Gouvernementalität und Geschlecht

Gouvernementalität und Geschlecht

Einband:
Paperback
EAN:
9783593399683
Untertitel:
Politische Theorie im Anschluss an Michel Foucault
Genre:
Politische Ideengeschichte & Theorien
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 10.2013
Anzahl Seiten:
231
Erscheinungsdatum:
31.05.2015
ISBN:
978-3-593-39968-3

Politik der Geschlechterverhältnisse

Welche Erkenntnisse bietet Michel Foucaults Ansatz der Gouvernementalität für eine politische Theorie, die Geschlecht als zentrale Kategorie setzt? In diesem Band werden Grundbegriffe aus Foucaults Spätwerk aus feministischer Sicht beleuchtet, z.B. Gouvernementalität, Macht, Staat, Subjekt, Sicherheit, Wissen und Kritik. Diese Re-Lektüre möchte zum einen Foucaults Ansatz geschlechtertheoretisch weiterentwickeln und vertiefen, zum anderen Anstöße für eine politische Theoretisierung von Geschlecht geben.

»Der Band arbeitet überzeugend geschlechtertheoretische Anschlussstellen in Foucaults Spätwerk und deren Potentiale für feministische Theorie heraus. Dabei werden wichtige theoretische Leerstellen aufgedeckt und bearbeitet sowie spannende Diskussionsanstöße geliefert.« Inga Nüthen, Femina Politica

Vorwort
Politik der Geschlechterverhältnisse

Autorentext
Brigitte Bargetz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich »Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur« am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Gundula Ludwig ist Professorin für Sozialwissenschaftliche Theorien der Geschlechterverhältnisse und Leiterin des Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte sind queer-feministische Staats- und Demokratietheorie, Theorien der Subjektivierung, Körper- und Biopolitik, Gewalt und Geschlecht. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift »Femina Politica« und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung. Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritärer Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Politik, Emotionen und Affekte. Sie war Mitbegründerin des AK »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. ORCID iD: 0000-0003-4857-7696

Leseprobe
Gouvernementalität und Geschlecht: Politische Theorie im Anschluss an
Michel Foucault - eine Einleitung
Brigitte Bargetz/Gundula Ludwig/Birgit Sauer
In den Gouvernementalitätsvorlesungen, die Michel Foucault 1978 und 1979 am Collège de France hält, führt er ein neues Verständnis von Macht als Regieren ein, das über das Lenken der Führungen und Handlungen operiert (SuM: 286). Mit dem Begriff des Regierens bezieht sich Foucault auf die Bedeutung, die dieser im 16. und 17. Jahrhundert hatte, als er Eingang in die politisch-theoretischen Reflexionen fand und räumlich-physikalische Dimensionen - wie etwa "lenken" und "vorantreiben" - ebenso wie materielle - wie "unterhalten" und "ernähren" - und moralische - wie die Fähigkeit, sich selbst und andere zu führen - umfasste (GG I: 181f.). Mit dem Begriff des Regierens als neuer Technik der Macht, die "im Grunde viel mehr ist als die Souveränität, viel mehr als die Herrschaft, viel mehr als das imperium, das heißt das moderne politische Problem" (GG I: 116), vollzieht Foucault eine entscheidende und folgenreiche machttheoretische Wendung, die es ihm erlaubt, neue Gegenstände wie die Bevölkerung und den Staat in seine Analytik der Macht zu integrieren, sowie Thematiken, die Foucault bereits vor 1978 beschäftigt haben, wie die Konstitution des modernen westlichen Subjekts, zu präzisieren.
Mit der Einführung des Begriffs des Regierens in den Gouvernementalitätsvorlesungen trägt Foucault darüber hinaus weiter zu dem sein Gesamtwerk durchziehenden Vorhaben bei, Macht jenseits juridischer Vorstellungen zu denken. Wiederholt kritisiert er, dass Macht nur unzureichend erfasst werden kann, solange "der Kopf des Königs noch [] nicht gerollt" ist (SW I: 90), solange also Macht auf Repression und Unterwerfung reduziert wird. Dieses Bestreben einer Erweiterung des Machtverständnisses bezieht er mit den machttheoretischen Erneuerungen in den Vorlesungsreihen von 1978 und 1979 auf den modernen westlichen Staat und auf das Regieren der Bevölkerung. Trotz einschneidender machttheoretischer Verschiebungen stellen die Gouvernementalitätsvorlesungen daher eine konsequente Ausdehnung seiner genealogischen Fragestellungen und keinen theoretischen Bruch mit seinen vorangegangenen Arbeiten dar. Auch in den Gouvernementalitätsvorlesungen fokussiert Foucault die "Erscheinungsbedingungen einer Singularität in vielfältigen bestimmenden Elementen" (WK: 37) und nimmt so im Gegensatz zu klassisch institutionalistischen Ansätzen in der politischen Theorie weder die Existenz des Staates noch der Bevölkerung als gegebene Ausgangspunkte. Vielmehr interessiert er sich für die vorgelagerten Rationalitäten und Machttechnologien, die die Existenz einer Institution, einer Funktion und eines Objekts erst ermöglichen (GG I: 177; s.a. DvM: 33 und StW: 20f.). So wie er in Wahnsinn und Gesellschaft (WG) die Existenz des Wahnsinns, in Überwachen und Strafen (ÜS) die Existenz der Kriminalität und in Der Wille zum Wissen (SW I) die Existenz der Sexualität nicht als gegeben voraussetzt, sondern die vielfältigen und verschlungenen Machttechniken beschreibt, die Wahnsinn, Kriminalität und Sexualität hervorbringen - und zwar gerade durch die Anreizung von Diskursen und Praktiken -, interessiert er sich in den Gouvernementalitätsvorlesungen für das Bedingungsgefüge, das den modernen westlichen Staat und die Bevölkerung hervorbringt. Sein Ziel ist es somit, den Staat und die Bevölkerung "vom Standpunkt der Konstituierung der Felder, Bereiche und Wissensgegenstände" (GG I: 177) zu verstehen. Für dieses Bedingungsgefüge führt Foucault den Begriff der Gouvernementalität ein, um damit die politische Rationalität des Regierens und mithin "die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Element die Sicherheitsdispositive hat" (ebd.: 162) zu beschreiben.
Im Folgenden soll zunächst nachgezeichnet werden, wie Foucault zu diesen neuen machttheoretischen Einsichten gelangt und welche neuen Perspektiven er damit für die Analyse moderner westlicher Gesellschaften und insbesondere der darin wirkenden Machtverhältnisse bereitstellt. Trotz Foucaults zentraler Einsichten für ein erweitertes machttheoretisches Verständnis bleiben seine Analysen allerdings auch beschränkt, da er ein Verständnis von Macht entwickelt, das historisch spezifische Grenzziehungen und Wirkweisen von Macht unberücksichtigt lässt. Um deutlich zu machen, wie Geschlecht in modernen westlichen Nationalstaaten die gesellschaftliche Ordnung in fundamentaler und spezifischer Weise konstituiert und dass folglich auch politische Theorie diese Vergeschlechtlichung von Gesellschaft, Staat, Macht, Bevölkerung und Subjekten erfassen muss, sollen daran anschließend zentrale Einsichten feministischer politischer Theorie dargelegt werden. Davon ausgehend führen wir zunächst aus einer geschlechterkritischen Perspektive aus, an welchen Punkten Foucaults gouvernementalitätstheoretische Analysen geschlechtertheoretisch erweitert werden müssen. Daran anschließend legen wir dar, wie feministische Ansätze durch gouvernementalitätstheoretische Einsichten zugleich instruktiv ergänzt werden können. Auf diese Weise sollen geschlechtertheoretische Anschlussstellen in Foucaults Arbeiten für die feministische politische Theorie benannt werden, die, wie wir im abschließenden Teil skizzieren, in den einzelnen Beiträgen vertieft werden.
Geschichte der Gouvernementalität I: Sicherheit, Staat, Bevölkerung
Foucault eröffnet die Vorlesungsreihe 1978 mit einer entscheidenden Modifikation seiner vorangegangenen Analytik der Macht, in…


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