Land ohne Staat

Land ohne Staat

Einband:
Paperback
EAN:
9783593395289
Untertitel:
Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg am Beispiel Somalias
Genre:
Vergleichende & internationale Politikwissenschaft
Autor:
Jutta Bakonyi
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 09.2011
Anzahl Seiten:
396
Erscheinungsdatum:
30.09.2011
ISBN:
978-3-593-39528-9

Mikropolitik der Gewalt

1991, kurz nach Beginn des bis heute andauernden Krieges, brach in Somalia der Staat vollständig zusammen. Jutta Bakonyi zeigt, wie seitdem die Gesellschaft jenseits zentralstaatlicher Regulierung funktioniert, und welche Macht und Herrschaftsstrukturen sich herausgebildet haben. Die Untersuchung des Handels mit der Droge Khat, des Währungs- und Finanzmarkts sowie der internationalen Entwicklungshilfe verdeutlicht, welche Wirtschaftsstrukturen jenseits des Staates entstanden sind.

Autorentext
Jutta Bakonyi, Dr. phil., ist gegenwärtig für den Zivilen Friedensdienst in Kenia tätig.

Zusammenfassung
Die Menschen verhungern, aber die Wirtschaft floriert
"Man weiß seit Jahren, dass der gescheiterte Staat Somalia über ein erstaunliches Wirtschaftswachstum verfügt ... Mit ihrer Studie hat die Wissenschaftlerin Jutta Bakonyi nun erstmals eine umfassende Analyse vorgelegt, wie es dazu kommen konnte." (Süddeutsche Zeitung, 06.12.2011)

"Mit Land ohne Staat hat Jutta Bakonyi nach langer Forschungsarbeit ein Buch vorgelegt, dass sich in Punkto Wissenschaftlichkeit, Relevanz und Originalität von allem abhebt, was an Monographien zu Somalia auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich ist. Die Autorin verbindet auf kreative Art theoretische Ansätze aus Soziologie, Politikwissenschaft, Development Studies und Ethnologie." (Informationszentrum 3. Welt, 01.11.2012)

Leseprobe
Einleitung Der Staat ist nicht selbstverständlich. Die Sozialwissenschaften beschäfti-gen sich seit Mitte der neunziger Jahre wieder stärker mit dem Staat und dies vor allem deshalb, weil seine Zukunft in Frage gestellt wird. Auf der einen Seite werden die sich verdichtenden internationalen Regelwerke und die Verlagerung vormals staatlicher Aufgabenbereiche an inter- oder sogar supranationale Organisationen für den Bedeutungsverlust des Staates ver-antwortlich gemacht. Auf der anderen Seite werden in Lateinamerika, Asien und Afrika viele Staaten durch zunehmende Kriminalität und Ban-dengewalt oder durch bewaffnete Konflikte und Kriege, von denen man-che bereits Generationen überdauern, herausgefordert. Diesem Phänomen widmet sich die vorliegende Arbeit. Jenseits der Feststellung, dass viele Staaten außerhalb der OECD-Welt schwächeln und manche sogar erodie-ren, soll der Frage nachgegangen werden, was in solchen staatsfernen Re-gionen, in denen Gewalt zum gesellschaftlichen Alltag zählt und in denen Gewaltorganisationen die Macht des Staates abgelöst haben, eigentlich geschieht. Diese Frage behandelt Grundsätzliches, denn sie bezieht sich darauf, wie sich Gesellschaftlichkeit jenseits zentralstaatlicher Regulierung und unter der Bedingung des Krieges oder zumindest konstanter Gewalt-drohung herstellt. Historiker mögen anführen, dass dies keineswegs außergewöhnlich sei, hat doch die Menschheit eine weitaus längere Zeitspanne ohne zentral-staatliche Regulierung existiert. Und tatsächlich mangelt es in der Debatte um die failed oder weak states und der mit ihr propagierten These von den "neuen Kriegen" auch nicht an entsprechenden Analogien. Die gegenwärti-gen "Staatszerfallskriege" scheinen eine Reihe von Merkmalen mit frühneu-zeitlichen oder mittelalterlichen Kriegen zu teilen. Damit wird bereits die Gefahr der Rückentwicklung der Menschheit in den vorzivilisierten Zu-stand des ewigen Bürgerkrieges suggeriert, dessen Schreckensvision seit Hobbes die Denktradition des Abendlandes bestimmt. Oder vielleicht, da viele der Staatszerfallsregionen sich in Afrika befinden, handelt es sich doch eher um ein Zurück in traditionelle Stammeskriege. Immerhin, so mag sich der westliche Beobachter zugleich trösten, hat hier der Staat als externes Implantat ohnehin nie seine volle Blüte und zivilisatorische Po-tenz entfaltet. Trotz allem bleibt ein Rest an Unbehagen. Es mag ja sein, dass sich in der wilden Ferne bereits Vorgänge andeuten, die auch in das Zentrum der modernen Welt vordringen könnten. Die Debatte um die failed states führt jedoch in die Irre, denn sie bleibt dem Staat als zentraler Analysekategorie verhaftet. Dieser bildet weiterhin den Dreh- und Angelpunkt der Untersuchungen, nur dass jetzt sein unzu-reichendes Funktionieren, seine Fehler und seine Rückbildung problemati-siert werden. Damit verbindet sich auch die Vorstellung, solche Defizite könnten durch entsprechende Sozialtechnologie behoben werden. Neben wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsbekämpfung zielt eine Vielzahl internationaler Programme auf die Stärkung des Staates und die Förderung guter Regierungsführung. Die Gewaltforschung aber, die Kriege allein negativ, als Resultat staatlichen Scheiterns und Ausdruck des damit einher-gehenden Regeldefizits bestimmt, verfügt über keine Begriffe für die Un-tersuchung des Krieges und der durch ihn ausgelösten Wandlungsprozesse. Sie kann den gesellschaftlichen Charakter des Krieges nicht erfassen, son-dern ihn nur auf kulturelle Zwänge oder das Macht- und Profitstreben Einzelner zurückführen. Die relativ ausführliche Auseinandersetzung mit der Kriegs- und Ge-waltforschung im ersten Kapitel (Kap. 1.1) dient nicht allein dem Nach-weis der Kenntnis des Forschungsstandes. Vielmehr wird gezeigt, dass die Schwäche der Gewaltforschung ihrer theoretischen Unschärfe entspringt und zur Nutzung von Begriffen und Modellen führt, deren Prämissen und Implikationen nicht hinreichend reflektiert wurden. Diese Defizite werden in einem an die Ausführungen zum Forschungsstand anschließenden Ex-kurs auf den gesellschaftlichen Charakter der Wissenschaft selbst zurückge-führt. Ihre oft distanzlose Nähe zur gesellschaftlichen Wirklichkeit führt dazu, dass die Wissenschaft den von der Gesellschaft vorgefertigten Ge-genstand und die hier zirkulierenden Begriffe unhinterfragt übernimmt und damit perpetuiert. Hier deutet sich bereits das zweite Problem der Forschung an. Trotz des staatlichen Scheiterns werden die Gesellschaften weiterhin so behan-delt, als wären sie staatlich verfasst, und ihre Entwicklungen werden primär aus ihrem eigenen Innenleben erklärt. Nun ist aber bereits die geschichtli-che Formierung der Dritten Welt, und dies wird in dem umstrittenen Beg-riff der Dritten Welt zumindest noch angedeutet, zugleich die Geschichte der Ausformung einer die Welt umgreifenden Gesellschaftlichkeit. Die Gesellschaften, von denen hier die Rede sein wird, mögen sich zwar, wie dies kürzlich von Mbembe (2006) formuliert wurde, am Rande der Welt befinden, aus der Weltgesellschaft entlassen sind sie deshalb jedoch nicht. Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet daher die Theorie der Weltgesellschaft, die im ersten Kapitel (Kap. 1.2) als Hintergrund für eine einheitliche theoretische Betrachtung des Krieges vorgestellt wird. Für eine systematische Untersuchung der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in Kriegen wird das im Rahmen der Kriegsursachenforschung (Siegelberg 1994; Jung et al. 2003) entwickelte Prozessmodell zur Erfassung kriegsur-sächlicher Dynamiken nutzbar gemacht. Dieses ermöglicht es, die Ver-dichtung kriegsursächlicher Faktoren zum Krieg nachzuzeichnen, und verbindet zugleich die strukturell in der Gesellschaft wirkenden Konfliktli-nien mit subjektiven Handlungsgründen der Kriegsakteure. Aufbauend auf die Hamburger Kriegsursachentheorie wird das theoretische Vokabular für die Untersuchung des Krieges selbst bzw. der Gesellschaft im Krieg erar-beitet (Kap. 1.3). Dabei wird selektiv auf die Theoriebestände der Politi-schen Soziologie und Ökonomischen Anthropologie zurückgegriffen. Diese ermöglichen es, die Befunde der vielen Einzelfallstudien zu Gewalt und Krieg in verallgemeinerbare Begriffe zu gießen und gleichzeitig den Krieg als umkämpftes Handlungsfeld konkurrierender Akteure zu konzep-tionieren, ohne einen individualistischen Standpunkt einzunehmen.

Inhalt
Inhalt Dank 9 Einleitung 10 1. Theoretische Annäherung: Gesellschaft im Krieg 26 1.1 Z…


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