Erzwungene Exile

Erzwungene Exile

Einband:
Paperback
EAN:
9783593505282
Untertitel:
Umsiedlung und Vertreibung in der Vormoderne (500 bis 1850)
Genre:
Geschichts-Lexika
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
272
Erscheinungsdatum:
30.09.2017
ISBN:
978-3-593-50528-2

Im 20. Jahrhundert wurden in Europa mehr Menschen vertrieben und umgesiedelt als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Allerdings handelt es sich bei solchen Zwangsmigrationen weder um ein ausschließlich modernes noch um europäisches Phänomen: In fast allen Teilen der Welt ereigneten sich Umsiedlungen schon vor 1800. In diesem Band werden erstmals Beispiele aus ganz unterschiedlichen Weltregionen diskutiert und miteinander verglichen. Die Lektüre macht deutlich, wie die Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Kontexten als politisches Mittel eingesetzt wurde. Wer die europäischen Zwangsumsiedlungen der Moderne verstehen will, sollte auch deren Vorgeschichten innerhalb und außerhalb Europas kennen.

Autorentext
Thomas Ertl ist Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien.

Leseprobe
Vorwort Am 19. September 2016 tagten die Vereinten Nationen in New York, um den Schutz von Flüchtlingen zu verbessern. Der Gipfel hatte das Ziel, mit der New York Declaration deutliche und dauerhafte Verbesserungen für Flüchtlinge durchzusetzen. Ob das gelingen kann, wird sich zeigen. Dass solche Anstrengungen nötig sind, beweisen die aktuellen Flüchtlingszahlen: Laut UNHCR waren im Jahr 2016 so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie zuvor. Die Themen Migration, Umsiedlung und Vertreibung gehören zu den schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit. Entsprechend groß ist das Interesse in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Während die politische Diskussion häufig auf die Gegenwart und kurzfristige Lösungen gerichtet ist, untersucht die Wissenschaft die strukturellen und historischen Dimen-sionen von Migration. Das ist wenig erstaunlich, gab es grenzüberschrei-tende freiwillige und erzwungene Migration doch in allen Epochen und Regionen der Menschheit. Im vorliegenden Sammelband, der auf eine Ringvorlesung an der Uni-versität Wien zurückgeht, diskutieren die AutorInnen ausgewählte Bei-spiele von Zwangsmigrationen vor dem Jahr 1800. Die Fallstudien sollen stellvertretend sowohl die Vielfalt der Erscheinungsformen als auch epo-chen- und raumübergreifende Gemeinsamkeiten von erzwungener Migra-tion veranschaulichen. Ich danke meinen Mitarbeitern Markus Mayer und Andreas Moitzi für ihre Unterstützung bei der Drucklegung und Jürgen Hotz vom Campus Verlag für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Vor allem aber danke ich den Autorinnen und Autoren dafür, dass sie sich auf dieses Projekt eingelassen haben und es nun mit ihren Beiträgen erfolgreich zum Abschluss bringen. Wien, im Sommer 2017 Einleitung: Zwangsmigration und Umsiedlung vom Babylonischen Exil (ab 597 v. Chr.) bis zum Trail of Tears (ab 1830) Thomas Ertl Im Jahr 2016 waren nach den aktuellen Zahlen des Flüchtlingshilfwerks der Vereinten Nationen weltweit etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht (UNHCR 2016). Das sind doppelt so viele wie vor zwanzig Jahren und ein neuer absoluter Negativrekord. Die Ursachen sind bereits seit vielen Jahren andauernde Konflikte wie in Somalia und Afghanistan sowie neue dramatische Ereignisse wie der Bürgerkrieg in Syrien. Allein aus die-sen drei genannten Ländern kommt derzeit die Hälfte aller Flüchtlinge. Die meisten Flüchtlinge wurden innerhalb ihrer eigenen Ländern vertrieben oder halten sich in einer benachbarten Region auf. Das zeigen beispielsweise die syrischen Flüchtlinge, die vorrangig in den Nach-barländern Türkei (derzeit 2,7 Millionen) und Libanon (derzeit 700.000) ausharren. In der europäischen öffentlichen Wahrnehmung erregten in der jüngsten Vergangenheit vor allem die Gefahren auf den Fluchtrouten sowie die Integration in den Aufnahmeländern viel Aufmerksamkeit: Seit Anfang 2014 sind im Mittelmeer mehr als 10.000 Menschen ertrunken. Die Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge und Migranten in der Europäischen Union hat eine politische Krise ausgelöst, die die Union im Ganzen und die einzelnen Mitgliedsstaaten stark beschäftigt. Flucht und Vertreibung sind aufgrund dieser Ereignisse ein Thema von höchster Aktualität. Dies gilt sowohl für den politischen als auch für den wissenschaftlichen Diskurs. Im Gegensatz zum häufig auf die Gegenwart und unmittelbare Zukunft konzentrierten politischen Diskurs, bemüht sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema um eine umfassendere Interpretation (Kedar 1996; Eltis 2002; Hoerder 2002; Bade 2007; Ness 2013). Dabei wird schnell klar: Flucht und Vertreibung sind kein Phänomen der Gegenwart, sondern in allen historischen Epochen nachweisbar. Zudem sind Flucht und Vertreibung nur eine Facette von Migration. Die Menschheitsgeschichte war von Anfang an von freiwilliger und erzwungener Mobilität über Grenzen hinweg geprägt. Diese Geschichte der Wanderungen begann mit dem vermuteten Ursprung des modernen Menschen in Afrika vor ca. 100.000 Jahren und seiner anschließenden Ausbreitung über die gesamte Welt (Stringer 2011). Seither sind alle Jahrhunderte und Epochen gekennzeichnet von freiwilliger oder erzwungener Migration von Einzelpersonen, kleinen Gruppe und großen Bevölkerungsteilen. Die aktuellen Flüchtlingszahlen sind nur ein weiterer Höhepunkt in dieser unendlichen Geschichte menschlicher Migration. Ursachen, Formen und Umfang der Wanderungen waren immer schon komplex. In der wissenschaftlichen Diskussion wurde daher eine Fülle von unterschiedlichen Begriffen eingeführt. Unter Emigration wird bespielsweise eine Form der Mobilität bezeichnet, die aus freiem Entschluss erfolgt, primär wirtschaftlichen Motiven verpflichtet und auf Dauer angelegt ist. Diese Form der Migration ereignete sich in allen Epochen und in allen Regionen der Welt (für das Mittelalter Borgolte 2014). In der Regel wanderten Menschen vom Land in die Stadt oder aus einer ärmeren Randlage in eine wirtschaftlich erfolgreichere Region. Allein durch den Zuzug konnten die Städte in Europa und auf anderen Kontinenten ihren Bevölkerungsstand wahren oder weiter wachsen. Die Migration in wirtschaftliche Erfolgsregionen führte in Europa zu einem wirtschaftlichen und demographischen Ballungsraum zwischen Südengland und Norditalien, der auch die "Blaue Banane" genannt wird - aufgrund seiner bananenartigen geographischen Erstreckung und der europäischen Farbe blau. Migration dieser Art existiert auch innerhalb eines Landes, bespielsweise der Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung: Seit 1990 haben Tausende Einzelne und ganze Familien die ostdeutschen Bundländer verlassen, um im Westen Ausbildung und Arbeit zu finden. Eine umgekehrte Migrationswelle in die Peripherie vollzog sich dage-gen im hohen Mittelalter im 12. und 13. Jahrhundert. Damals zogen Siedler vor allem aus dem Westen des Heiligen Römischen Reiches, das heißt aus den Rheinlanden und aus den heutigen Niederlanden, in die östlichen Randgebiete des Reichs und nach Osteuropa. Angelockt hatten sie rechtliche und wirtschaftliche Vergünstigungen der dortigen Grundherren. In der Heimat waren die Einkommensmöglichkeiten aufgrund einer steigenden Bevölkerung geschrumpft, im Osten taten sich neue Möglichkeiten auf. Dieser hochmittelalterliche Landesausbau zog sich über mehrere Generationen hin und führte zur Erschließung zusätzlichen Ackerlandes und zur Anlage neuer Städte. Die Geschichte Ostmitteleuropas wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein von dieser Ansiedlung und ihren wirtschaftlichen, ethnisch-sprachlichen und kulturellen Folgen geprägt (Bartlett 1993). Von innerer Migration geprägt waren auch Asien und Afrika. Im frü-hen Mittelalter ging in Schwarzafrika eine lange Zeit der Völkerwanderun-gen zu Ende. Gruppen aus der Sprachfamilie des Bantu und andere Völ-ker, die Landwirtschaft betrieben und die Eisenverarbeitung kannten, hatten sich auf Kosten von Jäger- und Sammlergruppen ausgebreitet. Be-sonders die Völker, die Bantu ("Mensch") sprachen, besiedelten große Teile des afrikanischen Kontinents und traten dabei in unterschiedlichste Interaktion mit der sesshaften Bevölkerung (Bechhaus-Gerst 201…


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