Fritz Bauer. Der Staatsanwalt

Fritz Bauer. Der Staatsanwalt

Einband:
Paperback
EAN:
9783593501055
Untertitel:
NS-Verbrechen vor Gericht
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Anzahl Seiten:
300
Erscheinungsdatum:
30.04.2014
ISBN:
978-3-593-50105-5

Jurist, Sozialdemokrat, Humanist

Fritz Bauer gehört zu den bedeutendsten jüdischen Remigranten im Nachkriegsdeutschland. Als hessischer Generalstaatsanwalt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozess auf den Weg brachte, hat er bundesrepublikanische Geschichte geschrieben. Die öffentliche Wirksamkeit des Auschwitz- Prozesses und dessen politische Folgen sind für das Selbstverständnis der Westdeutschen nicht hoch genug einzuschätzen. Anlässlich des 50. Jahrestags des Auschwitz-Prozesses veranstaltet das Jüdische Museum Frankfurt am Main in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut eine umfassende Ausstellung zu Leben und Werk Fritz Bauers. Sie würdigt den politisch und gesellschaftlich engagierten Juristen und Strafrechtsreformer, den kämpferischen Sozialdemokraten den Mitstreiter Kurt Schumachers, den ein gemeinsames Exil mit Willy Brandt verband , den atheistischen Humanisten, aber auch den leidenschaftlichen Theatergänger und Kunstkenner.

Vorwort
Jurist, Sozialdemokrat, Humanist

Autorentext
Fritz Backhaus ist stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main. Monika Boll ist Philosophin, Publizistin und Kuratorin. Raphael Gross ist Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, des Fritz Bauer Instituts und des Leo Baeck Institute in London sowie Reader an der Queen Mary University of London.

Leseprobe
Vorwort Fritz Bauer gehört zu den bedeutendsten und juristisch einflussreichsten jüdischen Remigranten im Nachkriegsdeutschland. Als hessischer Generalstaatsanwalt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozess auf den Weg brachte, hat Fritz Bauer bundesrepublikanische Geschichte geschrieben. Im Dezember 1963, 18 Jahre nach Kriegsende, wurde im Plenarsaal des Römers der Auschwitz-Prozess gegen 22 Angeklagte eröffnet. Das Verfahren endete im August 1965 mit der Urteilsverkündung im Bürgerhaus Gallus. Bis zur Schließung der Beweisaufnahme vernahm das Schwurgericht 360 Zeugen, von denen 211 Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz waren. Mit dem Auschwitz-Prozess begann in der Bundesrepublik Deutschland eine intensive Phase öffentlicher "Aufarbeitung der Vergangenheit". Bis dahin war vielen Deutschen noch fremd, dass massenhafter Mord an Zivilisten nicht als Nebenfolge eines grausamen Krieges abgetan werden kann, sondern ein Menschheitsverbrechen darstellt. Der Auschwitz-Prozess, der sich 2013 zum 50. Mal jährte, ist bis heute der größte jemals in der Bundesrepublik durchgeführte Prozess dieser Art.Die Idee einer Ausstellung zu Fritz Bauer nahm mit der Erinnerung an diesen Prozess ihren Ausgang.1 Aber bald schon wuchs mit dem Anlass auch unser Wunsch, Bauers Persönlichkeit insgesamt einem größeren Publikum vorzustellen. Schließlich blieb sein Leben nicht unberührt von den großen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Fritz Bauers Lebensgeschichte war selbst Teil der historischen Ereignisse, wie unsere Ausstellung zeigen möchte. Bauer stammte aus einem bürgerlichen jüdischen Elternhaus. Die jüdischen Feste, so erzählte es später seine Schwester Margot, feierte man, solange eine Großmutter noch im Haus lebte. Das Versprechen der Assimilation der Kaiserzeit nahmen Vater und Sohn jeweils auf eigene Weise ernst. Der Vater deutsch-national und autoritär, der Sohn linksradikal. Die sogenannte Judenfrage, so die Hoffnung dieser Jahre, sollte sich entweder auf dem Weg politischer Gleichstellung lösen, indem Juden deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens sein würden, oder aber marxistisch, wenn zukünftig alle Unterschiede in einer Gesellschaft freier Menschen aufgehoben sein würden. Der Antisemitismus, dem Bauer als Schulkind, als Student und als junger Amtsrichter begegnete, erschien ihm nur mehr als ärgerliche Rückschrittlichkeit. Den Zionismus hielt er daher für eine Art von überflüssigem Umweg; noch im dänischen Exil bezeichnete er sich als antizionistisch. Aber auch dort holte ihn und seine Familie das Schicksal als Jude ein. 1938 ging beim deutschen Konsulat in Kopenhagen der Antrag auf Ausbürgerung des "jüdischen Emigranten" von der Gestapo Berlin ein. Bauer wurde staatenlos. Seinen Eltern gelang erst im Dezember 1939 die Einreise nach Dänemark. Seine politische Heimat war indes seit 1920 die SPD. Die Ausstellung zeigt Fritz Bauer an der Seite von Kurt Schumacher im Kampf gegen NSDAP und KPD und während einer gemeinsamen Haftzeit im Konzentrationslager Heuberg. Im schwedischen Exil lernte er Willy Brandt kennen, mit dem er die Zeitschrift Sozialistische Tribüne gründete. Nach dem Krieg war es Bauer, der Willy Brandt beim Parteivorsitzenden Kurt Schumacher einführte und so seine politische Karriere mit beförderte. Bauers Jahre im Exil waren außer von materieller Not auch durch jahrelange Observierungen wegen homosexueller Aktivitäten überschattet. In der Zeit von 1936 bis 1940 musste Bauer bei der Ausländerbehörde immer wieder Angaben dazu machen. Wir haben überlegt, ob wir diesen Fund in der Ausstellung und im Katalog thematisieren sollen und uns schließlich dafür entschieden. Ein Argument, das möglicherweise dagegen spricht, ist der Hinweis auf den Schutz von Bauers Privatleben. Aber würde man damit, 45 Jahre nach Bauers Tod, nicht unterstellen, dass Homosexualität nach wie vor etwas Diskreditierendes anhaftet und auf diese Weise genau jenen Zeitgeist fortspinnen, unter dem Bauer und viele andere seiner Generation zu leiden hatten? Der unserer Meinung nach entscheidende Punkt liegt schließlich auch gar nicht in der Frage nach Bauers Homosexualität, sondern in der politisch relevanten Tatsache der Observierung und Repression, der Bauer selbst im vergleichsweise liberalen Dänemark ausgeliefert war. Darin eingeschlossen sind zugleich die absehbaren politischen Folgen, die ein Öffentlichwerden für Bauers Amt als Generalstaatsanwalt in der frühen Bundesrepublik bedeutet hätte, wo eine kriminalisierende Gesetzgebung durch den § 175 StGB noch bis 1969 in Anwendung blieb. Die Ausstellung folgt Bauers Rückkehr nach Deutschland 1949 und seinem Wirken in der Bundesrepublik. In Braunschweig, wo er zwischen 1949 und 1956 als Richter und Generalstaatsanwalt agierte, erregte der Prozess gegen Otto Ernst Remer öffentliches Aufsehen, in dem Bauer den Widerstand des 20. Juli gegen eine lange Tradition von Untertanengehorsam zu rehabilitieren suchte. Dass er der deutschen Öffentlichkeit als positive Identifikation hierfür Vertreter aus dem konservativen Milieu anbot und nicht etwa aus dem linken Widerstand der Weimarer Zeit, dem er selbst angehörte, zeigt sein taktisches Gespür und seine gezielte Rücksichtnahme auf das politisch gerade noch Akzeptable in der Nachkriegszeit. Sowohl in Braunschweig als auch später in Frankfurt am Main ließ Bauer an die Gerichtsfassaden den Artikel 1 des Grundgesetzes anbringen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Wir haben diesem Szenario in unserer Ausstellung einen besonderen Stellenwert eingeräumt, weil es uns für sein Selbstverständnis als Staatsanwalt ebenso zentral wie zu damaliger Zeit außergewöhnlich erscheint. Denn den Staat als Schützer der Menschenwürde in die Pflicht zu nehmen, widersprach dem überkommenen Politikverständnis, in dem der Staatsanwalt vor allem als Vertreter der Staatsräson galt, der dem Bürger Gehorsam gegenüber staatlicher Macht abverlangte. Ganz im Sinne des Grundgesetzes sah Bauer hingegen im Staatsanwalt eher einen Anwalt, der die Rechte der Menschen auch gegen staatliche Willkür vertritt. Wie gut diese Botschaft vor allem auch von seinen Gegnern verstanden wurde, belegt ein Schmähbrief an ihn, in dem es hieß: "Wir stellen uns unter einem Staatsanwalt einen Mann vor, der für Ordnung, Moral und Sauberkeit im Staat eintritt! Sie tun das Gegenteil! Sie charakterloser Staatsanwalt Sie []!"?2 Diesem Selbstverständnis Bauers entsprach auch sein Einsatz für eine Strafrechtsreform, die Resozialisieru…


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