Kultur als Menschenrecht?

Kultur als Menschenrecht?

Einband:
Paperback
EAN:
9783593503158
Untertitel:
Ambivalenzen kollektiver Rechtsforderungen
Genre:
Entwicklungstheorie & Entwicklungspolitik
Autor:
Janne Mende
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
262
Erscheinungsdatum:
31.01.2015
ISBN:
978-3-593-50315-8

In Menschenrechtsdebatten entzündet sich regelmäßig die Frage, ob es ein kollektives Menschenrecht auf Kultur und Identität gibt. Anhand einer Analyse der Forderungen von indigenen Gruppen in der UN erörtert Janne Mende die einzelnen Aspekte dieses Anspruchs:
Sie geht auf die Bedeutung kollektiver Menschenrechte und die zentrale, in sich ambivalente Rolle von Kultur und Identität ein, weist auf entstehende Problematiken hin und diskutiert Lösungsmöglichkeiten. Die Untersuchung der Ambivalenzen des Feldes kollektiver Rechte gibt Aufschluss darüber, inwiefern Menschenrechte substanziell begründet werden können, wenn auf Kultur und Identität Bezug genommen
wird.

Autorentext
Janne Mende, Dr. rer. soc., lehrt und forscht am International Center for Development and Decent Work an der Universität Kassel.

Leseprobe
Einleitung "Menschen haben ein Recht auf Kultur - nicht nur irgendeine Kultur, sondern ihre eigene." (Margalit/Halbertal 1994: 491) Das Anliegen, Kultur und Identität als kollektives Menschenrecht zu kodifizieren, gewinnt im 21. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Prägnant manifestiert es sich in der Entwicklung indigener Rechte und in deren vorläufigem Höhepunkt, der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP). Umstritten bleibt jedoch die Frage, ob es ein kollektives Menschenrecht auf Kultur und Identität geben kann und wenn ja, in welcher Form und mit welchen Effekten. Die Begriffe Kultur, Identität und kulturelle Identität fungieren zu-nächst als Platzhalter, die höchst unterschiedlich bestimmt werden kön-nen. In Forderungen nach kollektiven Menschenrechten überkreuzen und vervielfältigen sich deren Bedeutungen. Dieses komplex strukturierte Feld, das Widersprüchlichkeiten, Gegensätze und austauschbare Begrifflichkeiten für und gegen gleichlautende Forderungen aufweisen kann, bildet den Anlass, in diesem Buch die Argumentationsmuster kollektiver Menschenrechtsforderungen zu analysieren. Das Feld wird von der begrifflichen Abstraktion bis zur detaillierten Einzelproblematik daraufhin untersucht, welche Aspekte von Kultur und Identität in kollektiven Menschenrechtsforderungen mit welchen Begründungen und Funktionen verbunden werden. Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern kollektive Menschenrechte eine sinnvolle Erweiterung individueller Menschenrechte darstellen können. Vor der näheren Skizzierung des Aufbaus und Argumentationsganges der Untersuchung wird ein Überblick über die Entwicklung internationaler Menschenrechte, über Gruppenrechtskonzeptionen und über Minderhei-tenrechte einen ersten Zugang zum Themenfeld verschaffen. Ideengeschichtlich werden Menschenrechte in einer "Standarderzählung der Menschenrechtsgeschichte" (Menke/Pollmann 2007: 12) mit drei Entwicklungsphasen assoziiert: Eine erste Phase bildet das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier wurde philosophisch begründet, wenn auch nicht politisch durchgesetzt, dass jedem Menschen von Natur aus bestimmte Rechte zustehen. Als zweite Entwicklungsphase gelten die bürgerlichen Revolutionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, in denen Bürgerrechte juristisch verankert wurden, allerdings ihren für alle Menschen gleichermaßen geltenden, das ist universellen Charakter verloren. Die UN-Menschenrechte stellen die dritte Phase dar, in der die Verrechtlichung der zweiten Phase einerseits und der Universalismus der ersten Phase andererseits endlich vereint wurden. Diese Erzählung einer Abfolge beruht mit Menke und Pollmann auf verkürzten Begrifflichkeiten (ebd.: 12ff.). Vor allem verkenne sie den entscheidenden Bruch, der der Entstehung der heutigen Menschenrechte vorausging. "Eine zentrale Voraussetzung der gegenwärtigen Menschenrechtspolitik ist [] die Erfahrung einer politisch-moralischen Katastrophe, die so fundamental ist, dass sie auch noch die Menschenrechtsgeschichte als solche bis in ihre Grundfesten erschüttert. Diese Katastrophe ist der politische Totalitarismus" (ebd.: 16). Noch deutlicher wird die Zäsur als "Zivilisationsbruch" bezeichnet, der sich in der Shoah manifestierte (Diner/Benhabib 1988). Die Anerkennung dieses Bruchs ist mit dem Modell unterschiedlicher Phasen von Menschenrechten allerdings dann kompatibel, wenn keine harmonische, lineare Abfolge, sondern die eminenten Unterschiede zwi-schen den drei Menschenrechtsphasen in den Mittelpunkt gerückt werden, die eine Gleichsetzung von Menschenrechtserklärungen aus den unterschiedlichen Phasen disqualifizieren. Im Folgenden ist mit dem Begriff Menschenrecht ausschließlich das moderne Menschenrechtssystem gemeint, das sich nach der Zäsur seit 1945 entwickelt hat. Die Gründung der Vereinten Nationen (UN) 1945 und die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) 1948 bilden den aufsehenerregenden Auftakt für ein verbindliches internationales Menschenrechtssystem. Die beiden UN-Pakte von 1966 (in Kraft getreten 1976) über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte spezifizieren und erweitern die Menschenrechte nicht nur, sondern geben ihnen einen rechtsverbindlichen Charakter und verleihen Teilen der AEMR völkergewohnheitsrechtliche Durchsetzungsstärke (Hobe/Kimminich 2000: 344ff.). Gemeinsam bilden die drei Dokumente die sogenannte Internationale Menschenrechtscharta. Das moderne Menschenrechtssystem zeichnet sich gegenüber vorherigen Men-schenrechtsansätzen insbesondere dadurch aus, "dass das Individuum innerstaatlich stets auf die Freiheit oder Unfreiheit des politischen Systems, in dem es sich befand, angewiesen war, während über die Internationalisierung ein grundsätzlich neuer Weg beschritten wurde: der eigene Staat unterliegt seither einem doppelten Legitimationszwang: nach innen bedarf er weiterhin der traditionell-rechtsstaatlichen Rechtfertigung, nach außen unterliegt er der zusätzlichen Kontrolle durch das Forum des Weltgewissens, der Kritikmöglichkeit durch die anderen Staaten und durch internationale Organisationen wie den VN." (Riedel 2004: 12) Ein komplexes und wachsendes System an Verträgen, Konventionen, Er-klärungen und Resolutionen auf staatlicher, regionaler, trans- und interna-tionaler Ebene soll menschenrechtliche Ansprüche unterstützen helfen. Aufgrund unterschiedlicher Kontrollmechanismen und des Fehlens ei-ner internationalen exekutiven Sanktionsinstanz zeichnen sich internatio-nale Menschenrechte durch ein Ineinandergreifen politischer, moralischer und rechtlicher Umsetzungsmechanismen aus. Das ermöglicht heterogene Formen der Durchsetzung von Menschenrechten, die nicht auf juristische Wege beschränkt sind. Es gibt Durchsetzungsformen nach dem Völkerge-wohnheitsrecht, nach ius cogens (zwingendem Recht), nach erga omnes (abso-lutem Recht), nach UN-Erklärungen und nach Menschenrechtsverträgen ebenso wie nach universalisierten Standards und moralischen Normen (Clapham 2006: 85ff.). Aus dieser Vielfalt ergeben sich Grauzonen und Spielräume, die für durchaus gegensätzliche Zwecke genutzt werden kön-nen. Den Hintergrund bildet ein generelles Merkmal internationaler (Men-schen-) Rechte, das die folgenden Diskussionen stets begleiten und das eine eindeutige Trennung zwischen normativen und rechtlichen Ansprü-chen stellenweise erschweren wird. Internationale Rechte und Normen sind gekennzeichnet von (der Möglichkeit für) Auseinandersetzungen um deren Interpretationen, Deutungen und Auslegungen. "Einem Juristen, der es gewohnt ist, immer nur mit Gesetzestexten, Gerichtsent-scheidungen und stichhaltigen Beweismitteln zu hantieren, mag eine Rechtsord-nung, welche die gesamte Fülle des menschlichen Lebens einschließlich seiner Irrationalität [] mit in das Normdenken einbaut, zunächst schwer verständlich erscheinen." (Hobe/Kimminich 2000: 28, s.a. Clapham 2006: 70f.) Das Völkerrecht wirkt gleichzeitig auf die sozialen Realitäten, Gefüge, Institutionen und Machtverhältnisse, die in es eingehen, zurück und …


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