Gehorchen und Gestalten

Gehorchen und Gestalten

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593506258
Untertitel:
Jesuiten zwischen Demokratie und Diktatur in Chile (1962-1983)
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Antje Schnoor
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
481
Erscheinungsdatum:
31.12.2016
ISBN:
978-3-593-50625-8

Jesuiten gelten als politisch einflussreich. Aber wie eigenständig können Ordenspriester handeln, die ein Gehorsamsgelübde abgelegt haben? Antje Schnoor beleuchtet die Rolle der Jesuiten in Chile während der christdemokratischen Regierung unter Eduardo Frei, der sozialistischen Regierung unter Salvador Allende und der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Dabei zeigt sie eindrücklich, wie sich Richtung und Ausmaß des politischen Handelns der Gesellschaft Jesu aus dem Wandel des jesuitischen Gehorsamsverständnisses ergaben. Ihre Studie belegt, wie der Orden die politische Haltung der katholischen Kirche mitbestimmte und zugleich als eigenständige politische Kraft in Erscheinung trat.

»Schnoor hat eine hervorragende Studie vorgelegt, die zeigt, wie bereichernd eine kritische und unvoreingenommene außenperspektive sein kann.« Veit Straßner, Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, 18.12.2017 »Das Buch wird in dem [...] Kreis Interessierter im deutschen Sprachraum gewiss eine begeisterte Aufnahme finden. [] Exzellente Studie.« Christoph Nebgen, H-Soz-Kult, 14.03.2018 »Schnoor cites an impressive variety of sources: ecclesiastical documents, articles from Mensa je and Noticias Jesuitas, archival material, and interviews with thirty contemporary witnesses. [] [Her] work is a valuable social and church history of Chile as seen through the Jens of the Jesuit movement there.« Oliver Grasmück, American Historical Review, Juni 2018

Autorentext
Antje Schnoor ist wiss. Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Münster.

Klappentext
Jesuiten gelten als politisch einflussreich. Aber wie eigenständig können Ordenspriester handeln, die ein Gehorsamsgelübde abgelegt haben? Antje Schnoor beleuchtet die Rolle der Jesuiten in Chile während der christdemokratischen Regierung unter Eduardo Frei, der sozialistischen Regierung unter Salvador Allende und der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Dabei zeigt sie eindrücklich, wie sich Richtung und Ausmaß des politischen Handelns der Gesellschaft Jesu aus dem Wandel des jesuitischen Gehorsamsverständnisses ergaben. Ihre Studie belegt, wie der Orden die politische Haltung der katholischen Kirche mitbestimmte und zugleich als eigenständige politische Kraft in Erscheinung trat.

Leseprobe
Prolog
Es war eine Winternacht im Juli 1974 als der Jesuit José Aldunate frierend an einer Straßenecke in Santiago de Chile stand und wartete. Er stand an der Ecke der Botschaft des Heiligen Stuhls und wartete auf 23 Menschen, die unter dem Militärregime Augusto Pinochets von Gefängnis, Folter und Tod bedroht waren und ins Ausland fliehen wollten. Die Hunde im Viertel bellten als die politisch Verfolgten etwas später in zwei großen Fahrzeugen die Straßenecke erreichten. Schnell waren sie ausgestiegen und mit der Hilfe von José Aldunate über die hohe Mauer der Nuntiatur geklettert. Ziel war es, den Botschafter des Heiligen Stuhls dazu zu bewegen, den Menschen politischen Schutz zu gewähren und ihnen bei der Ausreise zu helfen. Ob dies gelingen würde, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar.
Einige Tage zuvor hatte Aldunate versucht, die Nuntiatur davon zu überzeugen, die politisch Verfolgten aufzunehmen. Da der Nuntius Sótero Sanz selbst abwesend war, hatte er sich bemüht, mit dem Stellvertreter des Nuntius Piero Biggio zu sprechen. Biggio, der etwa zwei Dekaden später selbst Nuntius in Chile werden sollte, hatte es abgelehnt, Aldunate zu empfangen. Dies war der Grund, weshalb Aldunate gemeinsam mit zwei weiteren Geistlichen den Verfolgten half, die Mauer der Nuntiatur zu erklimmen. Nachdem sich die Verfolgten im Garten der Nuntiatur versteckt hatten, betrat Aldunate die Botschaft durch das Tor.
Schnell waren die Geschehnisse in der Botschaft bekannt. Biggio weigerte sich, den Flüchtlingen die erbetene Hilfe zu leisten. Telefone klingelten, Generäle und die Kirchenhierarchie wurden über die Vorgänge informiert. Schließlich sprach Aldunate mit dem Erzbischof von Santiago Kardinal Raúl Silva Henríquez. "Welch eine Dummheit", hörte Aldunate den Kardinal durch die Hörmuschel schimpfen, bevor dieser den Hörer auflegte und damit das Gespräch abbrach. Schließlich ließ Biggio zwei vor der Nuntiatur patrouillierende Polizisten in die Botschaft rufen, um die Schutzsuchenden verhaften zu lassen. Die Flüchtlinge im Garten er-schraken, einer hielt es nicht mehr aus, lief zur Mauer und kletterte zurück auf die Straße. Der ebenfalls in der Nuntiatur anwesende Priester Joaquín Alliende konnte Biggio von seinem Vorhaben abbringen. Es handele sich um einen Irrtum, erklärte Biggio den Polizisten daraufhin. Alles sei in Ordnung. Ein Anruf von Juan Ochagavía, dem Provinzial der Jesuiten, weckte bei José Aldunate neue Hoffnung. Schließlich konnte die Situation von Ochagavía, Alliende und dem ebenfalls hinzugekommenen Weihbischof der Erzdiözese Santiago Sergio Valech entschärft werden. Durch ein Telefonat mit dem General Sergio Arellano Stark wurde erreicht, dass das Militärregime die zeitweilige Ausweitung der diplomatischen Immunität der Nuntiatur auf ein Ordenshaus der Sagrados Corazones duldete.
Es war ein Uhr morgens als eine merkwürdige Karawane von Autos die Nuntiatur verließ, vorneweg der Citroën des Jesuitenprovinzials Ocha-gavía. Die politisch Verfolgten wurden - begleitet von der Polizei - zu besagtem Ordenshaus gefahren und sollten noch am selben Tag mit einem bereitgestellten Flugzeug das Land verlassen. Auch Aldunate sollte nach Ansicht des Generals Arellano Stark aus Chile verschwinden. Doch der Jesuitenprovinzial Ochagavía lehnte das ab, packte Aldunate in seinen Citroën und fuhr mit ihm noch während der nächtlichen Ausgangssperre zurück zur Jesuitenresidenz im Zentrum Santiagos.

Einleitung
Die im Prolog beschriebene Szene zeigt einige der Themen auf, die in der vorliegenden Studie zu den politischen Haltungen und Handlungen der Jesuiten in Chile zwischen 1962 und 1983 behandelt werden. Der Jesuit José Aldunate entschied offenbar eigenständig an der Rettungsaktion für die Flüchtlinge teilzunehmen. Dies weist darauf hin, dass er trotz des Gehorsamsgelübdes, das er als Jesuit abgelegt hat, über ein gewisses Maß an Autonomie verfügte. Indem Aldunate den Flüchtlingen über die Mauer der Botschaft half, geriet er sowohl mit dem Nuntius bzw. dessen Stellvertreter Piero Biggio als auch mit dem Erzbischof von Santiago Kardinal Raúl Silva Henríquez in Konflikt. Aufgrund der Auseinandersetzung in der Vatikanischen Botschaft schalteten sich weitere Kleriker als Vermittler ein, darunter auch der Provinzial Juan Ochagavía, der das Anliegen seines Mitbruders Aldunate unterstützte und gemeinsam mit den anderen hinzugekommenen Klerikern durchsetzen konnte, dass den Flüchtlingen Schutz gewährt wurde. Im Prolog wird deutlich, dass es in der institutionellen Kirche unterschiedliche Akteure gab, zugleich lässt sich erkennen, dass diese unterschiedlichen Akteure Einfluss auf das politische Handeln der Gesamtkirche nehmen konnten.
Die Gesellschaft Jesu ist nicht nur der größte, sondern gilt zudem als der politisch einflussreichste Orden der katholischen Kirche. Die Jesuiten mischten sich seit der Ordensgründung 1540 in das gesellschaftspolitische Geschehen erst in Europa, dann in verschiedenen Teilen der Welt ein und gerieten im Laufe ihrer Geschichte nicht nur mit weltlichen, sondern auch mit kirchlichen Autoritäten in Konflikt, nahmen aber zugleich immer eine zentrale Rolle innerhalb der Kirche ein. An den Entwicklungen des Ordens meinten Kennerinnen und Kenner der katholischen Kirche gemeinhin ablesen zu können, in welcher Verfassung sich die Kirche insgesamt befand und in welche Richtung sie sich - wenn überhaupt - bewegte. Im 20. Jahrhundert bewegte sie sich deutlich, dies vor allem mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), mit dem die Kirche die Öffnung zur W…


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