Was ist Vertrauen?

Was ist Vertrauen?

Einband:
Paperback
EAN:
9783593500621
Untertitel:
Ein interdisziplinäres Gespräch
Genre:
Geschichte
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
154
Erscheinungsdatum:
31.01.2014
ISBN:
978-3-593-50062-1

Eigene und Fremde Welten

Vertrauen ist ein ebenso alter wie alltäglicher Begriff. Vertrauen sei gut, Kontrolle jedoch besser, verkündeten die bolschewistischen Revolutionäre. In der aktuellen Schuldenkrise ist davon die Rede, dass man Banken und Staaten nicht mehr vertrauen könne und Vertrauen zurückgewonnen werden müsse. Was aber ist Vertrauen? Wie lässt es sich theoretisch erklären und empirisch erforschen? Historiker, Politikwissenschaftler und Juristen erörtern diese Fragen aus interdisziplinärer Perpektive. Sie zeigen in ihren Beiträgen, dass Vertrauen das Fundament sozialer Beziehungen ist, weil es Menschen Sicherheit gibt und Gesellschaften stabilisiert.

Vorwort
Eigene und Fremde Welten

Autorentext
Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der HU Berlin.

Klappentext
Vertrauen ist ein ebenso alter wie alltäglicher Begriff. Vertrauen sei gut, Kontrolle jedoch besser, verkündeten die bolschewistischen Revolutionäre. In der aktuellen Schuldenkrise ist viel von Vertrauen in Banken und Staaten die Rede, das allmählich verloren gehe. Was aber ist Vertrauen? Wie lässt es sich theoretisch beschreiben und empirisch erforschen? Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachbereichen wie Geschichte, Politik und Psychiatrie erörtern diese Frage aus interdisziplinärer Perspektive. Das gezeichnete Bild verdeutlicht, dass Vertrauen grundlegend für soziale Beziehungen ist, indem es Menschen Sicherheit gibt und Gesellschaften stabilisiert.

Leseprobe
Erwartungssicherheit und Vertrauen: Warum manche Ordnungen stabil sind, und andere nicht Jörg Baberowski Als nach dem Ende der Sowjetunion Reporter aus Deutschland die Kohlegruben in Donezk besuchten, wollten sie von den Arbeitern wissen, wie sie über die Meinungsfreiheit dächten, die Michail Gorbatschows Reformen ihnen beschert hatten. Natürlich erwarteten die Männer und Frauen aus dem Westen, dass die Arbeiter ihnen bestätigten, was sie für selbstverständlich hielten: dass die Macht des freien Wortes über die Finsternis der Diktatur gesiegt hatte. Zwar war die alte Ordnung zerfallen, und ihre Rituale wirkten nun seltsam fremd. Aber die Arbeiter empfanden das Ende der Sowjetunion als tiefe Verunsicherung. Die Inflation hatte die Währung entwertet, in den Geschäften gab es nichts zu kaufen, und von der Arbeit in den Kohlegruben und Stahlwerken konnten sie nicht mehr leben. Auf den Straßen regierte das Faustrecht und in der Politik übernahm die Mafia, wofür einst die Kommunistische Partei zuständig gewesen war. Er jedenfalls brauche seinen Mund nur zum Essen, antwortete ein Arbeiter auf die Frage, was ihm die Meinungsfreiheit gegeben habe. Wenige Jahre nach dem Ende der Sowjetunion war der Glaube an die Beherrschbarkeit der Welt erschüttert. Niemand mochte den Versicherungen der politischen Führung noch glauben, die von freier Marktwirtschaft und freien Wahlen sprach, aber nur den Mangel und das Chaos verwaltete. Das Vertrauen darauf, auch am nächsten Tag noch Arbeit und Brot, Sicherheit und Ordnung zu haben, war zerstört. Als die alte Ordnung zerfiel, hofften auch die Arbeiter in den Kohlegruben von Donezk, dass alles besser werden würde. Die Enttäuschung aber tauchte das Leben in der Diktatur in helles Licht. »Wir müssen alles auf neue Weise tun«, sagte eine Arbeiterin, die vom amerikanischen Historiker Lewis Siegelbaum im Jahr 1992 befragt wurde. »Wir sind jetzt wie blinde Welpen.« Was im Westen für eine Errungenschaft gehalten wurde, empfanden die Arbeiter aus Donezk als Verhöhnung und Demütigung. Die Diktatur hatte über die Demokratie, das Verlangen nach Ordnungssicherheit über die Freiheit gesiegt. 1. Stabilität und Erwartungssicherheit Nur vor dem Hintergrund überwundener Unsicherheit wird das Leben in seiner Stabilität wahrnehmbar und erfahrbar. In den Zeiträumen des Übergangs scheidet sich Altes von Neuem, und es ist zu erwarten, dass Menschen, die eine Krise hinter sich gelassen haben, sich noch an sie erinnern und über die Stabilisierung ihres Lebens anders sprechen als all jene Menschen, für die das Leben in stabilen Verhältnissen eine Selbstverständlichkeit ist. Die einen werden die Stabilisierung sozialer Verhältnisse zum Gegenstand ihrer Selbstvergewisserung machen, die anderen werden, was für sie eine Selbstverständlichkeit ist, nicht als Herausforderung begreifen, auf die sie eine Antwort geben müssen. Veränderungen operieren mit schon Vorhandenem. Alles Neue muss sich zum Alten in Beziehung setzen, und deshalb kann der Wandel nicht von seiner Deutung getrennt werden. Es kann keine Stabilisierung geben, die nicht auch in den Köpfen und Herzen von Menschen als Stabilisierung wahrgenommen wird. Wenngleich Menschen nur selten eine Verfügungsgewalt über das Geschehen besitzen, das sie mitreißt und an einen Ort stellt, haben sie dennoch die Entscheidung darüber in der Hand, wie sich ihr Leben verändert. Wie sich der Wandel vollzieht, hängt davon ab, ob man ihn auffängt, steuert und für eigene Zwecke nutzbar macht, ob man Veränderungen aushält, weil man den Institutionen und Regelsystemen vertraut, die eine Gesellschaft zusammenhalten, oder ob man an Herausforderungen zerbricht, weil es keine sozialen Mechanismen gibt, die es Menschen ermöglichen, Veränderungen auszuhalten oder als Lebensgewinn zu begreifen. Wer Teil einer Misstrauensgesellschaft ist, Krieg und Zerstörung erlebt hat, wird Veranderungen anders bewältigen als jemand, der in einer sozial abgesicherten und verregelten Umwelt lebt. Der eine wird Wandel möglicherweise als nicht kalkulierbare Bedrohung verstehen, der andere als Chance begreifen, weil seine alltäglichen Lebensrisiken durch Regelvertrauen kompensiert werden können. Auf den ersten Blick scheinen Wandel und Stabilisierung einander auszuschließen, denn was dem Wandel unterworfen ist, ist in Bewegung. Aber aus Bewegung und Veranderung kann Stabilität erwachsen, entweder, weil Menschen in modernen, differenzierten und arbeitsteiligen Gesellschaften erwarten, dass sich stets alles ändert, oder weil vormoderne, nicht differenzierte Misstrauensgesellschaften ihre Stabilität dadurch gewinnen, dass sie den Wandel durch Bewahren des Bewahrten bewältigen. In beidem ist der Wandel auf eine Weise im Spiel, dass er sich mit der Stabilisierung von Lebensverhaltnissen in Einklang bringen lässt. Im Licht des Wandels zeigt sich, was sich vom Alten im Neuen erhält, dass es keine Stabilisierung geben kann, die nicht zugleich Praktiken enthielte, die Menschen gegen Krisen immunisieren: durch Sozialisation erworbene Fähigkeiten, das Leben zu bewältigen, Erinnerungen, die aus dem kulturellen Wissen längst vergangener Zeiten schöpfen, Rituale und Symbole, die Gemeinschaft stiften und Vertrautheit schaffen. Es gibt keine Erfahrung ohne Tradition und keinen Wandel ohne Widerstand, gegen den er sich durchsetzen muss. Allein vom sozialen und kulturellen Ort hängt es ab, auf welche Weise sich Ordnungen stabilisieren, wie haltbar und von welcher Dauer sie sind. Denn jeder Lebensbereich hat einen eigenen Veränderungsrhythmus, der ihn von anderen unterscheidet. Was immer auch ins Gleichgewicht gebracht wird: es gibt keine Stabilität, die nicht aus der Dialektik von Wandel und Tradition lebt. Situationen der Stabilisierung sind Momente der Entschleunigung, der Veränderung des Lebensrhythmus, weil Menschen, die Institutionen und Regeln vertrauen und sich der Gewohnheit hingeben, Zeit sparen. Denn der Aufwand, den sie betreiben müssen, um Informationen zu beschaffen und Risiken vorzubeugen, wird sich in Grenzen halten, wenn sie darauf vertrauen können, dass die Veränderung der Verhältnisse ihre Lebenswelt nicht erschüttern wird. Warum und wodurch sind Ordnungen stabil? Eine mögliche Antwort könnte lauten: wenn Menschen Erwartungssicherheit haben und sich durch wiederkehrende soziale Praktiken daran gewöhnen, für normal zu halten, was ihnen täglich widerfährt. Gegen Ge…


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