Die Ökonomisierung der Pietät

Die Ökonomisierung der Pietät

Einband:
Paperback
EAN:
9783593398785
Untertitel:
Der Wandel des Bestattungsmarkts in Deutschland
Genre:
Arbeits-, Wirtschafts- & Industriesoziologie
Autor:
Dominic Akyel
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 05.2013
Anzahl Seiten:
239
Erscheinungsdatum:
31.05.2013
ISBN:
978-3-593-39878-5

Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln

Das wirtschaftliche Handeln auf dem Bestattungsmarkt war lange Zeit stark durch soziale Normen geprägt, die eine Ökonomisierung verhinderten. Seit einigen Jahren lässt sich jedoch in diesem Bereich eine stärkere Ausrichtung des Handelns an Effizienz- und Rentabilitätskriterien beobachten. Wie konnte sich die Bestattungsbranche von einem hoch regulierten Wirtschaftszweig zu einem dynamischen und internationalen Markt entwickeln? Dominic Akyel beschreibt diese Veränderung als einen Prozess der Säkularisierung und Enttraditionalisierung gesellschaftlichen Handelns. Er zeigt, dass komplexe Ökonomisierungsdynamiken eng mit dem Wandel moralischer Vorstellungen verknüpft sind.

Vorwort
Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln

Autorentext
Dominic Akyel, Dr. rer. pol., ist Geschäftsführender Direktor des Exzellenzzentrums für Soziales und Ökonomisches Verhalten (C-SEB) an der Universität zu Köln.

Leseprobe
Kapitel 1 Einleitung: Ökonomisierung und Moral Das ökonomische Handeln wird in modernen Gesellschaften sowohl durch verbindliche Rechtsnormen als auch durch kollektive Wertvorstellungen und informelle Verhaltensvorschriften strukturiert. Hersteller müssen nicht nur Arbeitsstandards und Umweltschutzauflagen einhalten, sondern ebenso Konventionen und Anstandsregeln beachten. Der Konsum steht ebenfalls in enger Wechselwirkung zu sozialen und kulturellen Wertvorstellungen: Welche Produkte und Dienstleistungen erworben und konsumiert werden, hängt unter anderem auch davon ab, was innerhalb des Sozialverbandes als angemessen und wünschenswert erachtet wird. Die begrenzende Wirkung kollektiver (Ideal-)Vorstellungen auf den ökonomischen Handlungsspielraum von Akteuren zeigt sich insbesondere bei moralisch problematischen Produkten und Dienstleistungen. Beim Markttausch von Gütern, die als schützenswert, anrüchig oder gefährlich eingestuft werden, geraten ökonomische Anforderungen und moralische Vorstellungen regelmäßig in Konflikt. Daher unterliegt der Handel mit derartigen Produkten häufig speziellen Einschränkungen. Wirtschaftsakteure, die etwa mit Lebensmitteln spekulieren, erotische Dienstleistungen anbieten oder Waffen produzieren, müssen deshalb besondere Strategien anwenden, um ihr Handeln zu legitimieren und ihre ökonomischen Ziele verfolgen zu können. In modernen kapitalistischen Ökonomien stehen wirtschaftliche Anforderungen und moralische Vorstellungen folglich in einem Spannungsverhältnis zueinander. Aufgrund dieser Verbindung wirkt sich der Wandel sozialer Werte auch auf das ökonomische Handeln aus. Wirtschaftliche Veränderungen, etwa die Entstehung neuer Märkte, sind daher oft durch moralischen Wandel bedingt. In Deutschland veränderte sich das Konsumverhalten seit der Nachkriegszeit insbesondere infolge von Säkularisierungs-, Individualisierungs und Enttraditionalisierungsprozessen. Die lange Zeit vorherrschende Gebrauchsnutzenorientierung verlor zugunsten einer stärkeren Genuss- und Erlebnisorientierung zunehmend an Bedeutung. Dadurch wandelten sich allmählich auch die Konsumgewohnheiten und das Kaufverhalten (Stihler 1998). Wegen dieser engen Verknüpfung von Ökonomie und Moral muss bei der Analyse wirtschaftlicher Veränderungen der mögliche Einfluss gewandelter Wertvorstellungen als Erklärungsfaktor stets einbezogen werden. Als zentrale Entwicklungstendenz des wirtschaftlichen Wandels ist in vielen industrialisierten Ländern seit den 1970er-Jahren eine Zunahme effizienz- und rentabilitätsorientierten Handelns innerhalb und außerhalb der Ökonomie zu verzeichnen. Dieser zumeist als "Ökonomisierung" bezeichnete Prozess der Ausweitung von Wettbewerbsbeziehungen manifestiert sich mittlerweile in fast allen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen sowohl auf politischer als auch auf organisationaler und individueller Ebene. Die soziologische Forschung hat sich dieser Thematik verstärkt seit den 1990er-Jahren in Analysen einzelner Branchen und Märkte angenommen. Untersucht wurden sowohl die Ursachen als auch die Verlaufsformen und Folgen dieses Entwicklungstrends. In der Soziologie werden Ökonomisierungsdynamiken üblicherweise aus dem Zusammenspiel von ideologischen und wirtschaftlichen Veränderungen erklärt. Wie sich im Verlauf dieser Arbeit herausstellen wird, gehen die existierenden Forschungsarbeiten von der Annahme aus, dass die jüngste Ausweitung von Marktbeziehungen durch gewandelte wirtschaftliche Kontextbedingungen sowie Modifikationen der politischen und unternehmerischen Leitbilder ausgelöst wurde. Obwohl die beiden genannten Ursachen zweifellos zur Herausbildung des zeitgenössischen Ökonomisierungstrends beigetragen haben, weist dieses Erklärungsmodell zwei bedeutende Defizite auf. Zum einen setzt es ausschließlich bei den Unternehmen und der politischen Regulierung an, während die Seite der Konsumenten unbeachtet bleibt. Folglich kann dieses Theoriemodell die Ursachen und Wirkungen veränderter Kauf- und Konsummuster nicht adäquat erfassen. Zum anderen wird der Einfluss von moralischem und normativem Wandel nicht ausreichend berücksichtigt. So kommen insbesondere die möglichen Auswirkungen von veränderten Moralvorstellungen auf Ökonomisierungsprozesse nicht in den Blick. Da diese Faktoren jedoch ebenso zum Wandel der Ökonomie beitragen, wird die Fokussierung der Forschung auf politische und unternehmerische Veränderungen der Komplexität des Phänomens "Ökonomisierung" nicht gerecht. Die vorliegende Studie möchte diese Defizite der zeitgenössischen soziologischen Ökonomisierungstheorie beheben. Ich vertrete die These, dass der derzeitige Ökonomisierungstrend nur dann vollständig verstanden werden kann, wenn sowohl Wertewandel als auch Veränderungen des Kauf- und Konsumverhaltens als Erklärungsfaktoren einbezogen werden. In meiner Studie widme ich mich daher vor allem dem Einfluss soziokulturellen und moralischen Wandels auf Ökonomisierungsdynamiken. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern gesellschaftliche Modernisierungsprozesse zur stärkeren Akzeptanz effizienz- und profitorientierten Handelns und damit zur Ausweitung von Marktbeziehungen beitragen können. Die Überprüfung der von mir vorgebrachten These erfordert die Analyse eines Wirtschaftsbereichs, dessen Ökonomisierung sich in besonderem Maße auf soziokulturellen und moralischen Wandel zurückführen lässt (vgl. Gläser/ Laudel 2006: 95-97). Hier bietet sich der deutsche Bestattungsmarkt an. Zum einen wird der Gütererwerb in diesem Bereich in hohem Maße durch soziale Erwartungen strukturiert, die auf eine Exklusion offensichtlich effizienz- und rentabilitätsorientierten Handelns abzielen. Zum anderen ließ sich in der Beerdigungsbranche während der letzten Jahrzehnte eine umfassende Ausweitung von Marktbeziehungen beobachten. Fasst man diese beiden Aspekte zusammen, so erscheint es wahrscheinlich, dass bei der Ökonomisierung dieses Marktes auch die Umformung des Spannungsverhältnisses zwischen moralischen Vorstellungen und wirtschaftlichen Anforderungen infolge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse eine Rolle spielte. Der deutsche Bestattungsmarkt eignet sich demnach sehr gut, um die eingangs formulierte These empirisch zu überprüfen. Das Beerdigungsgewerbe ist jedoch nicht nur deshalb ein interessantes Fallbeispiel, weil sich die Limitierungen der zeitgenössischen Ökonomisierungstheorie hier besonders deutlich zeigen. Da es sich beim Bestattungsmarkt um einen Wirtschaftsbereich handelt, in dem effizienz- und rentabilitätsorientiertes Handeln als unangemessen gilt, stellt sich die Frage, wie es trotz dieser moralischen Hemmnisse überhaupt zu einer Ökonomisierung kommen konnte. Ein weiteres empirisches Rätsel ergibt sich, wenn die Veränderungen des Kundenverhaltens im Bereich der Totenfürsorge mit den Kaufentscheidungen in anderen Statusübergangsmärkten verglichen werden. Während die Ausgaben für gebu…


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