Falsche Freunde

Falsche Freunde

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593504742
Untertitel:
War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?
Genre:
Neuzeit bis 1918
Autor:
Andreas Pecar, Damien Tricoire
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Anzahl Seiten:
231
Erscheinungsdatum:
12.08.2015
ISBN:
978-3-593-50474-2

Dass die Aufklärung die Gründungszeit der Moderne gewesen sei, wird immer wieder behauptet, so jüngst nach den Pariser Attentaten gegen "Charlie Hebdo". Doch stimmt das wirklich? Haben die Aufklärer unsere heutigen Vorstellungen von Demokratie und Toleranz, von Menschenrechten, von der Gleichheit zwischen den Geschlechtern oder zwischen den Völkern tatsächlich vertreten? Oder haben sie, wie prominente Aufklärungskritiker behaupten, den modernen Rassismus, Sexismus und Kolonialismus erfunden?
"Falsche Freunde" ist eine Streitschrift, die mit der gängigen Sicht aufräumt, wonach die Aufklärung die modernen westlichen Wertvorstellungen hervorgebracht habe. In sechs Kapiteln etwa zu den Toleranz-, Rasse- oder Geschlechterkonzeptionen illustrer Geistesgrößen bieten die beiden Autoren eine erfrischend neue Lektüre berühmter Schriften an. Sie zeigen, dass die Aufklärung des 18. Jh. uns viel fremder ist als wir gewöhnlich annehmen - aber auch viel überraschender.

»Falsche Freunde ist ein spannender Versuch, die Aufklärung als Schlagwort und Mythos zu hinterfragen, ein Versuch, der auch für Nicht-Fachleute gut lesbar ist.«, SWR 2 Buchkritik, 28.10.2015 »Das [...] Buch bringt vermeintlich sicheres Wissen ins Wanken und ist gerade deshalb empfehlenswert.« Martin Schneider, Spektrum der Wissenschaft, 06.11.2015

Autorentext
Andreas Pecar ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Halle-Wittenberg. Damien Tricoire ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Leseprobe
Der Historiker sollte nicht einen Menschen, einen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts von seinen Zeitgenossen isoliert betrachten - und sollte nicht unter dem Vorwand, dass diese oder jene Stelle seines Werkes einer unserer Weisen zu fühlen ähnelt, ihn eigenmächtig in eine der Schubladen stecken, die wir heutzutage benutzen, um diejenigen zu katalogisieren, die so wie wir oder anders als wir in religiösen Sachen denken. [] [D]ie Frage ist, welche Vorsichtsmaßnahmen wir treffen, welcher Vorschrift wir folgen sollen, um die Sünde aller Sünden, die einzig unverzeihliche Sünde zu vermeiden: den Anachronismus.
Lucien Fèbvre, Le Problème de l'incroyance au XVIe siècle
Vorwort
Dieses Buch ist ein wissenschaftlicher Essay - eine Gattung, die in Deutschland nicht zu den kanonischen der Geschichtsschreibung gehört. Unser Ziel ist es weder, eine weitere Allgemeindarstellung der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts zu liefern, noch den Blick auf die Vielfalt der Aufklärung oder auf weniger berühmte Autoren zu lenken. Falsche Freunde ist weder Handbuch noch Überblicksdarstellung, sondern eine engagierte Schrift, die aus einer Unzufriedenheit, ja einem Unbehagen erwachsen ist: einer Unzufriedenheit darüber, dass die Standards unseres Fachs - die Historisierung und die Kontextualisierung - allzu oft vergessen zu sein scheinen, wenn man über Aufklärung redet, und einem Unbehagen gegenüber der Tendenz der Geschichtswissenschaft, sich in den Dienst der Identitätsbildung zu stellen.
Falsche Freunde ist auch ein Gemeinschaftswerk. Es ist aus Diskussionen erwachsen, die durch Veranstaltungen des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) in Halle wichtige Impulse erhielten. Insbesondere war die Gastprofessur von Jonathan Israel im Sommersemester 2012 für die Genese des Projekts von entscheidender Bedeutung. Wir möchten uns hier bei dem Direktor des IZEA Daniel Fulda sowie bei allen Aufklärungsforschern aus Halle bedanken, die an dem mitunter kontroversen Meinungsaustausch partizipiert oder sich wie Daria Sambuk und Marianne Taatz-Jacobi die Zeit genommen haben, das Manuskript zu lesen und zu kommentieren. Daniel Bussenius danken wir für seine Redaktionsarbeit. Vor allem hat sich Moritz Baumstark um die Verbesserung des Manuskripts verdient gemacht. Dank seinen profunden Kenntnissen der Aufklärungsforschung hat er uns wichtige Denkimpulse gegeben. Ebenfalls möchten wir unseren Studenten danken, mit denen wir in Seminaren und Vorlesungen die Textinterpretationen intensiv besprochen haben.
An den einzelnen Kapiteln haben wir beide zusammengearbeitet. Nichtsdestotrotz war Andreas Pe?ar für die Entstehung der beiden ersten Kapitel hauptverantwortlich, während Damien Tricoire das Gros der Kapitel drei bis sechs geschrieben hat. Die Einleitung und der Epilog sind in ständigem Austausch gemeinsam verfasst worden. Wir hoffen, dass durch dieses enge Zusammenwirken ein kohärentes Buch entstanden ist, das eine klare Stoßrichtung hat: gegen den Anachronismus.
Einleitung:
Propheten der Moderne?
Auf der Suche nach dem Ursprung der Moderne
Wir befinden uns im Jahr 2440. Die Weltgeschichte hat ihr Ziel erreicht. Paris ist das Zentrum der nun vollständig aufgeklärten Welt. Auf dem Montmartre steht ein Heiligtum der Musen für die Mitglieder der Akademie, die in kleinen Häusern am Berghang in Einsamkeit arbeiten, mitunter aber zu gemeinsamen Sitzungen im Heiligtum zusammentreten, um sich dort gegenseitig aus ihren Schriften vorzulesen, dabei vor Entzückung aufzujauchzen oder vor Rührung zu weinen. Auch ein Tempel findet sich in der Nähe: eine "Residenz der Natur", in der wie in einer Wunderkammer die "große Kette der Wesen" zu besichtigen ist, die in einem wohlgeordneten hierarchischen Kontinuum vom Stein zu dem Menschen führt. Diese naturhistorische Sammlung haben die französischen Könige gestiftet, die um den "Ehrentitel eines vernünftigen Wesens" miteinander wetteiferten. Über dieses Paradies wacht ein Philosophenkönig, während eine Vereinigung aller Stände für die Gesetzgebung zuständig ist.
Während die Dinge zum Nutzen der Menschheit gedeihen, hat man sich von allen schädlichen Einflüssen befreit. In den Theatern wird keine belanglose Unterhaltung mehr gegeben, sondern nur Stücke, die der bürgerlichen Erziehung dienen. Die Universitäten als Orte des Gelehrtendünkels gibt es nicht mehr. In den Bibliotheken bewahrt man nur die lesenswerten Bücher auf, in denen die Wahrheit klar und einfach niedergeschrieben ist: Fénelons Telemach etwa oder die Schrift über den ewigen Frieden von Abbé de Saint-Pierre, Voltaires Henriade, Montesquieus Vom Geist der Gesetze und die kompletten Schriften von Jean-Jacques Rousseau. Aller schlecht geratenen Bücher, deren Autoren nur Irrtümer und Vorurteile angehäuft hatten oder deren Lektüre für den Leser einfach ohne Nutzen war, hatte man sich hingegen rigoros entledigt. Der Reiseführer durch das Paradies erläutert dem Leser diese Maßnahme zur Hebung des Gemeinwohls auf besonders anschauliche Art und Weise:
"Mit dem Einverständnis aller haben wir alle Bücher, die wir als seicht, nutzlos oder gefährlich erachteten, auf einem weiträumigen, ebenen Platz zusammengetragen; wir haben daraus eine Pyramide aufgeschichtet, die an Höhe und Masse einem gewaltigen Turme glich: Ganz gewiß war das ein neuer Turm von Babel. [] Diesen ungeheuren Haufen haben wir angezündet, als ein Sühneopfer, das wir der Wahrheit, dem guten Geschmack und dem gesunden Verstande brachten. Die Flammen haben Sturzbächen gleich die Dummheiten der Menschen, alte und moderne, verschlungen. Die Verbrennung dauerte lang. Einige Schriftsteller haben sich noch zu Lebzeiten brennen gesehen, aber ihr Geschrei hat uns nicht zurückgehalten."
So beschreibt der französische Aufklärer Louis-Sébastien Mercier die auf uns zukommenden Zeiten in seinem utopischen Roman Das Jahr 2440. Diese Zukunftsvision dürfte bei heutigen Lesern Unbehagen und einige Zweifel an der idealen Beschaffenheit einer solchen Gesellschaft wecken, die programmgemäß nur auf Vernunft und Wahrheit gründet. Wir haben diese Aufklärungsutopie bewusst an den Anfang gestellt, um zu veranschaulichen, dass wir heute mit den Idealen der Aufklärer weniger gemein haben, als man bei einem Blick in die Literatur der Aufklärungsforschung meinen könnte. Freilich repräsentiert Mercier nicht "die …


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