Was ist krank? Was ist gesund?

Was ist krank? Was ist gesund?

Einband:
Paperback
EAN:
9783593397863
Untertitel:
Zum Diskurs über Prävention und Gesundheitsförderung
Genre:
Philosophie-Lexika
Autor:
Johannes Kiesel
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 11.2012
Anzahl Seiten:
328
Erscheinungsdatum:
30.11.2012
ISBN:
978-3-593-39786-3

In den aktuellen Debatten über das Gesundheitswesen verwischen die Grenzen zwischen »krank« und »gesund« zusehends. Ist jemand, der die genetische Disposition zu einer Erkrankung besitzt, als krank zu bezeichnen? Und wie lässt sich Gesundheit von Leistungsfähigkeit oder Glück abgrenzen bzw. Krankheit von Behinderung oder Schwäche? Johannes Kiesel entwickelt Begriffe von Krankheit und Gesundheit, die verschiedene Vorstellungen zusammenführen, und unternimmt darauf aufbauend eine Klärung der Begriffe »Prävention« und »Gesundheitsförderung«.

Autorentext
Johannes Kiesel, Dr. phil., ist Mitarbeiter am Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation sowie am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg.

Leseprobe
Im Diskurs zu Prävention und Gesundheitsförderung stellt sich für alle Beteiligten das Problem, wie zugunsten bestimmter Handlungsoptionen argumentiert werden kann. Dabei steht nicht nur im Raum, mit welchen Maßnahmen sich bestimmte Gesundheitsschäden vermeiden lassen - also präventiv wirken - und welche Maßnahmen der Gesundheit förderlich sind (was auch immer darunter zu verstehen ist), sondern auch, welche Ziele in der Prävention und Gesundheitsförderung überhaupt erstrebenswert sind. Zu den Beteiligten an diesem Diskurs sind zuallererst die Betroffenen zu zählen, die für sich selbst Entscheidungen hinsichtlich ihres Gesundheitsverhaltens treffen müssen, also wir alle. Andere bedeutende Gruppen von Beteiligten sind die Entscheider in gesellschaftlichen Institutionen, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen, in der Politik, in Unternehmen oder in Bildungseinrichtungen. Eine Vielzahl von Entscheidungen dieser Institutionen betreffen die Lebensumstände in gesundheitsrelevanter Weise, in vielfacher Weise werden dadurch die Rahmenbedingungen vorgegeben, innerhalb derer der Einzelne seine Entscheidungen treffen muss. Verzichtet der Einzelne auf Begründung seines Gesundheitsverhaltens und handelt danach, wie ihm gerade der Sinn steht, vielleicht danach, was auf einen oberflächlichen Blick plausibel erscheint oder lässt sich von ganz anderen Aspekten als dem der Gesundheit in seinem Handeln leiten, so läuft er Gefahr, hinsichtlich seiner Gesundheit sowohl Chancen als auch Risiken zu übersehen oder zum Spielball der Beeinflussung durch andere zu werden. Denn Institutionen, die sich in der Prävention und der Gesundheitsförderung engagieren, wie etwa Unternehmen (für ihre Mitarbeiter) oder Krankenkassen, verfolgen damit immer auch Eigeninteressen. Gesundheitsförderung ist keine Lebenshilfe im ausschließlichen Interesse des Adressaten von Maßnahmen und Programmen, sondern dient auch dazu, ökonomische Ziele zu verfolgen: Krankenkassen wollen ihre Mitglieder gesund erhalten und so Kosten sparen und zugleich mit ihrem Engagement für ein gutes Image sorgen; Unternehmen sind in erster Linie an leistungsfähigen Mitarbeitern interessiert und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels auch daran, dass gute Mitarbeiter lange in ihrem Beruf bleiben können. Diese Ziele müssen allerdings nicht mit sinnvollen Präventions- oder Gesundheitsförderungszielen aus Sicht des einzelnen Mitarbeiters konfligieren, es kann sehr wohl eine Win-win-Situation angestrebt werden. Die Ziele eines Akteurs zeigen sich zum Teil in der Begründung von Maßnahmen; auf jeden Fall sollte deshalb immer kritisch hinterfragt werden, ob sich eine Maßnahme auch aus medizinischer Sicht begründen lässt. In Prävention und Gesundheitsförderung geht es, grob gesprochen, um die Vermeidung von Krankheiten und die Stärkung der Gesundheit. Für einen gelungenen Diskurs muss allerdings genau festgelegt sein, was unter Prävention und Gesundheitsförderung verstanden werden kann. Und deshalb muss auch geklärt werden, was wir im Alltag unter Krankheit und Gesundheit verstehen können und inwieweit zum Beispiel dieser Sprachgebrauch ein sinnvolles Argumentieren in diesem Bereich verhindert: denn womöglich haben verschiedene Teilnehmer am Diskurs ein ganz unterschiedliches Verständnis von Krankheit und Gesundheit. Für diesen Diskurs müssen die Begriffe aus Medizin und Gesundheitswesen jedoch auch anschlussfähig an den Alltagsgebrauch sein. Werden Begriffe quasi künstlich gebildet und haben sie keinen Anschluss an die Alltagssprache, wird man kaum einen gesellschaftlichen Diskurs damit führen können. Auf ein geeignetes Konzept der relevanten Begriffe aufbauend können dann Handlungsoptionen diskutiert werden. Wie sich zeigen wird, benötigen wir für die Diskussion des Krankheits- und Gesundheitsbegriffs auch Dispositionsbegriffe. Beispiele für Dispositionsbegriffe sind "zerbrechlich" oder "aufblasbar", aber auch "funktionsfähig". Ein gesunder Mensch verfügt über funktionsfähige Organe; Ausfälle bestimmter Funktionen können dazu führen, dass er nicht mehr lebensfähig ist oder zumindest starken Einschränkungen in der Lebensführung unterworfen ist. Für die Erörterung von Dispositionsbegriffen, aber auch für die Diskussion von sinnvollen Handlungsoptionen in Prävention und Gesundheitsförderung ist wiederum gesichertes Wissen von großer Bedeutung, denn sowohl bei der Begriffsbildung als auch bei der Diskussion der Handlungsoptionen wird man sich immer wieder auf medizinisches Wissen berufen müssen. Was aber können wir unter gesichertem Wissen in diesem Zusammenhang verstehen? Welche Formen hat medizinisches Wissen? Wie ist medizinisches Wissen begründet? Wie kann man unbegründete Modetrends, zum Beispiel bei Ernährungsempfehlungen, von verlässlichen Informationen unterscheiden? Können Krankheit, Gesundheit, Prävention und Gesundheitsförderung durch Rückgriff auf medizinisches Wissen festgelegt werden? Um diese Fragen für den Diskurs zu Prävention und Gesundheitsförderung hinreichend zu beantworten, muss ganz allgemein geklärt werden, was Wissen auszeichnet und welche methodologischen Forderungen wir an die Gewinnung verlässlichen Wissens stellen müssen.

Inhalt
Inhalt Einleitung 9 1 Wissen und Erkenntnis 13 1.1 Annäherungen an den Begriff des Wissens 14 1.2 Wissen und Begründung 28 1.3 Formen theoretischer Begründung: Beschreiben 47 1.4 Formen theoretischer Begründung: Erklären 58 1.5 Beschreiben und Erklären in der Wissenschaft 74 1.6 Wissen in der Medizin 80 2 Dispositionen und aktuale Eigenschaften 99 2.1 Die Diskussion zu Dispositionsbegriffen 104 2.1.1 Logizistische Ansätze und Reduktionssätze 104 2.1.2 Hypothetische Bedingungssätze 108 2.1.3 Dispositional versus aktual 112 2.1.4 Der Ansatz von Mellor 115 2.1.5 Der Ansatz von Fara 119 2.2 Vorschlag eines Konzepts zu Dispositionsbegriffen 123 2.2.1 Merkmale und aktuale Eigenschaften 124 2.2.2 Der Begriff der Disposition 128 2.2.3 Dispositionen von Dingen 131 2.2.4 Menschen als Träger von Dispositionen 136 2.2.5 Theoretische Entitäten als Träger von Dispositionen 143 3 Krankheit 147 3.1 Sprechweisen Gesundheit und Krankheit betreffend 149 3.2 Was sollen ein Krankheits- und ein Gesundheitsbegriff leisten? 156 3.3 Die Diskussion über Krankheits- und Gesundheitskonzepte 159 3.3.1 Die "Gesundheitsdefinition" der WHO 161 3.3.2 Der Ansatz von Boorse 163 3.3.3 Der Ansatz von Canguilhem 167 3.3.4 Der Ansatz von Nordenfelt 169 3.3.5 Das Konzept der "Malady" 171 3.3.6 Ein allgemeiner Krankheitsbegriff? 175 3.4 "Krankheit": ein neuer begrifflicher Vorschlag 179 3.4.1 Körperliche Funktionsdefekte 182 3.4.2 Psychische Funktionsdefekte 187 3.4.3 Aktuales oder zukünftiges Leiden des Betroffenen 190 3.4.4 Einschränkende Bedingungen 194 3.4.5 Kontroverse Sichtweisen 202 3.4.6 Das Problem der Ursächlichkeit 208 3.4.7 Die Leistungsfähigkeit unseres Vorschlags 215 4 Gesundheit 221 4.1 Negative Bestimmungen von Gesundheit 222 4.1.1 Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit 222 4.1.2 Gesund und krank als Pole eines Kontinuums 223 4.2 Positive Bestimmungen von Gesundheit 225 4.2.1 Beispiele pos…


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