Unternehmer und NS-Verbrechen

Unternehmer und NS-Verbrechen

Einband:
Paperback
EAN:
9783593399799
Untertitel:
Wirtschaftseliten im »Dritten Reich« und in der Bundesrepublik Deutschland
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Herausgeber:
Campus
Anzahl Seiten:
413
Erscheinungsdatum:
30.11.2014
ISBN:
978-3-593-39979-9

Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts

Die Verbrechen, an denen Unternehmer im »Dritten Reich« beteiligt waren, reichen von heiklen Rüstungsgeschäften und Transaktionen zur wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete über die skrupellose Ausnutzung von Zwangsarbeit bis hin zur Verfolgung, Ausplünderung und Ermordung der europäischen Juden. Wie aber gingen Unternehmer, die sich bereitwillig auch auf die rassistisch motivierten Ziele der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik eingelassen hatten, nach 1945 mit ihrem »Erfolg« im »Dritten Reich« um? Verdrängten sie ihr hohes Maß an Kollaboration und Anpassung oder arbeiteten sie es bewusst auf? Welche Verhaltensweisen und welche Rechtfertigungsmuster lassen sich hierbei erkennen? Wie erlebten jüdische Unternehmer ihre Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben und die Judenverfolgung? Welche Erfahrungen machten sie bei der »Wiedergutmachung« nach 1945?

Autorentext
Jörg Osterloh, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main. Harald Wixforth, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte an der Universität Bochum.

Leseprobe
Einleitung Nach Ansicht prominenter Forscher bedeutete das NS-Regime den "totalen moralischen Bankrott einer hochmodernen Industriegesellschaft im Herzen Europas". Über die Gründe für diese Entwicklung wird bis heute intensiv diskutiert: Traf sie auf alle Teile der deutschen Gesellschaft zu? Welche sozialen Gruppen und Schichten waren besonders von der moralischen Verwüstung betroffen? Und welches waren die Mechanismen, die diesen Prozess verursacht hatten? Bei der Beantwortung dieser Fragen stand in den letzten Jahren häufig die wirtschaftsbürgerliche Elite im Zentrum. Ausgelöst durch Sammelklagen gegen deutsche Konzerne in den USA und befördert durch eine lange und kontroverse öffentliche Debatte über Schuld und Verantwortung der Wirtschaft im "Dritten Reich", sahen sich viele Unternehmen ab Mitte der 1990er Jahre gezwungen, sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen. Die Zeit des Beschweigens und Verdrängens schien beendet. Bohrenden Fragen konnten deutsche Unternehmen nun ebenso wenig mehr ausweichen wie den durch neue Quellenfunde in mittel- und osteuropäischen Archiven ausgelösten Diskussionen über die Rolle von Unternehmern in der NS-Zeit. Zahlreiche historiographische Untersuchungen entstanden, oftmals von den Firmen selbst initiiert. Ihre Ergebnisse sind oft erschreckend: Viele Studien zu bekannten Unternehmen und Unternehmerfamilien kommen zu dem Schluss, dass eine hohe Anpassungsbereitschaft, ein ungezügeltes Profitstreben unter den neuen, politisch repressiven Bedingungen und der Verfall eines zuvor über Jahrzehnte tradierten Normen- und Wertekodexes dominierten. Viele Unternehmer waren sehr schnell bereit, um ihres Geschäfts willen enge Allianzen mit dem Herrschaftsapparat einzugehen, wobei sie sich schrittweise in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickten, sie teilweise sogar selbst forcierten. Was waren die Ursachen für ein solches Verhalten? Einige Forscher verweisen zurecht auf die wenig spektakulären, aber auch während des NS-Regimes lange Zeit gültigen Mechanismen der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung: Selbst unter den Bedingungen einer zunehmend durch staatliche Institutionen regulierten Wirtschaft musste sich der jeweilige Unternehmer bemühen, mit der richtigen Strategie im operativen Geschäft seines Betriebs Gewinne zu erzielen, um dessen Fortbestehen zu sichern und auf den Märkten erfolgreich zu sein. Die neuen wirtschaftspolitischen Bedingungen engten die Spielräume für sein unternehmerisches Handeln ein, sie schufen aber auch neue Gestaltungsmöglichkeiten, die konsequent zu nutzen waren. Nach dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter werden nur die Unternehmer ihren Aufgaben gerecht, die bereit sind, möglichst rasch neue wirtschaftliche und politische Bedingungen in ihre Strategiebildung zu implementieren und dadurch einen unternehmerischen Erfolg für ihre Betriebe zu generieren. Einige Autoren vertreten dagegen die These, dass, weil viele Unternehmer sich unter politisch wie wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen auf ihr Geschäft konzentrierten, die Reflexion über das Wesen des NS-Staats und seine Ziele zweitrangig blieb - oder gar nicht erst stattfand. Traditionelle rechtliche Normen seien daher im deutschen Unternehmertum während des "Dritten Reichs" vielfach ebenso auf der Strecke geblieben wie traditionelle ethische Werte. Das NS-Regime etablierte einen neuen Moralkodex für die "Volksgemeinschaft". Dieser eröffnete Unternehmern zugleich Handlungsspielräume, die lange Zeit als unmoralisch und mit dem Wertesystem eines "ehrbaren Kaufmannes" unvereinbar galten, sich jetzt aber als Garanten für unternehmerischen Erfolg entpuppten. Idealtypisch lässt sich dies an prominenten Aufsteigern im deutschen Unternehmertum während des NS-Regimes ablesen, etwa an den Großindustriellen Friedrich Flick und Günther Quandt. Ist ein solches Urteil zu hart, wenn man in Rechnung stellt, dass auch Unternehmer Teil von Hitlers "Volksgemeinschaft" waren? Der NS-Staat lud zu dem geschilderten Verhalten nicht nur ein, sondern forderte die Anpassung an sein moralisches Wertesystem gleichsam als Grundlage für seine eigene Existenz von allen Teilen der Gesellschaft ein. Die Unternehmer hatten aber bereits während der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1932 selbst zum Verfall von Spielregeln in Wirtschaft und Politik beigetragen. Auch deswegen waren viele von ihnen bereit, sich alternativen Gesellschaftsmodellen mit einem anderen Werte- und Normensystem zuzuwenden. Das kann jedoch keine Entschuldigung für eine Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen oder auch nur für ihre Duldung sein. Im Gegenteil: Die neuere Forschung hat deutlich gemacht, dass für die Unternehmer im NS-Staat Handlungsspielräume existierten. Die Befunde etwa zum Inhaber eines der größten optischen Werke in Deutschland, Ernst Leitz, zum kaufmännischen Leiter der Karpathen-Öl AG und späteren Generalbevollmächtigten des Krupp-Konzerns Berthold Beitz, aber auch zum Vorstandschef der Oberhausener Gutehoffnungshütte Paul Reusch zeigen, dass es keinen uniformen Handlungsdruck auf Unternehmer und ihre Anpassungsbereitschaft gegenüber dem Regime gab. Wer wollte, konnte seine - wenn auch oft geringen - Handlungsspielräume verteidigen und damit seine traditionellen moralischen Standards wahren. Allerdings: Expliziten Widerstand gegen Hitler und seine Herrschaftsmethoden findet man im deutschen Unternehmertum äußerst selten bis gar nicht. Zwei Gründe waren wohl dafür verantwortlich. Zum einen wurde offensichtlich, dass eine dezidierte Opposition schnell gravierende Nachteile für das operative Geschäft der eigenen Firma zur Folge hatte, zum anderen lockte das Regime mit Möglichkeiten, die eine geschäftliche Expansion und damit auch eine Gewinnsteigerung versprachen: dem Ausbau der Rüstungswirtschaft, der Expansion in die besetzten Gebiete, der Übernahme von Betrieben in jüdischem Besitz durch die "Arisierung" wie auch der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Gerade die Aufsteiger im Unternehmertum des "Dritten Reichs" wie Flick, Quandt oder der Flugzeugbauer Ernst Heinkel verstanden es, diese Möglichkeiten ohne Hemmungen profitabel zu nutzen. Und das Management der IG Farben forcierte den Bau des IG-Werks Auschwitz-Monowitz, um dort KZ-Häftlinge als günstige und rechtlose Arbeitskräfte ausbeuten zu können. Ein rasanter Aufstieg im Unternehmertum, die schnelle geschäftliche Expansion und die Steigerung der Gewinne waren an ein hohes Maß an Kooperation und Kollaboration mit dem Regime geknüpft. Dies wurde immer wichtiger, je länger die NS-Herrschaft dauerte. Die Zahl der politischen Organisationen, wirtschaftlichen Stäbe und So…


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