Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit

Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit

Einband:
Paperback
EAN:
9783593394305
Untertitel:
Über Sexualforschung und Politik
Genre:
Sozialwissenschaften allgemein
Autor:
Volkmar Sigusch
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 03.2011
Anzahl Seiten:
294
Erscheinungsdatum:
31.03.2011
ISBN:
978-3-593-39430-5

Sexualität als Politikum

Im 20. Jahrhundert gab es drei »sexuelle Revolutionen«, doch wie sexuelle Freiheit aussieht, wissen wir immer noch nicht. Wir wünschen uns, dass die Masken fallen und das Leben beginnt, doch das sexuelle Elend hält an. Volkmar Sigusch zeigt zum ersten Mal im Zusammenhang, wie kritische Sexualwissenschaft politisch darum kämpft, das sexuelle Elend zu mildern, Gewalt und Missbrauch zu verhindern, Menschenrechte für alle Sexualitäten und Geschlechter zu installieren. Er macht deutlich, welche Probleme nach wie vor oder neuerdings auf den Nägeln brennen. Die Palette reicht vom Kindesmissbrauch durch Vertrauenspersonen wie Pädagogen und Priester über die Lage der Homosexuellen zwischen Emanzipation und Verfolgung bis hin zu Neosexualitäten wie Bisexualität, Transsexualität, Asexualität und nicht zuletzt dem ganz »normalen« Liebesleben. Blicke zurück auf die 68er-Revolte und den Einbruch von Aids werden flankiert von Blicken nach vorne auf Präparate wie Viagra und auf den medizinisch begründbaren Gesundheitsgewinn gelebter Sexualität.

Autorentext
Volkmar Sigusch (19402023), Arzt und Soziologe, war einer der angesehensten Sexualwissenschaftler der Gegenwart. Als jüngster Medizinprofessor auf den ersten selbstständigen Lehrstuhl für Sexualwissenschaft berufen, entfaltete er insbesondere als Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft im Klinikum der Universität Frankfurt am Main (19732006) national und international eine außerordentliche Wirkung. Er gilt als Pionier der deutschen Sexualmedizin und als Begründer der Kritischen Sexualwissenschaft, außerdem war er ein erfahrener Sexual- und Paartherapeut. Sein in mehreren Auflagen erschienenes Lehrbuch »Sexuelle Störungen und ihre Behandlung« gilt als Standardwerk der Sexualmedizin und Psychotherapie. Sigusch gehörte dem Nobelkommittén des Karolinska Institutet in Stockholm zur Vergabe des Medizin-Nobelpreises an, war einer der Gründer der International Academy of Sex Research (IASR), wurde von den führenden Fachblätter The Journal of Sex Research und Archives of Sexual Behavior als Co-Editor für Europa berufen, von der Society for the Scientific Study of Sex, New York, zum Fellow und von der Harry Benjamin Gender Dysphoria Association zum Charter Member ernannt. Nicht zuletzt war Volkmar Sigusch ein brillanter Autor und Essayist. Publikationen der letzten Jahre unter anderem: »Neosexualitäten« (2005), »Geschichte der Sexualwissenschaft« (2008), »Personenlexikon der Sexualforschung« (2009, zusammen mit Günter Grau), »Die Suche nach der sexuellen Freiheit« (2011), »Sexualitäten« (2013) und »Kritische Sexualwissenschaft« (2019).

Leseprobe
Die Suche geht weiter. Denn obgleich drei "sexuelle Revolutionen" hinter uns liegen, wissen wir nicht, wie die sexuelle Freiheit aussieht. Wir können es immer noch nicht wissen, weil wir nach wie vor unfrei sind, genauer gesagt: weil wir inzwischen freie Unfreie sind. Allerlei wurde uns in den letzten Jahrzehnten gestattet oder haben wir uns einfach genommen. Die Selbstbefriedigung, einst mit allen Mitteln bekämpft, ist zu einer allgemein akzeptierten Sexualform geworden. Die freie Liebe, von der einst unsere Groß- und Urgroßeltern zu träumen begannen, kann heute gelebt werden. Kinderlosigkeit und Scheidung sind kein Makel mehr. Sexuelle Orientierungen und Praktiken, die früher als pervers galten, vor allem Homosexualität, Bisexualität und gepflegter Sadomasochismus einerseits, Oral- und Analsex andererseits, werden mehr oder weniger toleriert und ausprobiert. Selbst offene Liebesbeziehungen zu mehreren Personen gleichzeitig, genannt Polyamorie, werden heute diskutiert. Die Säulen der alten Moral, Gott, Vaterland, Familie, sind weitgehend weggebrochen oder diversifiziert worden. Heute scheinen individuelle Entscheidung und Selbstverwirklichung den Vorrang zu haben. Junge Frauen lassen sich ihre sogenannten Schamlippen chirurgisch "verschönern", alte Männer wollen sich mit Hilfe von Viagra im Glanz einer jugendlichen Gliedversteifung sonnen. Kurzum: Glühende Lava wurde uns in die Adern gegossen. Seither wollen wir: dass die Masken fallen und das Leben beginnt, dass das Quere und Konträre und Überfließende der Triebliebe die Signifikanzen zerfrisst. Denn der Theorie nach eignet es nicht nur der Perversion, sondern kann allen Niederschlägen des Sexuellen abgerungen werden als das Salz der Sexualwissenschaft, wie ich gerne sage. Doch das sexuelle Elend hält an. Es kann nicht gemessen und nicht übertrieben werden: Zweifel an der eigenen Geschlechtlichkeit, Sexismus, Doppelmoral, sexuelle Übergriffe, Heuchelei, aufgepeitschte Sinne, unstillbare Gier, abgespeistes Verlangen, enttäuschte Liebe, Impotenz, Lustlosigkeit, ungestillte Sehnsucht, Süchtigkeit, Ängste, Schuldgefühle, Einsamkeit. Zwischen den allumfassenden Wünschen und deren dürftiger Befriedigung gähnt nach wie vor ein Abgrund, der nur pro forma zu überbrücken ist. Pro forma meint: durch die nun einmal vorhandenen, mehr oder weniger mystifizierten gesellschaftlich-kulturellen Formen von Geschlecht, Liebe und Sexualität.

Inhalt
Inhalt Über Sexualforschung und Politik: Vorwort 9 Mundus sexualis Die Erotik des Kindes und die Missbrauchsdebatte: Sexualwissenschaftliche Thesen 17 Peitscht euch selbst! Über eine päpstliche Erklärung zur Sexualethik 28 Heterosexuelle Paare: Was wir wissen und was wir vermuten 31 Über Lustlosigkeit, Perversionen und die Paradoxien der Liebe: Ein Gespräch 36 Gibt es natürliche Sexualität? Warum der Seitensprung nicht biologisch ist 42 Der Gesundheitsgewinn gelebter Sexualität: Wie groß ist die körperliche Belastung? 46 Gibt es eine Weltsexualität? Zur internationalen Klassifikation sexueller Störungen 49 Homosexuelle und Homosexualität Homosexuelle zwischen Verfolgung und Emanzipation 57 Ein Aufruf zur Entkriminalisierung der Homosexualität im Spiegel einiger Voten 65 Gibt es schwule Schafe? 94 Neosexualitäten und Neogeschlechter Zehn Fragen zu den Neosexualitäten: Ein Interview 99 Kann die neosexuelle Revolution ohne Neoliberalismus gedacht werden? 104 Gibt es Bisexuelle tatsächlich? 112 Wie werden Asexuelle definiert? 116 Ist der "Kannibale von Rotenburg" seelisch gesund oder süchtig pervers? 121 Zissexuelle und Transsexuelle: Über ein Neogeschlecht 124 Sexualität und Politik Die 68er-Bewegung und die Sexualwissenschaft: Ein Gespräch 147 25 Jahre AIDS: Ein Rückblick 153 Sonnen im Glanz einer Gliedversteifung: Über Viagra und Verwandte 157 Über Prostitution: Sexualwissenschaftliche Thesen 160 Menschen als Material: Alexander Mitscherlich zu Ehren 168 Sexualität und Wissenschaft Der orgastische Sexualprozess: Eine Erinnerung an Wilhelm Reich 181 Der empirische Stachel im Fleisch: Eine Erinnerung an Alfred C. Kinsey 184 Sexualwissenschaft und Psychoanalyse: Ein angespanntes Verhältnis 188 Ist Sexualwissenschaft immer noch notwendig? Der Kampf um das Frankfurter Institut für Sexualwissenschaft 205 Drucknachweise 275 Literatur 278 Sachregister 291


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