Der Narr spricht: Es ist kein Gott

Der Narr spricht: Es ist kein Gott

Einband:
Paperback
EAN:
9783593391946
Untertitel:
Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit
Genre:
Geschichts-Lexika
Autor:
Dorothea Weltecke
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Aufl. 10.2010
Anzahl Seiten:
578
Erscheinungsdatum:
31.10.2010
ISBN:
978-3-593-39194-6

Eine Geschichte des Unglaubens seit dem Mittelalter

Bis heute gilt das Mittelalter als Zeitalter des Glaubens, in dem Menschen, die an der Existenz Gottes zweifelten, systematisch verfolgt wurden. Dorothea Weltecke weist nach, dass diese Annahme ein Mythos ist, der in der Neuzeit entstand. Sie untersucht die Verwendung der Begriffe "Unglauben " und "Zweifel" in den zeitgenössischen Schriften und belegt: Der Gedanke, dass Gott nicht ist, existierte durchaus. Er wurde in der Beichte geäußert und in der spirituellen Literatur beschrieben. Allerdings waren es nicht, wie oft angenommen, vorrangig die Intellektuellen, die an der Existenz Gottes zweifelten. Denn da der Atheismus theologischen und philosophischen Grundannahmen widersprach, nahmen die Gelehrten ihn lange Zeit nicht ernst. Diese beiden Befunde - dass der Unglaube schon im Mittelalter existierte, aber keineswegs eine Sache der Gelehrten war - eröffnen einen gänzlich neuen Blick auf das Mittelalter wie auf die Geschichte des Atheismus.

Autorentext
Dorothea Weltecke, Dr. phil., ist Professorin für die Geschichte der Religionen und des Religiösen an der Universität Konstanz und arbeitet dort im Exzellenzcluster "Kulturelle Grundlagen von Integration".

Zusammenfassung
Gott oder doch nicht Gott?
"Mit ihrer bahnbrechenden Studie zum Unglauben ist Dorothea Weltecke eine Neuschreibung der Geschichte des Atheismus gelungen." (Berliner Zeitung, 04.01.2011)

Sezierte Zweifel
"Das Buch ist denen zu empfehlen, die es sehr genau wissen wollen ... Wer die Studie durcharbeitet, wird belohnt. Denn die Autorin macht den Wandel menschlichen Glaubens nachvollziehbar." (Süddeutsche Zeitung, 14.01.2011)

Über Säkularisierung muss neu gesprochen werden
"Die Konstanzer Religionshistorikerin Dorothea Weltecke entwickelt in diesem Buch mit kühlem Blick ein hochdifferenziertes methodologisches Besteck, um den Gottesleugnern auf die Spur zu kommen. Damit führt sie den Untersuchungsgegenstand endgültig aus falschen polemischen Frontstellungen heraus ... eine glänzend geschriebene Studie." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.07.2011)

Eine intensive Rezeption ist dem gelungenen Buch unbedingt zu wünschen. (H-Soz-u-Kult, 10.08.2011)

Leseprobe
In seinen Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-Östlichen Divans behauptete Johann Wolfgang von Goethe: "Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens." Was meinte er mit diesem Satz? Im Alltagsgebrauch besagt der Begriff "Unglauben" heute nicht mehr, als dass jemand von der Tatsächlichkeit einer Sache nicht überzeugt ist. Im religiösen Zusammenhang kann damit gesagt werden, dass jemand nicht davon überzeugt ist, dass Gott existiert. Nur würde man dafür die Wörter "Atheismus" oder "Agnostizismus" bevorzugen. Hinter der alltäglichen Selbstverständlichkeit der Begriffe verbirgt sich offenbar eine unerwartete Mehrdeutigkeit. Wie aus dem Kontext hervorgeht, meinte Goethe mit diesem Satz gerade nicht den Konflikt zwischen Atheismus und Religion. Er verstand unter "Unglauben" ein kultisches, gesetzliches Glauben, das er als Ritualismus ohne innere Beteiligung empfand. Mit "Glauben" hingegen bezeichnete er eine innere Haltung, die ihr Recht und ihre Würde unabhängig von kanonischen Offenbarungstexten und kirchlichen Regeln gewinnt. Nur etwa 200 Jahre später ist Goethes Satz missverständlich. Es wäre heute unmöglich, das, was Goethe hatte sagen wollen, mit diesem Begriffspaar auszudrücken. Damit sieht es nicht so aus, als sei der Begriff "Unglauben" für geschichtswissenschaftliche Forschung besonders einfach zu gebrauchen. Gleichzeitig war das Wort in der lebenswirklichen Praxis immer eine wichtige Kategorie. Die Unterscheidung zwischen Unglauben und Glauben sowie zwischen Ungläubigen und Gläubigen war für alle Gesellschaften des Vorderen Orients und Europas sogar ein äußerst geschichtsmächtiges Element. Sie hat bis in die Gegenwart Kriege verursacht, Gesellschaften zerstört und Kulturen befeuert. Seit der Antike wird die Unterscheidung zwischen Glauben und Unglauben vorgenommen. Dabei werden mit "Unglauben" bis in die Neuzeit in den monotheistischen Kulturen regelmäßig alle Formen des Glaubens, Nichtglaubens, Denkens und Lebens bezeichnet, die aus einer Gesellschaft ausgegrenzt sind oder werden sollen. Christen, Muslime, Juden, Häretiker, Agnostiker, Freidenker und so fort - alle sind "Ungläubige", je nach Perspektive. Die Entscheidung darüber, was ungläubig ist und was nicht, unterliegt dabei nur scheinbar den Gesetzen der Macht. Vielmehr kann dieser Begriff immer auch kritisch von einer Opposition vorgebracht werden, wird echter Glauben im Gegensatz zu scheinheiliger Amtsreligiosität und bigotter Herrschaft geltend gemacht. Im lateinischen Mittelalter bezeichnete das Wort infideles "Ungläubige" im Sinn von Nichtchristen, wie Juden, Muslime, ferner Häretiker, aber auch "Treulose", "Verräter", pflichtvergessene Herrscher, selbst Päpste. Dagegen scheint es, als hätten mittelalterliche Gesellschaften für die totale Negierung der Existenz eines Gottes keine eindeutigen Begriffe besessen. Nur dieses Phänomen, nicht ein allgemeiner "Unglauben" oder bestimmte Theorien, sei es die Leugnung der Unsterblichkeit der Seelen oder die Vorstellung von der Ewigkeit der Welt, soll hier untersucht werden. Dafür ist das Wort "Unglauben" nicht präzise genug. Das alltagssprachlich vertraute Wort "Atheismus" erweist sich bei näherem Hinsehen als ähnlich ungenau und als noch umstrittener als "Unglauben". Daher werden mit diesen Begriffen hier nur die Unglaubens- und Atheismusforschung und die dort vorgebrachten Thesen bezeichnet. Das Wort "Atheismus" ist im mittelalterlichen Latein überdies nicht belegt. Es ist im Unterschied zu "Unglauben" also kein Quellenbegriff. Wenn es aber keinen eigenen Begriff für Gottesleugnung gab, dann liegt die Vermutung nahe, dass sie im lateinischen Christentum vor dem 16. Jahrhundert nicht denkbar gewesen ist. Dies allerdings wäre ein Irrtum. Thomas von Aquin, der große Theologe des 13. Jahrhunderts, benennt sie, wenn auch, um sie zu widerlegen. Es scheint, als gebe es Gott nicht, sagt er. Einmal gebe es einen Widerspruch zwischen der Vorstellung, Gott sei das unendlich Gute, und der Tatsache, dass es Schlechtes auf der Welt gebe. Daraus ließe sich folgern, dass Gott gar nicht existiert. Weiter sei es wissenschaftlich möglich, alle Erscheinungen auf der Erde auf natürliche Gründe sowie auf die menschliche Vernunft und den menschlichen Willen zurückzuführen. Daher sei es auch nicht notwendig anzunehmen, dass Gott existiert. Im Folgenden bringt Thomas fünf Denkoperationen vor, mit denen er diese Behauptung zu Fall bringen will, die berühmten Quinque Viae. Doch die Denkbarkeit der Annahme, dass Gott nicht sei, ja nicht sein könne, hat er bewiesen. Es scheint zudem, er habe zugleich die tiefsten Vorbehalte gegen Gottes Existenz benannt. Sind es doch gerade diese beiden Argumente, das Unheil in der Welt und die Möglichkeit umfassender naturwissenschaftlicher Erklärungsleistung, die bis heute gegen die Annahme der Existenz eines Gottes vorgebracht werden. Was mit diesen drei Tatsachen anzufangen wäre - ein semantisch amorphes Wort, eine scheinbar fehlende Kategorie für eine vollständige Gottlosigkeit, dagegen die Denkbarkeit der Nichtexistenz eines Gottes im Mittelalter -, das ist bisher nicht bekannt. Wurde Gottes Existenz von mittelalterlichen Zeitgenossen je geleugnet? Noch ist jeder Versuch gescheitert, einen Beweis dafür zu erbringen. Weder Kirchenschelte noch Kirchenferne haben sich als hinreichende Belege für d…


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