Die Vielfalt des Regierens

Die Vielfalt des Regierens

Einband:
Paperback
EAN:
9783593397764
Untertitel:
Eine Governance-Konzeption jenseits des Eurozentrismus
Genre:
Vergleichende & internationale Politikwissenschaft
Autor:
Anke Draude
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 11.2012
Anzahl Seiten:
309
Erscheinungsdatum:
30.11.2012
ISBN:
978-3-593-39776-4

Die De- und Re-Konstruktion des Governance-Konzepts ist ein notwendiger Schritt, um die blinden Flecken einer eurozentristischen Perspektive zu überwinden. Anke Draude eröffnet der empirischen Sozialforschung mit ihrer Studie neue Perspektiven auf Politik in nicht-westlichen Räumen und bietet einen theoretisch-konzeptionellen Beitrag zur Anerkennung der soziopolitischen Vielfalt in der Weltgesellschaft.

Autorentext
Anke Draude, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin.

Leseprobe
Die Herausforderungen des frühneuzeitlichen Regierens - pax et iustitia et bonum commune - stellen sich im 21. Jahrhundert auf der Ebene der Weltgesellschaft neu. Terror und Gewalt, soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit, Pandemien und Umweltkatastrophen haben in ihren Auswirkungen eine globale Dimension erreicht, die sich den territorial begrenzten Möglichkeiten nationalstaatlicher "Steuerung" entziehen. Fortschreitende Modernisierungsprozesse - insbesondere neue Technologien, wirtschaftliche Verflechtung und steigende Mobilitätschancen - führen zur Auflösung räumlicher Problembezüge. Heute wirken sich regionale Katastrophen in Afghanistan, Syrien oder Japan unmittelbar auf weit entfernte Orte aus. Neben den einschneidenden, doch eher seltenen Terrorakten sorgt eine nie gekannte Flut von Bildern und Berichten für eine neue Sichtbarkeit des Schreckens, die auch in den vermeintlich sicheren Häfen der westlichen Moderne zum Handeln zwingt. Bei dem Versuch, die zerstörerischen Kräfte unserer Zeit zu bändigen, konzentriert sich die Weltpolitik mehr und mehr auf Räume begrenzter Staatlichkeit - Räume, in denen es Staaten an politischer Durchsetzungsfähigkeit mangelt. In den weltgesellschaftlichen Zentren der Armut, der Ungerechtigkeit und der Gewalt will man insbesondere die globale soziale Frage eindämmen, die im Westen nach 9/11 als sicherheitspolitische Bedrohung eingeschätzt wird. Der neue Link zwischen Sicherheits- und Entwicklungspolitik hat weitreichende Konsequenzen: Interventionen in Konfliktregionen enden nicht mehr mit der militärischen Stabilisierung von Entwicklungsstaaten. Stattdessen rückt Entwicklungszusammenarbeit aus der karitativen Ecke in den Relevanzbereich der Weltpolitik. Hier geht es um die Befriedung gewaltsamer Konflikte, um die Etablierung einer rule of law und um die Förderung menschlicher Entwicklung. Das alles soll dem internationalen Terrorismus und partikularistischen Fundamentalismen den Nährboden entziehen. Politik und Wissenschaft sind auf solche sozialpolitischen Experimente in Räumen begrenzter Staatlichkeit denkbar schlecht vorbereitet. Zu sehr bauen sie bei der Erfassung und Lösung sozialer Problemlagen auf das idealisierte Organisationsprinzip Staat, auf das in Räumen begrenzter Staatlichkeit per definitionem kaum Verlass ist. Mit Blick auf das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan oder Somalia, im Sudan oder in der Demokratischen Republik Kongo wird immer deutlicher, dass herkömmliche Konzepte und Lösungsansätze in Räumen begrenzter Staatlichkeit nicht greifen. Andere Realitäten fordern andere Sichtweisen. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, wenn sie eine perspektivische Erweiterung vom Staat hin zur Vielfalt des Regierens fordert und diese auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene vorbereitet. Dass die anderen Sichtweisen in diese Richtung führen könnten, deutet sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre an. Bei dem Versuch, die Möglichkeitsspielräume für Interventionen militärischer und entwicklungspolitischer Art auszuloten, stoßen RegionalwissenschaftlerInnen immer wieder auf die eigentümliche Vielfalt des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Es scheint hier neben den Entwicklungsstaaten noch eine ganze Reihe politisch relevanter Akteure zu geben: etwa internationale Organisationen, transnationale Unternehmen, religiöse Führer, (I)NGOs, lokale Netzwerke und Potentaten. Die vielfältigen Akteure prägen das politische Geschehen in Räumen begrenzter Staatlichkeit mit ihren unterschiedlichen Koordinationsformen, räumlichen Reichweiten und kulturellen Sinnbezügen, wobei die unterschiedlichen Ebenen der Politik zuweilen unmittelbar zusammenwirken. Die Wissenschaft ist zunehmend fasziniert von dieser "neuen" Vielfalt. Ihre Entdeckung hat jedoch zunächst etwas Irritierendes, Verunsicherndes. Die Staatszerfall-Rhetorik ist Ausdruck allgemeiner Ratlosigkeit und Verlustängste angesichts der "neuen Kriege" (vgl. Kaldor 1999). Demgegenüber konzentrieren sich die Forschungsansätze der letzten Jahre merklich auf funktionale Aspekte des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Sie versuchen, die soziopolitische Heterogenität jenseits und unterhalb des Staates auf den Begriff zu bringen: etwa als "Parasouveränität" (Trotha 2005: 33) und "Quasi-Staatlichkeit" (Hahn 2006), als "outsourced statehood" (Zürcher 2007: 12) oder "shared sovereignty" (Krasner 2004: 108). Die Schlagworte bezeichnen eine international sichtbare Ermächtigung der Gesellschaft beziehungsweise der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Entwicklungsstaat, die mehr oder minder problematisch eingeschätzt wird, je nachdem, ob es sich um ein ignorierendes Nebeneinander, um kooperative Ergänzung oder konfliktträchtige Konkurrenz handelt. Den folgenden Überlegungen liegt die Prämisse zugrunde, dass die Wahrnehmung der soziopolitischen Heterogenität in Räumen begrenzter Staatlichkeit bis dato weitgehend dem Zufall überlassen wird. Einschlägige Konzepte nehmen nur einen Ausschnitt der Vielfalt ins Visier, nämlich den, der den Staat direkt betrifft oder zumindest nachhaltig irritiert. Regionalexpertise ergänzt zufällig, was die staatszentrierten Konzeptionen nicht zu fassen vermochten - und diese zufälligen Beobachtungen werden dann als die spannendsten Irritationen diskutiert. Das ist der Problemhorizont, in dem die vorliegende Arbeit steht: Es wird Zeit, dass das "Regieren ohne Staat" (Risse/Lehmkuhl 2007) neben staatlichen und kooperativen Formen des Regierens systematisch in die sozialwissenschaftliche Forschung einbezogen wird, damit die weltpolitischen Herausforderungen in Räumen begrenzter Staatlichkeit bestmöglich bewältigt werden können. Dazu müssen anstelle von Entwicklungsstaaten die politischen Herausforderungen selbst als Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik betrachtet werden. Dann erscheint mit Blick auf Sicherheit, soziale Ordnung und Gemeinwohl das Verschiedene als ein Zusammenhang: die Vielfalt des Regierens. Fragestellung und zentrale Thesen Dieses Buch nimmt sich vor, den Perspektivenwechsel vom Staat und staatlicher "Steuerung" zur Vielfalt des Regierens theoretisch-konzeptionell vorzubereiten. Die Frage, die dabei im Mittelpunkt steht, lautet: Wie lässt sich die Vielfalt des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit umfassend und systematisch erschließen? Mit dieser Frage zielt das Buch auf eine Konzeption des Regierens jenseits des Eurozentrismus, die raumzeitlich kontingente Formen des Regierens empirisch zugänglich macht. Solch eine Konzeption ist kein Selbstzweck. Sie versteht sich vielmehr als sozialwissenschaftliches Handwerkszeug, das nicht zuletzt dazu beiträgt, weltpolitische Handlungsoptionen und lokale Entwicklungspotenziale realistisch einzuschätzen und optimal auszunutzen. Das Hauptproblem, dem sich die vorliegende Arbeit stellt, ist der Eurozentrismus (Chakrabarty 2000; Conrad/Randeria 2002; Nederveen Pieterse 2001). Dieses Schlagwort verweist auf eine fundamentale Kritik an der teleologischen Geschichts- beziehungsweise Entwicklungskonzeption, die der bemerkenswerten Selbstgewissheit und Selbstbezogenheit der westlichen Moderne zugrunde liegt. Der Vorwurf richtet (sich an) alle, die implizit oder explizit davon ausgehen, die Geschichte Europas werde andernorts nachgeholt. In den Sozialwissenschaften hat diese Überhöhung der w…


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