Schwarzer Markt

Schwarzer Markt

Einband:
Paperback
EAN:
9783593392981
Untertitel:
Kriminalität, Ordnung und Moral in Bremen 1939-1949
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Autor:
Stefan Mörchen
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 11.2011
Anzahl Seiten:
515
Erscheinungsdatum:
30.11.2011
ISBN:
978-3-593-39298-1

Campus Historische Studien

Schwarzhandel und Diebstahl wurden im Nationalsozialismus als Verrat an der Volksgemeinschaft verfolgt, breiteten sich jedoch während des Krieges aus. Nach 1945 waren öffentliche Schwarzmärkte und Plünderungen sichtbare Zeichen der Not, aber auch der gesellschaftlichen Unordnung. Stefan Mörchen nimmt die Überlebensmoral der Bevölkerung ebenso in den Blick wie die Bekämpfung des Schwarzen Marktes und Bilder des Kriminellen. Er beschreibt den Schwarzen Markt als Raum der Aushandlung von Kriminalität: Hier sollten Razzien Ordnung und Moral wiederherstellen und die Grenzen der Gemeinschaft gezogen werden.

"Das Buch ist ... einer der wichtigsten Beiträge zur Zeitgeschichte der Kriminalität.", Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 99. Band, Heft 4, 01.09.2012

Autorentext
Stefan Mörchen, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen.

Leseprobe
Das Phänomen des Verbrechens, so stellte der Jurist und Kriminologe Hans von Hentig 1947 in einem Artikel für eine Strafrechtszeitschrift erschüttert fest, "hat in Deutschland Umfang und Formen angenommen, die in der Geschichte der westlichen Kulturvölker ohne Vorbild sind." Hier ist nicht die Rede von millionenfachem Mord und anderen NS-Verbrechen. Was von Hentig, und mit ihm vielen seiner Kollegen und Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, als Zeichen einer tiefgreifenden, Rechts- und Gemeinwesen bedrohenden moralischen Krise galt, war vielmehr ein ganz anderes "Phänomen des Verbrechens", nämlich der Anstieg der Alltagskriminalität und insbesondere die dramatische Zunahme der Schwarzhandels- und Eigentumsdelikte - eine "Kriminalität des Zusammenbruchs". Der zitierte einleitende Satz - ein Satz, der heute gelesen irritieren mag, weil er Erwartungen weckt, die der Text nicht erfüllt - stammt von einem Autor, für den eine kriegsbedingte Konjunktur der Kriminalität nichts Überraschendes war und der sich dennoch mit etwas konfrontiert sah, was er nicht wiedererkannte: "Jeder Krieg hat seine Nachkriegskriminalität. Was wir im Augenblick in Deutschland sehen, unterscheidet sich von allem, was wir bisher erlebt und wissenschaftlich verwertet haben." Dabei hatte von Hentig das ihn erschreckende Ausmaß, vor allem aber eine neue Qualität der Kriminalität im Blick. Sein Artikel changiert zwischen zwei Deutungen des Geschehens, deren Überlagerung in der Formel von der "Kriminalität des Zusammenbruchs" zum Ausdruck kommt. Einerseits beschwört er sehr plastisch und konkret die Gefahr einer Kriminalität, die die gesamte Gesellschaft erfasst habe; andererseits steht die Kriminalität pars pro toto für die Umstände, die sie hervorgebracht haben: als eine "Kriminalität des totalen Ruins, der den Staat, die Gesellschaftsordnung und das individuelle Sein erfasst hat", in dem an die Stelle der Ordnung "der völlige staatliche und soziale Leerraum" trete. Kriminalität erscheint hier als ein komplexes Deutungsmuster des Sozialen schlechthin. Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht der Schwarze Markt der Kriegs- und Nachkriegszeit als "Phänomen des Verbrechens", als Produkt sozialer Aushandlungs- und Kontrollprozesse, welche die Strafgesetzgebung und die Strafverfolgung, alltägliche Handlungsweisen und Konflikte sowie ein ganzes Bündel gesellschaftlicher Ordnungsdiskurse umfassen. In der "Schwarzmarktzeit" bestanden für die Auseinandersetzung darüber, was unter Kriminalität zu verstehen, wie sie zu ahnden und moralisch zu bewerten sei, besondere Bedingungen. Illegale Handlungen gehörten für weite Teile der Bevölkerung zum Alltag, und zugleich vervielfältigten und erweiterten sich die diskursiven Räume, in denen über Kriminalität verhandelt und in denen unter diesem Vorzeichen eigenes und fremdes Verhalten gedeutet und moralisch bewertet wurde. Im selben Jahr wie der Aufsatz von Hentigs erschien in der Ratgeber-Reihe "Recht für jeden", die ansonsten Bände zu Themen wie dem Ehe- oder Mietrecht annoncierte, ein Band mit dem Titel "Schwarzmarkt, Tausch- und Schleichhandel in Frage und Antwort mit 500 praktischen Beispielen", dessen Autor im Vorwort zu Recht behauptete: "Diese Fragen gehen heute jeden an!" Die Frage nach der Wahrnehmung, Deutung und Bekämpfung der Kriminalität des Schwarzen Marktes stellt sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen: als allgemeine Frage danach, wie Regierungen und Strafverfolgungsbehörden auf die massenhafte Delinquenz der Bevölkerung reagierten, ebenso wie als die ganz konkrete, wer bei einer Schwarzmarktrazzia verhaftet wurde und wer ungeschoren davon kam; als Frage nach den Handlungen und den Selbstdeutungen der Akteurinnen und Akteure des illegalen Handels ebenso wie die nach der Thematisierung des Schwarzen Marktes in wissenschaftlichen und medial-öffentlichen Kriminalitätsdiskursen. Bei der Untersuchung aller hier angesprochenen Ebenen richtet sich das Interesse auf die gesellschaftliche Verortung der Kriminalität des Schwarzen Marktes: Inwieweit wurde Kriminalität in der Schwarzmarktgesellschaft als ein Phänomen gefährlicher und krimineller Gruppen wahrgenommen, blieb Kriminalität weiterhin außerhalb der Gesellschaft verortet; oder, umgekehrt, wie brüchig oder fragwürdig wurden unter dem Eindruck einer gesamtgesellschaftlich verbreiteten Alltagsdelinquenz die Feindbilder des Kriminellen? Um diese Fragen zu beantworten, verfolgt die Arbeit sowohl diskursanalytische als auch alltags- und erfahrungsgeschichtliche Perspektiven. Zeitlich erstreckt sich die Untersuchung auf die 1940er Jahre, während derer offiziell das System der Bewirtschaftung und Rationierung und daneben inoffiziell ein Schwarzer Markt bestand. Wenngleich innerhalb dieses Zeitraums der Schwerpunkt auf der Zeit zwischen Kriegsende und Währungsreform liegt, steht die Arbeit damit im Kontext solcher Untersuchungen, die über das Epochenjahr 1945 hinweggehen. Dass es eine "Stunde Null" im Sinne eines völligen Neubeginns auf staatlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene nicht gab, ist in der historischen Forschung längst ein Gemeinplatz, und die Frage nach Kontinuitäten und Zäsuren erscheint heute stark ausdifferenziert. Eine kriminalitätsgeschichtliche Arbeit, die sowohl alltägliche Handlungs- und Erfahrungsräume als auch die Praxis der Strafverfolgungsbehörden sowie Diskurse um Kriminalität, Recht und Gemeinschaft in den Blick nimmt, kann hier einhaken und differenziert nach Kontinuitäts- und Bruchlinien im Übergang von der NS- und Kriegs- zur Nachkriegsgesellschaft fragen und so Ungleichzeitigkeiten aufzeigen. Die Ergebnisse eines solchen Unterfangens haben Relevanz über den unmittelbaren Gegenstand hinaus, denn Kriminalität ist ein soziales Phänomen, das immer den Kern gesellschaftlicher Ordnungen und Selbstbeschreibungen berührt und auf Vorstellungen von Normalität und auf soziale Zugehörigkeit und Ausgrenzung verweist.

Inhalt
Inhalt Einleitung 13 1 Der Schwarze Markt während des Krieges 51 1.1 Das Bewirtschaftungs- und Rationierungssystem und die Entwicklung der Versorgungslage 52 Kriegsernährungswirtschaft und Ernährungslage 53 Lenkung und Entwicklung des Verbrauchs anderer Konsumgüter 56 1.2 Die Entwicklung des Schwarzen Marktes 59 Warenquellen des Schwarzen Marktes 60 Preisentwicklung und Umfang des Schwarzhandels 62 Tausch- und Schleichhandel 63 Vergehen gegen Preisbestimmungen 64 Marken- und Bezugsscheindelikte 65 Korruption und Schwarzer Markt 67 Schwarzer Markt und kriminelles Milieu 68 Eigentumsdelikte 69 Ausbreitung der Alltagsdelinquenz 71 1.3 Die Bekämpfung des Schwarzen Marktes 73 Bewirtschaftungs- und Kriegsstrafrecht 75 Polizeiliche Feindbilder des Kriminellen und Kriminalprävention 79 Polizeiliche Bekämpfung des Schwarzen Marktes 81 Zwei Grundtendenzen der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung 87 Stra…


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