Stille Revolutionen

Stille Revolutionen

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783593398518
Untertitel:
Die Neuformierung der Welt seit 1989
Genre:
Geschichts-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 03.2013
Anzahl Seiten:
250
Erscheinungsdatum:
31.03.2013
ISBN:
978-3-593-39851-8

Wohin bewegen sich Europa und die Welt seit 1989?

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989 hat nicht nur im östlichen Europa tief greifende Veränderungen in Gang gesetzt. Ein ganzer Kontinent ist in Bewegung geraten, mit Auswirkungen, die sich auch in Irkutsk, Shanghai oder Chicago spüren lassen. Wie weitreichend dieser Wandel ist, schildern die Autorinnen und Autoren in 21 farbigen Essays. Welche neuen Räume und Identitäten entstehen? Wie ändert sich der Blick der Menschen auf die Geschichte? Und wie rasch entgleiten uns die Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges und der Teilung, die unser Denken und Handeln so lange bestimmt haben? Die Essays ergeben ein Mosaik von Beobachtungen und Reflexionen über eine sich seit 1989 auf faszinierende Weise neu formierende Welt. Mit Beiträgen von Markus Ackeret, Felix Ackermann, Hans Magnus Enzensberger, José Maria Faraldo, Sheila Fitzpatrick, Klaus Gestwa, Julian Hans, Helga Hirsch, Gangolf Hübinger, Gerd Koenen, Katharina Kucher, Ruth Leiserowitz, Claudio Magris, Jan Musekamp, Norman M. Naimark, Jan Plamper, Gábor T. Rittersporn, Dirk Sager, Rosalinde Sartorti, Susanne Schattenberg, Gregor Thum und Sören Urbansky.

"Informativer und kurzweiliger könnte ein insgesamt kritischer Panoramablick auf die globalen Veränderungen nach dem Fall der Mauer gar nicht ausfallen.", Neue Zürcher Zeitung, 12.11.2013 "Lesenswert.", Wiener Zeitung, 23.04.2013

Autorentext
Katharina Kucher lehrt russische und sowjetische Geschichte am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen. Gregor Thum lehrt deutsche und ostmitteleuropäische Geschichte an der University of Pittsburgh. Sören Urbansky lehrt Geschichte Ostasiens an der Universität Freiburg.

Leseprobe
Die Welt formiert sich neu: Eine Einleitung Katharina Kucher, Gregor Thum und Sören Urbansky Das Jahr 1989 steht für den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa und die beginnende Auflösung des Ostblocks. Was in jenem Jahr mit dem Verzicht der ungarischen Kommunisten auf ihre in der Verfassung garantierte Führungsrolle, mit dem Sieg der Solidarno bei den polnischen Parlamentswahlen, der Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich und schließlich dem Fall der Berliner Mauer begann, endete zwei Jahre später mit der Auflösung der Sowjetunion, des Warschauer Pakts und des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Innerhalb von zwei Jahren verschwanden die charakteristischen politischen Strukturen und Institutionen des Ostblocks. Sie hatten nicht nur das östliche Europa für ein halbes Jahrhundert geprägt, sondern waren auch für das übrige Europa und die Welt als Ganzes ein fester Bezugspunkt. Sie repräsentierten die eine der beiden Seiten in einer bipolaren Weltordnung. Bis 1989 waren zwei Generationen im Schatten des Kalten Krieges aufgewachsen. Zwei Generationen hatten sich mit der Teilung Deutschlands, Europas und der Welt abgefunden. Für zwei Generationen war die Berliner Mauer zum Symbol einer wenn auch nicht endgültigen, so doch festen politischen Ordnung geworden, deren Veränderung man sich allenfalls in kleinen, zähen Schritten vorstellen konnte. Ein großer Teil der Weltbevölkerung hatte sich entweder im kommunistischen oder kapitalistischen Lager eingerichtet, oder gehörte zu jener fiktiven Welt der blockfreien Staaten, die ungeachtet ihrer Neutralität keinen Zweifel daran ließen, welcher Seite sie näherstanden. Ost und West waren zu den wesentlichen Bestimmungsmerkmalen von Zugehörigkeit und Identität geworden. Das Leben in einer bipolaren Welt hatte zwei Menschenschläge hervorgebracht, die sich im Kern zwar wenig unterschieden haben mochten, aber sich nach außen hin doch anders gaben. Durch Kleidung, Brille, Haarschnitt, Haltung und Gesten gab man willentlich oder unwillentlich zu erkennen, welcher Welt man angehörte (oder auch angehören wollte). Man sprach anders, trank anders und lachte über andere Witze. Ja, der Humor war vielleicht überhaupt der herausstechende Unterschied, war er doch im Ostblock ein von den Menschen zäh verteidigtes Refugium der Freiheit. Im Westen lachte man vornehmlich über andere, im Osten dagegen über sich selbst, was bekanntlich die höchste Form des Humors ist. Der Witz des Ostblocks war ein zur Vollkommenheit gebrachter Galgenhumor. Wäre der Ostblock mit den Witzen seiner Bürger zum Wettstreit der Systeme angetreten, er hätte ihn spielend gewonnen. Aber dieser Wettstreit war relativ humorlos. Es ging um wirtschaftliche Leistungskraft und die Fähigkeit zur permanenten technologischen Innovation. Es ging um die Aufrechterhaltung einer glaubhaften militärischen Abschreckung, aber auch um ökologische Nachhaltigkeit und die Befriedigung materieller Bedürfnisse. Und nicht zuletzt ging es um das Maß an Freiheit und Selbstbestimmung, das der Staat seinen Bürgern zu gewähren vermochte, ohne das eigene politische System zur Disposition zu stellen. Auf all diesen Feldern gerieten die Staaten des Ostblocks immer mehr ins Hintertreffen, was ihren Bürgern trotz weitgehender Abschottung von der westlichen Welt immer weniger verborgen blieb. Da die Kommunisten ihre Herrschaft mit dem Versprechen angetreten hatten, nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch größeren Wohlstand zu schaffen als im Kapitalismus möglich, geriet der Staatssozialismus sowjetischer Prägung in den Strudel einer Legitimationskrise, aus der er am Ende nicht mehr herausfand. Als sich die gealterten Führer der kommunistischen Parteien von Prag bis Moskau und von Tallinn bis Sofia schließlich weder in der Lage sahen, die Wut der Bürger mit neuen Reformversprechen zu besänftigen, noch bereit waren, dem chinesischen Modell zu folgen und die Rebellionen des Jahres 1989 mit Panzern niederzuwalzen, war die Erosion des Ostblocks nicht mehr aufzuhalten. In den sich überstürzenden Ereignissen der Jahre 1989 bis 1991 brach eine Ordnung zusammen, die das Leben der Menschen zwischen Elbe und Pazifik über Generationen bestimmt hatte. Ein politisches und wirtschaftliches System, aus dem es kein Zurück mehr geben konnte, weil es nach eigenem Selbstverständnis den Fortschritt der Weltgeschichte repräsentierte, wurde innerhalb nur eines einzigen historischen Augenblickes abgewickelt. Es kam nicht zum befürchteten Blutvergießen. Der Zusammenbruch verlief fast überall gewaltlos, weil die alten Eliten bereitwillig den Rückzug antraten oder einfach die Seiten wechselten. Er ging nahtlos über in jenen Transformationsprozess, in dem das, was den Ostblock ausgemacht hatte, durch den Import westlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Institutionen ersetzt wurde getragen von der Hoffnung, dass die rasche Verwestlichung der schnellste und sicherste Weg zur wirtschaftlichen Gesundung und politischen Stabilität sein würde. Jene Verwestlichung des Ostens war die auffälligste Veränderung: Parlamentarisierung, Wahlkampf, Marktwirtschaft. Prada und Gucci, Mercedes und Landrover avancierten zu den Insignien politischer Macht und wirtschaftlichen Erfolgs in Kiew, Moskau, Prag oder Bukarest. Durch das Emporwachsen gläserner Bürotürme, die Revitalisierung restaurierter Altstädte, die Ausbreitung von Cafés, Restaurants und Kneipen, durch die Schaffung verkehrsberuhigter Zonen und die Aufstellung bequemer Parkbänke glichen sich die Städte des Ostens denen des Westens an. Freundlicher Service in Hotels und Restaurants, ein überbordendes Warenangebot, saubere öffentliche Toiletten und müheloses Reisen hielten Einzug im östlichen Europa, aber auch die weniger schönen Charakteristika der westlichen Welt wie der Verkehrsstau zur rush hour, Arbeitslosigkeit als Dauerthema sowie die Ängste der Menschen vor der Kriminalität. Durch die offensichtliche Ausweitung des Westens nach Osten haben die Bezeichnungen »Ost« und »West« ihren Sinn verloren. Sie taugen nicht mehr als Beschreibung einer gegenwärtigen Situation. Wo sie nach wie vor in Gebrauch sind, bezeugen sie nur mehr die Beharrungskräfte einer in Jahrzehnte…


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