Kosmonauten des Underground

Kosmonauten des Underground

Einband:
Paperback
EAN:
9783593391908
Untertitel:
Ethnografie einer Berliner Szene
Genre:
Stadt- & Regionalsoziologie
Autor:
Anja Schwanhäußer
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Aufl. 06.2010
Anzahl Seiten:
333
Erscheinungsdatum:
30.06.2010
ISBN:
978-3-593-39190-8

Berlin gilt als Stadt im ewigen Wandel und das Lebensgefühl im "Neuen Berlin" nach der Wende verkörpert niemand so gut wie die Underground-Szene. Diese Szene schweift im Stadtraum umher und funktioniert seine Leerstände zu "locations" um. Sie inszeniert sich als Subkultur und verweigert jegliche Kategorisierung. Die Autorin hat in intensiven Feldforschungen diese Szene aufgespürt und untersucht. Sie betritt damit Neuland in der Erforschung der Großstadt. Ihre Studie zeigt, wie durch Szenen eine spezifisch urbane Kultur entsteht und das Imaginäre der Stadt geformt wird.

"Unser Verständnis von Urbanität und urbanem Wandel ist durch diese Untersuchung zweifellos neu justiert worden."
Rolf Lindner, Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin

Berlin gilt als Stadt im ewigen Wandel und das Lebensgefühl im »Neuen Berlin« nach der Wende verkörpert niemand so gut wie die Underground-Szene. Diese Szene schweift im Stadtraum umher und funktioniert seine Leerstände zu »locations« um. Sie inszeniert sich als Subkultur und verweigert jegliche Kategorisierung. Die Autorin hat in intensiven Feldforschungen diese Szene aufgespürt und untersucht. Sie betritt damit Neuland in der Erforschung der Großstadt. Ihre Studie zeigt, wie durch Szenen eine spezifisch urbane Kultur entsteht und das Imaginäre der Stadt geformt wird. "Unser Verständnis von Urbanität und urbanem Wandel ist durch diese Untersuchung zweifellos neu justiert worden." Rolf Lindner, Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin

"(...) Anja Schwanhäußer gelingt eine Ethnografie einer postmodernen Szene, die sich sehr positiv von anderen Werken über die Technoszene im weiteren Sinne abhebt (...)." Bastian Thüne, Zeitschrift für Volkskunde, 21.05.2014

Autorentext
Anja Schwanhäußer arbeitet als Stadtethnologin in Berlin und Wien. Sie hat am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin bei Rolf Lindner promoviert und war Project Researcher am internationalen Forschungsprojekt "Culture of Cities. Toronto, Montreal, Berlin, Dublin" (Yorck University, Toronto). Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien.

Leseprobe
Einleitung Als mit dem Mauerfall die amerikanische Armee Berlin verließ, fand auf dem nun verlassenen Gelände der amerikanischen Abhörstation auf dem Teufelsberg - allerdings mit fünfzehn Jahren Verzögerung - eine unangemeldete Party statt. In der Rundmail der Organisatoren der Party, einer Gruppe Informatiker und Elektrotechniker, hieß es: "Grandiose Kulisse: Verlassene Gebäude, ganze Gebäudeteile ohne Fenster, loftartige Fabriketagen mit einem phantastischen Blick vom Teufelsberg über Potsdam, Spandau bis Mitte und große weiße Kuppeln, welche die meisten vom Sehen kennen werden, unter denen früher die Radare versteckt waren. In einer dieser Kuppeln auf dem Dach wird die Party stattfinden. Feinste Musik [], Visuals (=Dia-Projektionen) von diversen Licht- und VJ-Teams, bei Dunkelheit Feuerspiele, günstige Getränke - und ein verlassenes Spionage-Gelaende, das fuer Entdeckungstouren wie gemacht ist." Die Party fand auf dem höchsten Gebäude des Geländes statt, einem Flachdach mit zwei Radarkuppeln, unter denen die Bar und das DJ-Pult aufgebaut waren. Mit Blick auf Berlin und den Grunewald tanzte die Partygesellschaft mit Drinks in der Hand und Sonnenbrillen im Gesicht auf den brüchigen Bodenplatten der Aussichtsfläche. Über eine Tür, die von dem Dach aus nach oben führte, gelangte man über einen Turm hinauf zu einem weiteren Kuppelraum auf der Spitze des Turms, in den kaum Sonne drang und dessen Wände vom Material der Kuppelbespannung rötlich leuchteten. Die Anwesenden griffen zu herumliegenden Schrott-Teilen und begannen mit ihnen zu musizieren, wobei die Kuppel aufgrund ihrer Kugelform eine gute Akustik bot, so dass der gesamte Raum zu vibrieren begann. Gegen Abend rückte die Polizei ein und räumte das mit Bodenlöchern übersäte Gelände aus Sicherheitsgründen. Die Festgesellschaft zog protestlos, aber nicht ohne die Polizei ironisch zu kommentieren, davon. Das Gelände hatte sich eine "Szene" temporär angeeignet, die mit dem Mauerfall entstanden war und die seit 1989 Brachen und Leerstände (alte Fabriken, Werkstätten, Verkaufsläden, Gebäude-Relikte des DDR-Systems etc.) in den ehemals proletarischen Vierteln Ostberlins und Kreuzbergs zur Durchführung von Partys jenseits der gesellschaftlich legitimierten Zerstreuungsräume nutzte (die Party auf der amerikanischen Abhörstation zählte ca. 300 Gäste, was dem Durchschnitt an Partygästen entspricht; zu den größten Partys der Szene kommen bis zu 3000 Gäste). Dieser "Techno-Underground", wie sich die Szene allerdings nur selten selbst benennt, erkundet den Stadtraum nach seinen atmosphärischen Qualitäten, um an geeigneten Orten Feste zu veranstalten. Sein Bestreben ist es, durch die Ästhetisierung des Alltags die "Trennung zwischen den Individuen" zu überwinden (um im traditionellen Jargon subkultureller Bewegungen zu sprechen; vgl. Lefèbvre 1977). Seine Praxis florierte seit 1989 aufgrund der stadträumlichen Transformationsprozesse in Ostberlin, bei denen die zu DDR-Zeiten marode werdenden Industriebauten nur allmählich neuen Nutzungen zugeführt wurden. Der Kult-Autor des Techno-Underground, Hakim Bey, nennt diese locations "Temporäre Autonome Zonen", wobei allerdings die militärische Anmutung dieser Bezeichnung dem Hedonismus der Szene nicht adäquat ist. Diese Orte sind im Selbstverständnis der Szene "terrae incognitae: die letzten Räume des Unbestimmten und Vagen, die (noch) nicht verwertbar" sind, wie die Poptheoretiker Philipp Anz und Patrik Walder schreiben (Anz/Walder 1995: 206). Ihre ursprüngliche Geschichte ist beendet und der Verlauf einer zukünftigen, neuen Geschichte noch offen. In dieser "Szene" (Blum 2001) wurde eine insgesamt 12-monatige Feldforschung durchgeführt. Sie soll in dieser Arbeit vorgestellt werden. Mit der Umfunktionierung urbaner Brachen und Leerstände durch den Techno-Underground entsteht in Berlin eine zweite Stadt, die im Empfinden ihrer Konstrukteure die eigentliche Stadt darstellt. Diese zweite Stadt zeichnet sich durch die Dominanz ihrer Raum-Atmosphären aus, deren Erkundung, Umgestaltung und Inszenierung die Hauptbeschäftigung ihrer Bewohner darstellt. Sie ist nicht die bürgerliche, hochkulturell geprägte Stadt der Theater, Museen und Konzerthallen, bei der die Kunst über den profanen Alltag triumphiert. Sie ist aber auch nicht die proletarische, von der Arbeit geprägte Stadt der Fabriken, Mietskasernen und Kneipen, bei der sich die "Basis" gegenüber dem "Überbau" behauptet - diese ist im Zuge der Deindustrialisierung der Städte verschwunden und gerade die alten Fabriken werden nun neu angeeignet. Die Konstrukteure dieser zweiten Stadt, das heißt die Akteure des Techno-Underground, entstammen dem neuen Kleinbürgertum (Bourdieu 1997: 561ff.), jener gesellschaftlichen Schicht jenseits der traditionellen Teilung von oben und unten, die sich weder an der Hochkultur noch an der proletarischen Kultur orientiert und die in der Stadt verortet ist. Ihnen schwebt eine Stadt vor, deren Räume dem Vergnügen gewidmet sind, die improvisiert und unfertig ist, die für eine Nacht aus Licht und Musik entsteht und anschließend wieder vergeht, das heißt die ausreichend Material zum Spiel mit Räumen und Atmosphären liefert (vgl. die Ausführungen zu Siegfried Kracauer im Kapitel 12). Während die moderne Gesellschaft sich durch eine statische Raumordnung reproduziert und manifestiert (das Museum bleibt an Ort und Stelle und die Kneipe an der Ecke; vgl. Lefèbvre 1977), zielt diese neue Form der Raumnutzung auf eine Verflüssigung räumlicher Grenzen, bei der locations im Stadtraum produziert werde…


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