Was als wissenschaftlich gelten darf

Was als wissenschaftlich gelten darf

Einband:
Paperback
EAN:
9783593500782
Untertitel:
Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne
Genre:
Neuzeit bis 1918
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
566
Erscheinungsdatum:
30.06.2014
ISBN:
978-3-593-50078-2

Campus Historische Studien

Lange Zeit hat man den Kulturen der Vormoderne die Befähigung zu Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Dies geschah zu Unrecht, denn auch in den Jahrhunderten vor 1800 gab es institutionelle Ausprägungen, Lebenssituationen und Trägermilieus, soziale Vernetzungen und Regulierungsmechanismen von Wissenschaft. Öffnungsversuche gegenüber neuen Wissensfeldern, dezidierte Absonderungen von vermeintlich dilettantischem und unorthodoxem Wissen sowie der Umgang mit »geheimem« Wissen sind daher wichtige neue Phänomene, die dieser Band in Beiträgen von Vertretern unterschiedlicher kultur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen eingehend untersucht.

Vorwort
Campus Historische Studien

Autorentext
Martin Mulsow ist Professor für Wissenskulturen der europäischen Neuzeit an der Universität Erfurt und Direktor des Forschungszentrums für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Gotha. Frank Rexroth ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen.

Klappentext
Lange Zeit hat man den Kulturen der Vormoderne die Befähigung zu Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Dies geschah zu Unrecht, denn auch in den Jahrhunderten vor 1800 gab es institutionelle Ausprägungen, Lebenssituationen und Trägermilieus, soziale Vernetzungen und Regulierungsmechanismen von Wissenschaft. Öffnungsversuche gegenüber neuen Wissensfeldern, dezidierte Absonderungen von vermeintlich dilettantischem und unorthodoxem Wissen sowie der Umgang mit »geheimem« Wissen sind daher wichtige neue Phänomene, die dieser Band in Beiträgen von Vertretern unterschiedlicher kultur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen eingehend untersucht.

Leseprobe
Vorwort Zu untersuchen, mit welchen Praktiken vormoderne Gelehrtenmilieus die Aufnahme neuen Wissens regulieren (und möglicherweise unterbinden), war bereits das Anliegen einer Sektion auf dem Deutschen Historikertag in Berlin 2010, die wir gemeinsam organisiert hatten. Dass die dort gehaltenen Referate eine solch lebendige Diskussion entfachten, ermunterte uns, eine ganze Tagung dem "boundary work" mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wissenschaft zu widmen. Bei deren Durchführung vom 29. Februar bis zum 2. März 2012 unterstützte uns neben unseren beiden Universitäten auch die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Für den Abendvortrag von Martin Gierl stellte uns das Göttinger Lichtenberg-Kolleg freundlicherweise seine Räumlichkeiten zur Verfügung. Unser Dank gilt neben diesen Institutionen vor allem Dr. Katharina Ulrike Mersch, die mit großer Präzision und gewohnter Professionalität die redaktionelle Betreuung der Manuskripte besorgte. Dr. Matthias Heiduk übernahm die Organisation der Historikertagssektion und der Göttinger Tagung, Lisa Schneider wirkte mit bei der Erstellung der Druckfahnen. Unser Dank gilt auch Herrn Jürgen Hotz vom Campus-Verlag, der die Drucklegung engagiert förderte. Erfurt und Göttingen, am 11. März 2014 Die Herausgeber Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Einige einleitende Bemerkungen Frank Rexroth Die Grenzen, von denen im Titel dieses Bandes die Rede ist, sind diejenigen der vormodernen Wissenschaften. Ihre Wächter sind zunächst die institutionellen Mechanismen der organisierten Disziplinen: Die Immatrikulationseide der Hochschulen und die akademischen Grade, die an diesen verliehen werden; die Curricula und die Examina, die der Neuling wie Übergangsrituale abzulegen hat; die Pflichtvorlesungen und die Verbote, bestimmte Texte zu lesen oder zu hören. Doch dies waren keineswegs die einzigen Vorrichtungen zur Regelung der Frage, ob eine bestimmte geistige Praxis als wissenschaftlich gelten konnte, mithin der Frage, welches die erlaubten und welches die inakzeptablen (und vielleicht sogar verbotenen) Wissenschaften waren. Denn das höhere Wissen der Vormoderne war keineswegs auf die stark regulierten, in Ansätzen bürokratisierten Universitäten begrenzt. Entscheidende Innovationen erbrachten Gelehrte bereits in den scholae des 12. Jahrhunderts, an den Höfen der gesamten Vormoderne, an den frühneuzeitlichen Akademien, Spezialschulen und Gelehrtensodalitäten. Und mehr noch: Auch unterhalb der Schwelle jener festen Institutionen der Grenzziehung stabilisierte eine ganze Reihe sozialer Regulative die Vorstellungen von der Angemessenheit intellektueller Praktiken und ihrer Hervorbringungen: die fama und die "Ehre" bzw. das "Ethos" des Gelehrten, das decorum seines Verhaltens, überdies die einigenden Mechanismen der akademischen Stände und der Professionen, die aus den universitären Korporationen der Theologen, Juristen und Mediziner heraus entstanden. Ihnen sind wertvolle Studien gewidmet worden, so dass wir über ihre Eigenlogik und ihre sozialen Funktionen vor allem dort recht gut Bescheid wissen, wo es um die Inklusionsmechanismen und Integrationspraktiken der Wissenschaft geht. Freilich kann man für die Jahrhunderte vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert keine ähnlich klar ausgeprägte Spezifität des wissenschaftlichen gegenüber anderen Formen gelehrten Wissens annehmen. Denn erst in dieser Ära konstituierte sich die Wissenschaft nach dem Paradigma der Forschung neu, so dass Gelehrtheit und forschungsbasiertes wissenschaftliches Wissen auseinandertraten. Unsere eigenen Vorstellungen von dem Wissen, das das Gütesiegel der Wissenschaftlichkeit trägt, sind unvermeidbar von den Verhältnissen der vergangenen 200 Jahre - und vor allem natürlich von unserer eigenen Forschungspraxis - beeinflusst. Wenn wir also von heute über den "big ditch" (Ernest Gellner) der Sattelzeit hinweg auf die Welt des 12. bis 18. Jahrhunderts sehen, sind wir gehalten, die "fundamentale Diskontinuität" in der Evolution der Wissenschaft als einem gesellschaftlichen Funktionssystem, die für den Beginn der Moderne charakteristisch ist, zu berücksichtigen. Die Alternative wäre, diese Dissonanz im Sinne eines produktiven Anachronismus zur Erkenntnisgewinnung zu nutzen: Welche Fragen an die Vormoderne legen die Verhältnisse der Moderne nahe? Hierzu im Folgenden einige einleitende Überlegungen. Wissenschaftsgeschichte wird lange schon nicht mehr als das Gedächtnis akademischer Disziplinen verstanden, als Speicherort für das, was auf früheren Stufen des wissenschaftlichen Fortschrittskontinuums einmal als wahr und richtig galt. Auch sind die starren Positionen eines externalistischen Verständnisses von wissenschaftlicher Erkenntnis (nach der vor allem sozioökonomische und politische Rahmenbedingungen als Motor der Erkenntnis angesehen worden sind) und einer internalistischen Position (nach der nur Wissenschaft wissenschaftliche Erkenntnis aus sich hervorbringt) aufgegeben worden. In den Fokus sind bei der Frage nach der Rolle außerwissenschaftlicher Faktoren für die Wahl von Gegenständen, Methoden und Theorien sowie die Gewinnung von Ergebnissen keineswegs nur die soziokulturellen Einbettungen oder die evidenten politischen und ökonomischen Einflussnahmen gerückt, sondern auch das implizite Wissen der Wissenschaftler sowie die kleinen Logiken der Alltagswelt, die lebensweltlich verankerten Vorannahmen zum Beispiel von den Grenzen des Denkbaren oder die Konkurrenz um die begrenzten Ressourcen, die für die Forschung zur Verfügung stehen. Auch im Inneren der Wissenschaften und ihren Trägermilieus spielten soziokulturelle und damit außerwissenschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle. In ihnen wirkten, bewusst oder unbewusst, Vorannahmen davon, was als wissenschaftlich gelten darf und was nicht. Die tätige Praxis der Gelehrten und der Forscher zu studieren, meint daher auch, sich zu fragen, auf welchen Wegen sich die Wissenschaft ihr Anderes selbst schafft und ihre Identität in der Kommunikation mit diesem angenommenen Gegenüber schärft. Wie verhält es sich dabei mit den Techniken der Exklusion, der Abschließung und der S…


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