Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit?

Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit?

Einband:
Paperback
EAN:
9783593503097
Untertitel:
Der Streit um die Mohammed-Karikaturen und die dänische Einwanderungspolitik
Genre:
Sonstige Politik-Bücher
Autor:
Jana Sinram
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
380
Erscheinungsdatum:
28.02.2015
ISBN:
978-3-593-50309-7

Brennende dänische Fahnen, verwüstete Botschaften, Hunderttausende wütende Muslime auf den Straßen arabischer und asiatischer Länder: Die zwölf Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten beschäftigten 2006 wochenlang die Weltöffentlichkeit.

Jana Sinram beleuchtet ausführlich die Hintergründe des Konflikts, zeigt, was in den Jahren vor der Veröffentlichung der Zeichnungen und in den Monaten danach in Dänemark geschah, und erklärt, wie sich der Streit zu einer globalen Krise entwickeln konnte. Sie deckt bisher weitgehend unbekannte Zusammenhänge mit der restriktiven dänischen Einwanderungspolitik auf, räumt Mythen und Missverständnisse aus und macht deutlich, dass es beim Karikaturenstreit um viel mehr ging als nur um die Pressefreiheit.

Autorentext
Dr. phil. Jana Sinram studierte Politikwissenschaft, Nordische Philologie und Europäische Ethnologie in Kiel, Stockholm und Münster und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitet als Nachrichtenredakteurin beim Deutschlandfunk in Köln

Leseprobe
1. Dänemark, der Karikaturenstreit und die Einwanderung
Einleitung
"This is a clash of cultures and, in its essence, a debate about how much the receiving society should be willing to compromise its own standards in order to integrate foreigners. On the other hand, how much does the im-migrant have to give up in order to be integrated?" Ein Kampf der Kulturen und eine Frage von Integration und Assimilation - so beschrieb der dänische Journalist Flemming Rose im Februar 2006, um was es seiner Meinung nach im Streit um die Mohammed-Karikaturen seiner Zeitung Morgenavisen Jyllands-Posten ging. Das Blatt hatte Ende September 2005 im von Rose verantworteten Kulturteil zwölf Zeichnungen des islamischen Propheten veröffentlicht. Vier Monate später gingen Bilder brennender dänischer Fahnen und wütender Demonstranten im Nahen Osten und in Asien um die Welt. Es gab Dutzende Tote und Verletzte, die Karikaturisten wurden mit dem Tod bedroht, die dänische Wirtschaft sah sich in vielen muslimischen Ländern einem Warenboykott ausgesetzt. In dem Konflikt um zwölf Karikaturen einer dänischen Regionalzeitung schien sich der von Samuel P. Huntington vorhergesagte Kulturkampf zwischen dem islamischen und dem westlichen Kulturkreis nach dem 11. September 2001 und den Terroranschlägen von Madrid und London zu bestätigen. Wenige Tage, nachdem Demonstranten in der syrischen Hauptstadt Damaskus die dänische Botschaft niedergebrannt und die Proteste die ersten Todesopfer gefordert hatten, versuchte US-Präsident George W. Bush die Lage zu beruhigen: "I call upon the governments around the world to stop the violence, to be respectful, to protect property, protect the lives of innocent diplomats who are serving their countries overseas" - mit diesen Worten zitierte ihn am 08. Februar 2006 die New York Times. Gleichzeitig betonte Bush, der gemeinsam mit dem jordanischen König Abdullah vor die Medien trat, sein Land glaube an die Pressefreiheit, diese müsse aber mit Verantwortungsbewusstsein einhergehen. Dass eine als Satire gedachte Veröffentlichung einer dänischen Regionalzeitung es auf die Agenda der US-Regierung schaffte, für die das kleine Dänemark in der Regel eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte, zeigt das Ausmaß der Krise: Jyllands-Posten hatte mit den Mohammed-Karikaturen einen globalen Wertekonflikt nie dagewesenen Ausmaßes provoziert.
Neun Jahre später haben sich die Ereignisse tief im kollektiven Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingeprägt. Der Karikaturenstreit wird immer wieder bemüht, um Differenzen zwischen islamisch-religiösen und freiheitlich-westlichen Werten und damit verbundene Probleme zu illus-trieren. Gleichzeitig sind Mohammed-Karikaturen zu einem Symbol geworden; kaum etwas scheint Islamgegnern geeigneter zur Provokation. So demonstrierte 2012 die rechtspopulistische Partei Pro NRW im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf mit Zeichnungen des Propheten vor Moscheen. Als im selben Jahr der islamfeindliche Film Die Unschuld der Muslime Proteste in islamischen Ländern auslöste, druckte die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo als Reaktion neue Mohammed-Karikaturen ab. Die Argumente für solche Aktionen sind immer dieselben: Für uns hier im Westen ist der Prophet nicht heilig, wir haben - im Gegensatz zu muslimischen Ländern - eine freiheitlich-demokratische Grundordnung, deshalb können wir zeigen, was wir wollen und wie wir es wollen, und diese Freiheit werden wir uns von religiösen Fanatikern nicht nehmen lassen. Der Westen solle, so die regelmäßig wiederholte Forderung - in diesem Fall von der somalischstämmigen Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali im Zusammenhang mit den Protesten gegen den oben erwähnten islamfeindlichen Film - "endlich aufhören mit der moralischen Relativierung und damit beginnen, seine Werte zu verteidigen" .
So gesehen scheinen die Konfliktlinien völlig klar zu sein: Säkularismus gegen Religiosität, demokratische Werte gegen religiöse Gefühle, der Westen gegen den Rest der Welt. Dänemark wäre vor diesem Hintergrund ein beliebiges westliches Land, das zufällig zum Ausgangspunkt des Karikaturenstreits geworden ist. Das Problem ist: So zufällig ist die Tatsache, dass die Mohammed-Karikaturen ausgerechnet in Dänemark erschienen, nicht, wie der dänische Migrationsforscher Ulf Hedetoft hervorhebt:
"Far from being an exceptional occurrence, the affair is in line with the forms of Danish islamophobia and anti-immigrant skepticism that have come to dominate public debates and that have been the foundation for government policies since the late 1990s. The free speech argument, in particular, is a key element in anti-Islamic alarmism."
Um diese Bemerkung verstehen zu können, muss man sich die Ausgangs-situation zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Karikaturen bewusst machen. In Dänemark regierte seit vier Jahren eine konservativ-liberale Minderheitskoalition, die im Parlament auf die Unterstützung der rechts-populistischen Dänischen Volkspartei angewiesen war. Seit ihrem Amts-antritt hatte sie das Einwanderungsrecht massiv verschärft, den Zugang für Flüchtlinge und bestimmte andere Zuwanderergruppen erschwert und Sozialleistungen für Immigranten gekürzt. Politik und Medien debattierten intensiv über Probleme mit den "Fremden" und ihrer Integration in die dänische Gesellschaft. Als schwierig wurden vor allem muslimische Ein-wanderer wahrgenommen, die sich, so wurde immer wieder argumentiert, mit der Anpassung an die westliche Kultur und der Akzeptanz dänischer Werte besonders schwer täten. Mit den Karikaturen reagierte Jyllands-Posten auf den Bericht einer Nachrichtenagentur, wonach ein Schriftsteller keinen Illustrator für ein Kinderbuch über den Propheten Mohammed hatte finden können - die von ihm angefragten Künstler hatten angeblich aus Angst vor negativen Reaktionen im Land lebender radikaler Muslime abgelehnt. Diese Meldung nahm die Zeitung zum Anlass zu untersuchen, ob sich dänische Künstler in Bezug auf den Islam tatsächlich einer Selbstzensur unterwerfen würden. Die Redaktion forderte also die Karikaturisten des Landes auf, Mohammed zu zeichnen - das Ergebnis, nämlich die von zwölf unterschiedlichen Zeichnern eingereichten Mohammed-Karikaturen, wurde in der Jyllands-Posten-Ausgabe vom 30. September 2005 veröffentlicht. Die Aktion begründeten die Redakteure vor allem damit, dass Muslime in Dänemark keine Sonderbehandlung erwarten dürften. Später berief sich die Zeitung wiederholt auf die Pressefreiheit in Dänemark, durch die jegliche Art von Satire gedeckt sei.
Gegen die Karikaturen protestierten neben einigen religiösen Führern in Dänemark auch die Botschafter mehrerer islamischer Länder in einem Brief an die Regierung in Kopenhagen. Bemerkenswert ist, dass es ihnen keineswegs nur um die Mohammed-Zeichnungen ging. Sie beklagten viel-mehr eine "Schmutzkampagne" gegen Muslime in Dänemark und nannten als Beis…


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