Laternen kamen in den 1760er und 1770er Jahren hinzu. Um 1780 gab es davon allein in der Oxford Road mehr als in ganz Paris, wo die Straßenbeleuchtung bereits rund einhundert Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte. Das Erleuchten Londons führte zu einem deutlichen Rückgang der nächtlichen Kriminalität und strahlte weit über Großbritannien aus: Birmingham, Hull und andere Orte folgten dem Vorbild der Hauptstadt und stellten Tausende Straßenlaternen auf. Anfangs erleuchtete vor allem Rapsöl die Straßen Englands. Doch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rückten Tran und Walrat zu den meistgenutzten Beleuchtungsmitteln auf. Tran, das aus dem Fettgewebe von Walen gewonnene Öl, brannte heller als Rapsöl und hatte den zusätz-lichen Vorteil, nicht zu rußen. Walrat, ein aus dem Schädel beziehungs-weise der Nase des Pottwals gewonnenes Flüssigwachs, konnte sowohl in Lampen gefüllt als auch zu Kerzen geformt werden und galt als besonders hochwertiges Beleuchtungsmittel. Um die Gewinnung von Tran und Walrat anzuregen - in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten britische Reeder nur wenige Schiffe für den Walfang ausgerüstet -, verdoppelte die Regierung 1750 ihre Zuschüsse für Walfänger von 20 auf 40 Shilling pro Tonne Raumgehalt. Im Zusammenspiel mit der wachsenden Nachfrage führte diese Maß-nahme ab 1753 zu einem schwunghaften Anstieg des britischen Walfangs. Der allein reichte jedoch nicht aus, um den Bedarf zu decken, bei weitem nicht. Denn auch die aufstrebende britische Industrie verlangte nach Tran als Schmieröl und Reinigungsmittel. Den größten Teil des Trans, den Großbritannien verbrauchte, bezog es aus seinen nordamerikanischen Kolonien - insbesondere aus Massachusetts, wo sich Walfänger auf Sperm oil spezialisiert hatten, den besonders gefragten Pottwaltran. "The purest sperm oil lubricated the finest machines of the industrial revolution, illuminated the nation's lighthouses and along with spermaceti candles lit the interiors of factories and the better houses", bilanziert der Historiker Dale Chatwin über die Bedeutung der Pottwalprodukte. 1754 führten die neuenglischen Kolonien über 4.000 Tonnen Tran allein nach London aus, 1763 überschritten die Exporte die Schwelle zu 5.000 Tonnen, und 1771 waren es bereits 8.000 Tonnen. Anders als britische Walfänger steuerten die Schiffe aus Massachusetts nicht die Randmeere zwischen dem Atlantik und dem Arktischen Ozean an. Sie wandten sich nach Süden, wohin sich Walfänger bis dato kaum gewagt hatten. Das Erschließen von Jagdgebieten im Zentral- und Südatlantik markierte den Beginn des Aufstiegs der amerikanischen Walfangindustrie, die für mehr als ein Jahrhundert die größte der Welt sein sollte. *** Während in London erste Straßenzüge glanzvoll erleuchteten, luden Skla-venhändler im Mai 1739 in Anomabu, einem Handelszentrum an der Küste des heutigen Ghana, 87 Menschen auf die Charming Susanna aus Rhode Island. Einer von ihnen war Broteer Furro, ein kaum zehn Jahre alter Junge aus dem Hinterland. Für ihn hatte der Schiffssteward Robert-son Mumford vier Gallonen Rum und ein Stück Stoff an einen Zwischenhändler gezahlt. Er hatte damit von einem alten Recht Gebrauch gemacht, das es Seeleuten erlaubte, Handelsfahrten für eigene Nebengeschäfte zu nutzen. Seeleute bezeichneten ein solches Geschäft als Venture, und so nannte Mumford auch den jungen Broteer Furro, den er im August 1739 als Hausdiener an die Küste Connecticuts brachte. Im Erwachsenenalter wurde Venture mehrfach weiterverkauft. Neben der unbezahlten Sklavenarbeit konnte er durch verschiedene Nebentätig-keiten eigenes Geld ansparen. Damit gelang es ihm 1765 als einem von nur wenigen amerikanischen Sklaven seiner Zeit, sich von seinem Herrn freizukaufen. Venture …


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