Affinität wider Willen?

Affinität wider Willen?

Einband:
Paperback
EAN:
9783593394909
Untertitel:
Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die Frankfurter Schule
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 09.2011
Anzahl Seiten:
235
Erscheinungsdatum:
30.09.2011
ISBN:
978-3-593-39490-9

Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust

Hannah Arendt und Theodor W. Adorno verband eine gegenseitige Abneigung, die auch zu einer gegenseitigen Ablehnung ihrer Schriften führte. Arendts Animosität erstreckte sich bald auch auf andere Mitglieder der Frankfurter Schule. Der Band beleuchtet dieses schwierige Verhältnis, wobei die Autoren auch auf Affinitäten stoßen. Im Fokus stehen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten der politisch-philosophischen Theorien und Begriffe, das Verständnis des Judentums und der Ursachen des Antisemitismus, die Bedeutung des Werkes von Walter Benjamin.

Autorentext
Liliane Weissberg ist Christopher H. Browne Distinguished Professor of Arts and Sciences und Professor of German and Comparative Literature an der University of Pennsylvania.

Leseprobe
Vor einigen Jahren publizierte Elisabeth Young-Bruehl ein kleines Buch bei der Yale University Press, das gleichzeitig eine neue Buchreihe zu aktuellen Themen ankündigen sollte: Why Arendt Matters. Young-Bruehl, eine ehemalige Studentin Hannah Arendts an der New School in New York und Autorin einer eindrucksvollen Arendt-Biografie, reflektiert in Why Arendt Matters über die Wirkung von Arendts Werk. Trotz ihrer Studien zu den "Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft" oder zu "Macht und Gewalt", trotz ihrer Vorträge und Aufsätze über Kant und Lessing, Heidegger und Benjamin sei Arendts Werk, so Young-Bruehl, in der populären Rezeption vor allem auf vier Worte reduzierbar: "Die Banalität des Bösen". Diese Worte erscheinen nur einmal zum Ende ihres Buches Eichmann in Jerusalem, wurden aber von ihrem Verlag als Untertitel gewählt - ein Bericht von der Banalität des Bösen. Nach Young-Bruehl sind sie für viele zu einer Art obszönem Schimpfwort geworden, zu einer Art four-letter word, das die Aktualität des Arendt'schen Denkens und die angemessene Rezeption ihres Werks verstellt. Arendts Formulierung "Banalität des Bösen" löste bereits anlässlich der ersten Publikation der Arbeit im Jahre 1963 einen Skandal aus, der bis heute anzuhalten scheint. So veröffentlichte Bernard Wasserstein am 9. Oktober 2009 einen Artikel im Times Literary Supplement mit dem Titel "Blame the Victim - Hannah Arendt Among the Nazis: the Historian and Her Sources", in dem er sich sowohl auf Arendts Buch zum Eichmann-Prozess wie auch auf Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft bezieht, um zu zeigen, wie sehr Arendts Studien auf Quellen nationalsozialistischer Autoren beruhen. Nach Wasserstein internalisierte Arendt einen Antisemitismus, der schließlich auch ihre Einschätzung von Eichmanns Person und Taten beeinflussen musste. Der Begriff "Die Banalität des Bösen" sollte in diesem Kontext gesehen werden. Ron Rosenbaum veröffentlichte seine Reaktion auf Wassersteins Vorwürfe am 30. Oktober 2009 im Internet-Journal Slate, der Artikel trägt den Titel "Das Böse der Banalität" (The Evil of Banality), und Rosenbaum weist ebenso auf Arendts wissenschaftliche wie private Beziehung zu Martin Heidegger hin, der schon früh in die NSDAP eingetreten war. "Ich hoffe", schreibt er, "dass [Wassersteins] Entdeckungen weiterhin bewirken werden, eine viel zu oft benutzte, falsch und fälschlich gebrauchte pseudointellektuelle Phrase unserer Sprache zu diskreditieren, nämlich: Die Banalität des Bösen. Die Banalität der Banalität des Bösen, nämlich die Leichtsinnigkeit dieses Ausdrucks, war jedem eigentlich schon lange unverständlich, aber vielleicht wird diese Formulierung jetzt endlich auch ganz dem Bereich des Gefährlich-Verräterischen und des Unehrlichen zugeordnet werden." Ich hatte das Sommersemester 2009 gemeinsam mit einer Gruppe von Studierenden am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main gerade damit verbracht, dem Ausdruck "Banalität des Bösen" die von Rosenbaum beschriebene "Leichtsinnigkeit" zu nehmen und ihn hinsichtlich des Arendt'schen Werkes und seines philosophischen und politischen Kontextes zu untersuchen. Wir hatten Young-Bruehls Feststellung im Seminar also umgekehrt und mithilfe der Formulierung "Banalität des Bösen" die Arendt'schen Interessen und Thesen ihrer politischen Theorie untersucht; der Skandal dieser sogenannten Phrase offenbarte sich - fast im Brecht'schen Sinne - als Lehrstück. Aber während das Eichmann-Buch und die dort formulierte "Banalität des Bösen" die bis heute bekannteste Instanz des Arendt'schen Werkes darstellen mögen, hinsichtlich derer sie nun verteidigt oder verurteilt werden soll, so war dies keineswegs der einzige Skandal, den Arendts uvre provozierte. Bereits einige Jahre zuvor gelang es ihr mit einer heute sehr viel weniger beachteten Arbeit, die Grenzen zwischen liberalem und konservativem Denken infrage zu stellen. Es ist ein Skandal, auf den wir in unserem Seminar nicht eingehen konnten. 1954 befand der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Rassentrennung an öffentlichen Schulen der amerikanischen Verfassung widerspreche (Brown vs. Board of Education). Die Schulbezirke im Süden der Vereinigten Staaten wurden aufgefordert, diesem Urteil zu folgen, und das Gericht erklärte 1955, dass ihm nur durch eine Integration der Schulen gefolgt werden könne - "with all deliberate speed", in angemessener Zeit. Doch was war hier zeitlich angemessen, wenn es galt, Rechtsextremisten und Gegner der Schulintegration zu überzeugen oder zumindest Ausschreitungen gegen schwarze Bürger und Bürgerinnen zu verhindern? 1957 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Schulen in Little Rock, Arkansas, trotz weiterer Proteste der weißen Bevölkerung integriert werden sollten. Am 7. September des Jahres, dem ersten Schultag, wurden Krawalle erwartet, denn die konservativen lokalen Politiker riefen nach den State Troopers, welche die Schule vor der Rassenintegration schützen sollten. Die Schuladministration plante, die neun schwarzen Schüler und Schülerinnen, die nun das Gymnasium in Little Rock, die Little Rock Central High School, besuchen sollten, anzurufen und sie anzuweisen, das Gebäude aus Sicherheitsgründen durch eine Seitentür zu betreten. In acht Fällen waren diese Anrufe erfolgreich. Die Familie einer Schülerin, Elizabeth Eckford, besaß aber kein Telefon. So ging die fünfzehnjährige Elizabeth alleine zum Haupteingang des Gebäudes, unter den Beschimpfungen der weißen Bevölkerung, und wurde von bewaffneten Soldaten am Betreten der Schule gehindert. Die Bilder des Fotografen Will Counts gingen um die Welt, und die Ereignisse in Little Rock wurden emblematisch für den Kampf der schwarzen Amerikaner um Gleichberechtigung und Bürgerrechte. Die Zeitschrift Commentary, für die Arendt damals bereits regelmäßig schrieb, bat sie um einen Beitrag zu den Vorgängen in Little Rock. Arendts Artikel entstand im Oktober 1957, wurde aber trotz des Auftrags abgelehnt und erschien erst 1959 in einem anderen amerikanischen Periodikum, Dissent. Die Veröffentlichung ihrer "Reflexionen über Little Rock" machte deutlich, warum Arendts Aufsatz den Erwartungen von Commentary nicht entsprochen hatte. Denn die Politologin, die sich sonst so wortstark für die Bürgerrechte aller einsetzte, sprach sich dort deutlich und überraschend gegen eine forcierte Integration an den öffentlichen Schulen aus. Arendt bezieht sich vor allem auf eine Fotografie von Counts, in der sie Elizabeth Eckford als ein vom Mob verfolgtes Kind sieht, das wider seinen Willen in die Position des Opfers gedrängt wird. Arendt zufolge sollten Kinder nicht die politischen Auseinandersetzungen der Erwachsenen austragen müssen. Darüber hinaus verstoße das neue Gesetz zur Integration der Schulen auch gegen die Unabhängigkeit der einzelnen Bundesstaaten. Und Arendt gebraucht ein drittes Argument: Eine erzwungene Schulintegration verwechsele zwei grundsätzlich unterschiedliche Bereiche - den des Sozialen mit dem des Politischen. Nach Are…


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