Wir wollten einfach unser Ding machen

Wir wollten einfach unser Ding machen

Einband:
Paperback
EAN:
9783593391861
Untertitel:
DDR-Sportler zwischen Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Kai Reinhart
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 06.2010
Anzahl Seiten:
424
Erscheinungsdatum:
2010
ISBN:
978-3-593-39186-1

In der DDR lautete das Motto des Sports "Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat". Kai Reinhart zeigt in seiner Studie, wie der Sport im Sozialismus zu einem machtvollen Instrument der Disziplinierung und der Regulierung im Sinne Michel Foucaults gemacht werden sollte. Über den staatlichen Sport hinaus erforscht Reinhart am Beispiel des Bergsteigens und des Skateboardens aber vor allem informelle Sportszenen in der DDR. In diesen wurde mit Schlitzohrigkeit, Kreativität, Hartnäckigkeit und Mut der Traum von Freiheit und Individualität verfolgt. Der Sport wurde zu einem Mittel der Selbstverwirklichung. "Wir wollten einfach unser Ding machen", sagten viele der interviewten Sportler - eine Haltung, die sie zu Pionieren der Wende machte.

Autorentext
Kai Reinhart, Dr. phil., ist Akademischer Rat am Institut für Sportwissenschaft der Universität Münster.

Klappentext
In der DDR lautete das Motto des Sports "Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat". Kai Reinhart zeigt in seiner Studie, wie der Sport im Sozialismus zu einem machtvollen Instrument der Disziplinierung und der Regulierung im Sinne Michel Foucaults gemacht werden sollte. Über den staatlichen Sport hinaus erforscht Reinhart am Beispiel des Bergsteigens und des Skateboardens aber vor allem informelle Sportszenen in der DDR. In diesen wurde mit Schlitzohrigkeit, Kreativität, Hartnäckigkeit und Mut der Traum von Freiheit und Individualität verfolgt. Der Sport wurde zu einem Mittel der Selbstverwirklichung. »Wir wollten einfach unser Ding machen«, sagten viele der interviewten Sportler - eine Haltung, die sie zu Pionieren der Wende machte.

Leseprobe
Als Grundlage der ideologischen Arbeit an den KJS gab die Abteilung Propaganda des DTSB-Bundesvorstandes jeweils für eine Olympiade ein Programm der kommunistischen Erziehung der Leistungssportler heraus. Der DTSB führte monatlich eine Schulung durch, bei der Themen wie "Leistungssportler der DDR - aktive Mitgestalter der entwickelten sozialistischen Gesellschaft" oder "Sportler im Sozialismus sind immer auch Kämpfer für den Frieden" (zit. n. Delow, 1999, S. 243) behandelt wurden. Das Studienjahr der FDJ bestand an der KJS Ernst Grube aus einer monatlichen Versammlung, "auf die sich jeder durch das Lesen aufgegebener Literatur von Marx, Engels und Lenin oder von sozialistischen Gegenwartsliteraten vorzubereiten hat. Auf den Versammlungen wird dann über die gelesenen Texte gesprochen, wobei der Trainer, Mitglied der SED, alle Fäden in der Hand hält. Er führt auch die Protokolle und registriert, wenn sich jemand schlecht oder gar nicht vorbereitet hat" (Spassov-Neufeld, 1981, S. 26). Zum Abschluss des Studienjahres habe jeder Schüler das Abzeichen "Für gutes Wissen" ablegen müssen, dessen Themen zentral von der FDJ vorgegeben worden seien. Dazu habe eine schriftliche Arbeit, die von einem Trainer oder FDJ-Sekretär ausgewertet wurde, sowie eine mündliche Verteidigung dieser Arbeit gehört (vgl. Spassov-Neufeld, 1981, S. 28). Im Abschlussbericht für das DTSB-Schulungsjahr 1988/89 konnte die Abteilung Propaganda eine positive Wirkung der Schulung feststellen. "Die überwiegende Mehrheit unserer Sportler bezieht zu politischen und sportpolitischen Fragen und Ereignissen parteiliche Standpunkte" (abgedr.: Delow, 1999, S. 265). Mit Blick auf die Mitarbeit musste allerdings eingeschränkt werden, dass, "verstärkt im Altersbereich bis 14 Jahre, wenig Faktenwissen bzw. lückenhafte Kenntnisse zu sportpolitischen Fragen" (abgedr.: Delow, 1999, S. 267) vorliegen. Dennoch sollte die Wirkung der Propaganda, insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen, nicht unterschätzt werden. Sie konnten in ihrem abgeschotteten und "rundumbetreuten" Leben kaum einen eigenen Eindruck von der Welt gewinnen, sodass ihre Haltung leicht beeinflusst werden konnte. Das Leben im Westen wurde den jungen Sportlern als unsicher und perspektivlos dargestellt. Die ideologische Schulung erkläre, so Spassov-Neufeld (1981, S. 27), die DDR-Gläubigkeit vieler Spitzensportler. Sie selbst habe eine Woche vor ihrer Flucht noch dringend versucht, einen Termin beim Zahnarzt zu bekommen, da sie geglaubt habe, in der Bundesrepublik kein Geld für einen Arztbesuch aufbringen zu können. Solche Vorstellungen bestätigen auch andere Erinnerungen von Spitzensportlern. Selbst der als eigenwillig geltende Diskuswerfer und DDR-Flüchtling Wolfgang Schmidt berichtete: "Als ich die ersten Wettkämpfe im Ausland machte, ich war 19 Jahre alt, da habe ich mich diesen ganzen Forderungen nach Abgrenzung und so weiter untergeordnet. Ich wollte gar keine anderen Kontakte, ich wollte auch für die DDR siegen. Oder besser, ich glaubte, daß ich das will. Es war uns ja lange genug eingeredet worden" (Schmidt, 1997, S. 209). Trotz solcher "Erziehungserfolge" interessierte sich neben den zahlreichen offiziellen Betreuern der KJS-Schüler auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die jungen Talente. Eine "Hauptwaffe" der Stasi waren die inoffiziellen Mitarbeiter (IM). In Mielkes Dienstanweisung Nr. 4/71 wurde ausführlich auf den NWLS eingegangen: "Durch IM in Schlüsselpositionen sowie durch offizielle Verbindungen zu den Sportclubs, Sportgemeinschaften und Trainingszentren ist eine ständige Übersicht über Personen, die als Nachwuchssportler vorgesehen sind, zu gewährleisten" (abgedr.: Spitzer, Teicher & Reinartz, 1998, S. 180). Zu diesem Zweck konnten auch Schüler als IM angeworben werden. In seiner Fallstudie Leipzig ermittelte Spitzer (1997c, S. 193) neun minderjährige IM aus unterschiedlichen Bereichen. Als ein Schwerpunkt der "politisch-operativen Abwehrarbeit" wurden in der Dienstanweisung Nr. 4/71 explizit die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) genannt (vgl. Abdruck in Spitzer, Teichler, Reinartz, 1998, S. 179; vgl. auch Albiez, 2001; 2002). Entsprechend der Anordnung der MfS-Bezirksverwaltung Leipzig (2.10.1981) existierten dort über jeden Schüler bereits seit seiner Delegierung operative Unterlagen. "Sie bilden die erste Grundlage zur abwehrmäßigen Sicherung des Kaders bis zur Beantragung der Förderstufe III durch den jeweiligen Club", wie es in der Regelung hieß (abgedr.: Spitzer, 2005, S. 400). Die Nachwuchsleistungssportler wurden also, angefangen bei den Trainingszentren (TZ), durchgehend bespitzelt und es wurde Material über sie gesammelt. Traten durch solche Bespitzelung politische Differenzen zu Tage, konnte es zu schwerwiegenden Konsequenzen für die Schüler kommen. Spitzer (2005, S. 229f.) schilderte den Fall eines verdächtigten KJS-Schülers, der auf Betreiben des MfS ausgesondert wurde, kein Abitur mehr ablegen konnte und auch nach der Rückdelegierung weiter unter Beobachtung stand. 3.2.5 Doping Die Karrierechancen und Prämien der Trainer hingen schon an den Trainingszentren vom Erfolg ihrer Sportler ab, und die Konkurrenz um die begrenzten KJS-Plätze war groß (vgl. D. Krüger, 1999, S. 159). Um ihre Sportler möglichst weit zu bringen und sie zum Beispiel bei Spartakiadewettkämpfen gut aussehen zu lassen, griffen in manchen Fällen ehrgeizige Trainer auf eigene Faust schon bei 9-12jährigen Kindern zu Dopingmitteln, die sie sich auf dem Schwarzmarkt besorgten (vgl. Berendonk & Franke, 1997, S. 173ff.). Das staatliche Doping begann "erst" mit der 2. Förderstufe, in der aber in Sportarten mit frühem Leistungshöhepunkt sehr junge Kinder trainiert wurden. Die gute medizinische Versorgung war stets ein Argument, mit dem versucht wurde, Eltern zu überzeugen, ihre Kinder einer KJS anzuvertrauen. Tatsächlich aber dienten viele Mediziner und (Sport-)Wissenschaftler nicht der Gesundheit ihrer Schützlinge, sondern führten Experimente durch, die einer der Hauptverantwortlichen, Verbandsarzt der DDR-Gewichtheber Hans-Henning Lathan, rückblickend als "Großversuche" (v…


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