Purer Genuss?

Purer Genuss?

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593390284
Untertitel:
Wasser als Getränk, Ware und Kulturgut
Genre:
Ethnologie-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 08.2009
Anzahl Seiten:
295
Erscheinungsdatum:
10.08.2009
ISBN:
978-3-593-39028-4

Wasser - das Getränk

Wasser ist nicht allein Grundlage allen Lebens, Wasser ist auch das beliebteste Getränk, eine Handelsware mit wachsender Bedeutung und zugleich ein vielfach kulturell aufgeladenes Gut. Die Autoren des Bandes beleuchten ökonomische, politische und ökologische Komponenten des Wassertrinkens. Gleichzeitig vermitteln sie die religiösen und kulturellen Aspekte des Wassers und blicken auf dessen Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Ihr interdisziplinärer Blick auf das »blaue Gold des 21. Jahrhunderts« bündelt die grundlegenden Kenntnisse verschiedener Disziplinen, entwickelt innovative Perspektiven und vermittelt so ein fundiertes und aktuelles Bild von unserem Lebensmittel Nummer eins.

Vorwort
Wasser das Getränk

Autorentext
Gunther Hirschfelder ist Kulturwissenschaftler und vertritt die Professur für Kulturanthropologie/Volkskunde an der Universität Bonn. Angelika Ploeger ist Professorin für Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur an der Universität Kassel.

Leseprobe
weil man das Wasser trinken kann? Aspekte kultureller Wertigkeit und sozialer Distinktion Gunther Hirschfelder, Lars Winterberg Rein molekular gesehen ist Wasser recht einfach aufgebaut, vergleicht man die Formel der destillierten Variante H2O etwa mit jener anderer Nahrungsmittel wie Wein oder Brot, bei denen schon die Entschlüsselung einzelner Geschmacksvarianten eine große Herausforderung für die Lebensmittelchemie darstellt (Hufnagel/Hofmann 2008). Im Ernährungskontext steht dieser Einfachheit allerdings eine enorme Komplexität entgegen, die das Phänomen Wasser aufweist, und zwar sowohl hinsichtlich der physiologischen als auch der soziokulturellen Funktionskontexte und Bedeutungsebenen, mithin aus natur- wie kulturwissenschaftlicher Sicht gleichermaßen. Zudem sind das Wasser und sein Konsum auch als die einzigen Grundkonstanten menschlicher Ernährung anzusehen, haben sich im Laufe der Geschichte doch alle Nahrungsmittel sowie ihre Zubereitungsarten stets verändert. Nur das Wasser eben ist als basales Getränk durchgängiger Bestandteil der menschlichen Trinkkultur - ob von den frühen Hominiden direkt aus dem Bach getrunken oder heute als Markenprodukt in teurer Flasche gekauft. Wahrnehmen, Deuten, Handeln: Zur kulturellen Komplexität des Wassertrinkens Wasser wurde und wird immer getrunken; seine Wertigkeit aber variiert von Gesellschaft zu Gesellschaft und von sozialer Schicht zu sozialer Schicht. Dabei steht die enorme Relevanz des Wassers - wie die fünf nachfolgenden Beispiele vermuten lassen - auffallend häufig in direktem Widerspruch zum jeweiligen Ansehen. Paradigma (1): Am Ende des 18. Jahrhunderts folgte ein anonymer französischer Reisender der gängigen Mode und publizierte sein Tagebuch. Heute geben seine zuweilen belanglos wirkenden Aufzeichnungen tiefe Einblicke in diverse Bereiche historischer Alltagskultur - so auch der zeitgenössischen Ernährung. Denn der Schreiber besuchte deutsche Kur- und Badeorte und zeigte ein besonderes Interesse für die ansässigen Gastwirtschaften: Es gefiel ihm, dass die Essensportionen so groß waren, das Bier hingegen enttäuschte ihn: "Dasjenige, was man an den Wirthstischen bekömmt, ist meistens nicht trinkbar." Der Franzose mutmaßte, dass dies aber nicht an fehlender Braukunst liege, sondern vielmehr "eine schlechte List [sei], die Gäste zu verleiten, daß sie Wein trinken sollen." Er ließ sich jedoch nicht beirren und orderte stattdessen Wasser - eine offenbar einschlägige Erfahrung: "Jedermann beobachtete mich. Ich glich einem Bettler, den man aus Gnade aufgenommen hatte." Dabei sei Wasser ein gängiges Alltagsgetränk gewesen. Denn er notiert weiter, dass "fast alle diese Weinwirthe mit Wassertrinken erzogen worden" seien (Schilderung der Stadt Aachen 1787: 131f.). Paradigma (2): Ein ähnlicher Befund lässt sich auch für die Gegenwart aufzeigen. Zwar ist Wasser inzwischen weitgehend salonfähig geworden, ist als Lifestyle-Produkt und auch in der Spitzengastronomie zum Modegetränk avanciert, unterliegt aber bisweilen immer noch diametralen Bewertungen: Jener Student, der morgens in der Universität und nachmittags im Fitness-Club beherzt und ungeniert zum Wasser greift, mag sich unter Umständen beim abendlichen Kneipenbesuch des Wassers schämen und beinahe pflichtgemäß Bier oder Wein ordern, um dem sozialen Erwartungsdruck seiner Begleiter Genüge zu tun. Paradigma (3): Am 7. März 2006 titelt die Online-Ausgabe der Wochenzeitschrift Die Zeit, im Zuge der stockenden Föderalismusreform solle man die Ministerpräsidenten Roland Koch und Edmund Stoiber am besten auf, so wörtlich, "Wasser und Brot" setzen. Ohne diesen Vorschlag kommentieren zu wollen, stellt sich doch die Frage, wie in einer Zeit expandierender Brunnenbetriebe und massenhaft konsumierten Lifestyle-Wassers dieses Bild mittelalterlicher Nahrungsreduktion unter Arrest tatsächlich als Strafe konnotiert bleiben kann. Und warum setzte bereits Kaiser Karl IV. das gleiche Druckmittel im Jahr 1356 per Goldener Bulle gegen die zaudernden deutschen Kurfürsten ein? Paradigma (4): Die ambivalente Bewertung des Wassers zeigt sich nicht zuletzt darin, dass bisweilen hemmungsloser Konsum ge- oder übersüßter Getränke weit verbreitet ist. Dies rührt nicht zuletzt daher, dass Wasser in vielen sozialen Kontexten als Durstlöscher inakzeptabel erscheint. So hat jenes Verhalten, bei dem es sich im Grunde um ein "Fehl-Trinken" handelt, entscheidenden Anteil am Problemkomplex Fehlernährung und dessen Extremformen wie Adipositas, die jährlich gesellschaftliche Folgekosten im Milliardenbereich verursachen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist eine Reflexion über die Wertigkeit des Wassers kein Luxus, sondern dringende gesellschaftliche und gesundheitspolitische Aufgabe. Paradigma (5): Die scheinbar gesetzmäßige Ambivalenz des Trinkwasserkonsums offenbart sich schließlich in der Dichtkunst jenes Mannes, der den Humor der frühen BRD-Jahre prägte und der auch heute noch populär ist, weil er Wünsche und Wertvorstellungen der Mehrheitsbevölkerung erkannte: Heinz Erhardt brachte die Wertigkeit des Wassers in nur wenigen Worten auf eine griffige Formel: "Es ist gewiss viel Schönes dran, am Element, dem nassen. Weil man das Wasser trinken kann! Man kann's aber auch lassen." Inwieweit man das Wassertrinken in abweichenden lokalen wie temporalen Kontexten sowie in medizinischer wie auch sozialer Hinsicht einfach "lassen kann" (Winterberg 2007), soll im vorliegenden Band genauer beleuchtet werden. Freilich dient eine derartige lyrische Erkenntnis an dieser Stelle auch nicht als Fazit, sondern lediglich als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen - Überlegungen, die jene Diskrepanz zwischen dem Trinkwasserkonsum beziehungsweise der Rolle des Wassers als Getränk einerseits und seiner enormen physiologischen Bedeutung andererseits aus einer spezifisch kulturwissenschaftlichen Perspektive beleuchten sollen. Wer die Mechanismen des gesellschaftlichen (und damit auch des ökonomischen) Umgangs mit Trink- und Mineralwasser entschlüsseln will, muss akzeptieren, dass dazu eine anthropologisch-kulturhistorische Komponente unverzichtbar ist. Denn in Ernährungsfragen können die Medizin, die Ökotrophologie oder auch die Biochemie zwar durchaus eine gewisse Deutungshoheit für sich beanspruchen, aber Krankheitsbilder wie Anorexie oder Alkoholismus zeigen nicht zuletzt, dass rein naturwissenschaftliche Parameter zur Analyse und Erklärung nicht wirklich hinreichend sind. Wichtige Erkenntnisbausteine können gerade die Geisteswissenschaften liefern, die mit kulturanthropologischen, soziologischen oder historischen Methoden nahrungswissenschaftliche Sachverhalte beschreiben und analysieren, um auf diese Weise maßgeblich zu ihrem Verständnis beizutragen. Aspekte einer Kulturgeschichte des Wassertrinkens Besondere Bedeutung haben historische Komponenten, denn nach welch…


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