Freiheit am Arbeitsplatz

Freiheit am Arbeitsplatz

Einband:
Paperback
EAN:
9783593504919
Untertitel:
Betriebsdemokratie und Betriebsräte in Deutschland und Schweden (1880-1950)
Genre:
Kulturgeschichte
Autor:
Klaus Neumann
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
592
Erscheinungsdatum:
31.12.2015
ISBN:
978-3-593-50491-9

Welche Rolle spielten Konzepte von Freiheit und Demokratie bei der Entwicklung unterschiedlicher Modelle betrieblicher Ordnung? In einer Zusammenschau über einen Zeitraum von siebzig Jahren verfolgt Klaus Neumann die ideengeschichtliche und arbeitsrechtliche Entwicklung deutsch-schwedischer Betriebsdemokratie. Er zeigt, wie in beiden Ländern das Modell der Alleinherrschaft des Unternehmers in eine Legitimitätskrise geriet und sich unterschiedliche Formen von Betriebsräten etablierten.

Autorentext
Der Historiker Klaus Neumann arbeitet am Friedrich-Meinecke- Institut der FU Berlin.

Leseprobe
1 Einleitung

Frei zu sein, das bedeutet einer einfachen Definition zufolge, tun oder lassen zu können, was man will, also nicht dem Willen eines anderen unterworfen zu sein. Dies ergibt sich auch aus dem Ursprung des Wortes "Freiheit". Das deutsche Wort geht, ebenso wie das schwedische frihet und das englische freedom auf die germanische Silbe frija- zurück, die "mit freiem Halse" bedeutet. Frei war bei den Germanen derjenige, der keine Ketten trug, der weder Sklave noch Gefangener war. Das Bild der Freien einerseits und der in Ketten gelegten andererseits verweist auf ein grundlegendes Problem der Freiheit: Menschen existieren nur in der Theorie als völlig freie Individuen. In der Realität sind sie in Gemeinschaften eingebunden. Sie müssen sich mit den Freiheiten der anderen auseinandersetzen und mitunter ihre eigene Freiheit vor den Übergriffen anderer schützen, um sie nicht zu verlieren. Wie also kann ein Mensch in einer Gesellschaft leben und dennoch frei sein? Im politischen Bereich hat ein beachtlicher Teil der Menschheit durch einen jahrhundertelangen Prozess für dieses Freiheitsproblem eine Lösung gefunden: Demokratie, die Herrschaft des Volkes über sich selbst. Wenn sich die Menschen nur Gesetzen unterwerfen müssen, die sie sich zuvor selbst per Mehrheitsbeschluss gegeben haben, so die Überlegung von Rousseau, Locke und anderen, können sie auch in Gemeinschaft frei leben. Herrscht das Volk, sind letztlich alle frei.
Die Entwicklung der Demokratie war ein Prozess mit Um- und Irrwe-gen, in dem die Definition dessen, was Demokratie ausmacht, immer wieder neu verhandelt wurde. Die demokratischen Grundideen, derzu-folge die einzelnen Menschen frei sein sollten, über ihr Leben und - per Mehrheitsbeschluss - über die Entwicklung des Staates selbst zu entschei-den, wurden im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern der Erde zu gesellschaftlichen Leitprinzipien erhoben. Damals wie heute funktionieren jedoch relevante Teile der gesellschaftlichen Ordnung nach einer anderen Logik als der, dass die Mehrheit die Regeln bestimmen soll: In der Wissenschaft kommt niemand auf die Idee, über wahr und falsch abzustimmen. Generäle fragen selten ihre Truppen, ob sie einen Befehl als freiheitsbeschränkend empfinden. Und auch am Arbeitsplatz herrscht in aller Regel nicht die Mehrheit der dort tätigen Personen. Im modernen Industriebetrieb des 19. und 20. Jahrhunderts entschied in aller Regel der "Arbeitgeber" über die auszuführenden Arbeiten und die Bedingungen am Arbeitsplatz. Der Unternehmer war, wie es ein noch im vorigen Jahrhundert geflügeltes Wort beschrieb, "Herr im eigenen Hause". Ihn wählen oder abwählen zu können, gehörte ins Reich der Utopie.
War der Arbeitsplatz also ein Bereich des menschlichen Lebens, in dem die Freiheit, sich per Abstimmung selbst die "Spielregeln" zu geben, keine Bedeutung hatte? So sah es zumindest die in der Tradition des Liberalismus stehende Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Sie negierte, dass in den Betrieben ein Freiheitsproblem bestand: Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft sei jeder Mensch frei, einen Arbeitsvertrag mit einem Arbeitgeber auszuhandeln und zu unterschreiben - oder eben nicht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet diese Position und mit ihr die Form der betrieblichen Ordnung, die sich mit der Industriellen Revolution verbreitet hatte, immer stärker unter Druck. Vor allem die erstarkende Arbeiterbewegung kritisierte das System, das viele "Lohnabhängige" dem Willen eines Arbeitgebers unterwarf und propagierte die "Befreiung" der Arbeiterschaft aus der "Lohnsklaverei". Für sie existierte in den Betrieben sehr wohl ein Freiheitsproblem. Die Macht im Betrieb ließ sich aus ihrer Sicht nur einmal verteilen: Die große Freiheit des Arbeitgebers, allein über seinen Betrieb zu bestimmen, bedeute automatisch die Unfreiheit der Beschäftigten. Ihr offen ausgesprochenes Ziel war es daher, die Macht in den Betrieben zu erobern. Das Schlagwort der "Sozialisierung" machte die Runde. Auch manche Arbeitgeber und Sozialreformer überlegten, ob das Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers in bestimmten Bereichen nicht durch eine Mitbestimmung der Belegschaften ersetzt werden sollte. Könnte man vielleicht, analog zum politischen Parlamentarismus, auch in den Betrieben eine Art "Fabrikparlamentarismus" einführen? Einmal begonnen, riss die Debatte über die Demokratisierung der Betriebe nicht mehr ab. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem Begriffe wie "Wirtschaftsdemokratie" (ekonomisk demokrati), "Betriebsdemokratie" (företagsdemokrati bzw. industriell demokrati) und "Mitbestimmung" (medbestämmande), mit denen Alternativen zur Alleinherrschaft des Arbeitgebers im Betrieb diskutiert und in unterschiedlichen Formen in die Praxis umgesetzt wurden.
Diese Debatte war keine deutsche, sondern eine internationale. Sie verlief in den einzelnen Ländern unterschiedlich, wurde von unterschied-lichen Akteurskonstellationen geprägt und führte zu unterschiedlichen Ergebnissen im nationalen Arbeitsrecht sowie in der betrieblichen Praxis. Die vorliegende Arbeit vergleicht geschichtswissenschaftlich den Verlauf und die Folgen der Debatte über Betriebsdemokratie von 1880 bis 1950. Untersucht werden zwei Länder, die sich diesbezüglich nicht nur wechselseitig beeinflussten, sondern oft als Modelle für den modernen Sozialstaat als Ganzes gelten: Deutschland und Schweden.
Im Folgenden werden zunächst Theorie und Forschungsstand darge-stellt (Kapitel I.2) und auf dieser Basis die Operationalisierung offengelegt (Kapitel I.3). Teil II ist überwiegend auf Forschungsliteratur gestützt und stellt die Debatte über Betriebsdemokratie in den größeren Rahmen gesellschaftlicher Freiheitsdebatten des 19. Jahrhunderts. In den folgenden vier chronologisch geordneten Teilen III bis VI analysiert der Autor auf Grundlage umfangreicher Quellenarbeit die Debatte und Ent-wicklung der Betriebsdemokratie in Deutschland und Schweden. Vorrangig ist dabei der vergleichende Ansatz, wo möglich wurden zusätzlich Transferprozesse beschrieben. Der abschließende Teil VII bilanziert die gewonnenen Erkenntnisse und stellt sie in einen größeren Forschungskontext.

2 Forschungsstand

Die klassische deutsche und schwedische Forschung zur Arbeitergeschichte schenkte der Geschichte der Betriebsräte meist nur am Rande Aufmerksamkeit. Die Zahl der Studien, welche die Geschichte der betriebli-chen Ordnung nicht nur punktuell behandelt, ist sehr übersichtlich. Für den schwedischen Fall existiert nur die zweibändige Studie von Lundh, der in den 1980er Jahren auf breiter Quellenbasis die schwedische Debatte über "industrielle Demokratie" von 1919-1924 analysierte. Zur Geschichte der deutschen Betriebsräte haben Milert/Tschirbis ein überwiegend auf Literatur gestütztes Werk zur betrieblichen Mitbestimmung vorgelegt, das diese explizit auch als Triebkraft für die politische Demokratisierung und als "Laboratorium der Demokratie in der Arbeitswelt" beschreibt. Sie bieten einen aktuellen, bisweilen meinungsstarken Überblick über die Forschungsgeschichte zum Thema sowie über Grundzüge der deutschen Debatte. Teutebergs Studie aus den 1960er Jahren ist vor allem für die Frühgeschichte seit 1848 und die "Betriebsgemeinschaft" im Ersten Weltkrieg noch heute von Bedeutung.

2.1 Betriebe als …


billigbuch.ch sucht jetzt für Sie die besten Angebote ...

Loading...

Die aktuellen Verkaufspreise von 6 Onlineshops werden in Realtime abgefragt.

Sie können das gewünschte Produkt anschliessend direkt beim Anbieter Ihrer Wahl bestellen.


Feedback