»Erst stirbt der Wald, dann du!«

»Erst stirbt der Wald, dann du!«

Einband:
Paperback
EAN:
9783593500928
Untertitel:
Das Waldsterben als westdeutsches Politikum (1978-1986)
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Birgit Metzger
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
665
Erscheinungsdatum:
30.04.2015
ISBN:
978-3-593-50092-8

Das Waldsterben erschütterte die westdeutsche Gesellschaft in den 1980er-Jahren und beeinflusst die umweltpolitische Debatte bis heute. Jenseits der Frage, wie berechtigt das forstwissenschaftlich geprägte Katastrophenszenario war, gab es Anlass für eine der wirkmächtigsten Umweltdebatten der neueren deutschen Geschichte. Birgit Metzger erschließt in ihrer Studie das Waldsterben als historisches Phänomen im Kontext der gesellschaftspolitischen Situation der 1980er-Jahre, das quer durch alle Milieus und politischen Überzeugungen bis in die höchsten politischen Kreise Anknüpfungspunkte bot. Sie rekonstruiert Entstehung, Verlauf und Auswirkungen der Debatte und macht das Zusammenspiel von Forstwirtschaft, Medien, Umweltbewegung und politischen Akteuren sichtbar.

Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Preis der Monika-Glettler-Stiftung des Verbands der Freunde der Universität Freiburg e.V.

»"Erst Stirbt der Wald dann du" - ist eine aufschlussreiche Mentalitätsgeschichte der bundesdeutschen 70er und 80er Jahre.«, MDR Figaro, 25.11.2015 »Ein wichtiger Beitrag zum expandierenden Forschungsfeld der Umweltzeitgeschichte.«, H-Soz-Kult, 02.09.2015

Autorentext
Birgit Metzger, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität des Saarlandes.

Klappentext
Das Waldsterben erschütterte die westdeutsche Gesellschaft in den 1980er-Jahren und beeinflusst die umweltpolitische Debatte bis heute. Jenseits der Frage, wie berechtigt das forstwissenschaftlich geprägte Katastrophenszenario war, gab es Anlass für eine der wirkmächtigsten Umweltdebatten der neueren deutschen Geschichte. Birgit Metzger erschließt in ihrer Studie das Waldsterben als historisches Phänomen im Kontext der gesellschaftspolitischen Situation der 1980er-Jahre, das quer durch alle Milieus und politischen Überzeugungen bis in die höchsten politischen Kreise Anknüpfungspunkte bot. Sie rekonstruiert Entstehung, Verlauf und Auswirkungen der Debatte und macht das Zusammenspiel von Forstwirtschaft, Medien, Umweltbewegung und politischen Akteuren sichtbar.

Leseprobe
Einleitung
"Hochschwarzwald, 15. September 2010: Der Revierförster, zwei Beamte des Bundesumweltministeriums, Bestandsaufnahme im Schadensgebiet 4, Sankt Blasien: Schadstufe 4, abgestorben." Zu sehen ist eine Fläche, die größtenteils mit Gräsern und einigen niedrigen Sträuchern bewachsen ist. Vereinzelt stehen Nadelbäume herum. Ihre Kronen sind schütter und licht, sie bestehen aus nur wenigen Zweigen und Nadeln. Auf dem Boden verstreut liegt trockenes Geäst. Langsam hebt sich die Kamera in einige Meter Höhe. Im Luftbild ist das große Ausmaß dieser steppenartigen Fläche zu erkennen. "Die Fakten: Im Schwarzwald, in den Alpen, im Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge, im Odenwald - überall die gleichen Bilder: Schadstufe 3 - schwerkrank, Schadstufe 4 - tot. Oberhalb 600 Meter wird abgeholzt, zu retten ist da nichts mehr. Und je nach Lage: Endzustand auch in den Tälern."
So beginnt die Doku-Fiktion Kahlschlag - Der Waldreport 2010 von Joachim Faulstich (Hessischer Rundfunk, 1989), in der mit damals neuester Bildbearbeitungstechnik eine ökologische Zukunftsvision des Jahres 2010 entworfen und mit dem Zustand von 1989 verglichen wird. Die Bilder bringen eine pessimistische Zukunftserwartung zum Ausdruck: Die Wälder in den westdeutschen Mittelgebirgen würden 2010 weitgehend abgestorben sein, Bauernhöfe verlassen, Erdrutsche und Lawinen würden folgen. Wiederaufforstung wäre ein äußerst schwieriges Unterfangen, weil die Böden so stark versauert wären, dass junge Bäume kaum wachsen könnten.
Dieses Katastrophenszenario stellte den Kern der Waldsterbensdebatte der 1980er Jahre dar. Demzufolge drohte der Wald innerhalb weniger Jahre komplett abzusterben, sofern nicht die den Sauren Regen verursachenden Abgase aus Industrie, Kraftwerken und Verkehr maßgeblich reduziert würden. Diese Warnung äußerten Forstwissenschaftler erstmals um 1980 und lösten damit eine der größten und intensivsten Umweltdebatten der deutschen Geschichte aus. In kurzer Zeit avancierte das Waldsterben zum "Umweltproblem Nr. 1": Es war zwischen 1981 und 1986 in Presse und Rundfunk omnipräsent, wurde zum Gegenstand von massenhaft publizierten populärwissenschaftlichen Schriften, von Wahlkämpfen und spek-takulären Protestaktionen.
Zwar hatte eine breitere umweltpolitische Aktivierung in der Bundesrepublik spätestens in den 1970er Jahren eingesetzt. Aber anders als etwa die Diskussionen um die Nutzung der Atomenergie oder die Auswirkungen der chemischen Industrie in den 1970er Jahren, die äußerst kontrovers verliefen, die die Gesellschaft in Befürworter und Gegner spalteten und die teils gewalttätig ausgetragen wurden, bot das Waldsterben quer durch soziale Milieus und politische Lager vielfältige Anknüpfungspunkte. Führende Wissenschaftler, Forstleute, linke Umwelt- und konservative Naturschützer sorgten sich Anfang der 1980er Jahre ebenso um den Fortbestand des Waldes wie Bundeskanzler Helmut Kohl und die erste grüne Bundestagsfraktion. Dabei befürchteten viele Bundesbürger nicht nur das großflächige Absterben des Waldes, sondern betrachteten es als Ausdruck einer umfassenden Umweltkrise, die in ihrer Konsequenz auch die menschliche Existenz bedrohte. "Erst stirbt der Wald, dann der Mensch" war ein verbreitetes Schlagwort in den 1980er Jahren, das diese Besorgnis ausdrückte. Auch von einem "ökologischen Hiroshima", ja einem "ökologischen Holocaust" war die Rede. Dieser emotional und moralisch aufgeladene Katastrophendiskurs setzte gesellschaftlich und politisch viel in Gang: Die seit Oktober 1982 amtierende Bundesregierung, eine Koalition von CDU/CSU und FDP, verabschiedete unter dem großen Druck der Öffentlichkeit ein um-fangreiches "Aktionsprogramm" zur Rettung des Waldes. Als wirkungsvoll und wegweisend erwiesen sich die in dieser Zeit eingeleiteten nationalen und europäischen Regelungen zur Verminderung der Luftverschmutzung. Aber auch die großzügige Förderung der forstwissenschaftlichen Forschung oder die regelmäßige und systematische Beobachtung des Waldzustandes gehörten zu den folgenreichen Maßnahmen, die zunächst aufgrund des angenommenen Waldsterbens ergriffen wurden.
Im Jahr 2014, rund 30 Jahre nach den eindringlichen Warnungen vor dem baldigen Tod des Waldes, steht und wächst der Wald in Deutschland und in Europa noch immer. Anders als in der Doku-Fiktion Kahlschlag befürchtet, hat die mit Wald bewachsene Fläche in der Bundesrepublik in den letzten Jahren sogar leicht zugenommen. Vom Waldsterben als einem akuten Umweltproblem ist kaum noch die Rede. Gegenstände der Umweltdebatte sind stattdessen der globale Klimawandel und Katastrophenereignisse wie in den letzten Jahren die Explosionen im Atomkraftwerk von Fukushima im Frühjahr 2011 oder die Havarie der Öl-Bohrinsel Deepwater Horizon vor der amerikanischen Küste im Jahr 2010.
Offensichtlich ist die Prognose eines großflächigen Waldsterbens nicht eingetreten. War also das Waldsterben ein "Öko-Irrtum", eine irrationale Panikmache und Medienhysterie? Oder handelte es sich um eine Erfolgs-geschichte des Umweltschutzes, in der es gelang, ein drängendes Umwelt-problem erst groß öffentlich zu thematisieren und dann Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die bevorstehende Katastrophe im letzten Moment abgewendet werden konnte? Gegenwärtige Erklärungen und Bewertungen der Waldsterbensdebatte fallen höchst unterschiedlich und teils widersprüchlich aus. Allein die Tatsache, dass das Katastrophenszenario nicht Wirklichkeit geworden ist, reicht nicht zur Klärung der Fragen aus, die das Waldsterben und die darüber geführte Debatte auch heute noch aufwerfen.
Deutungstendenzen und Erklärungsansätze des Waldsterbens
In der wissenschaftlichen Literatur werden das Waldsterben und die dar-über geführte Debatte sehr unterschiedlich interpret…


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